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Im Anita-Berber-Style: Mária Celeng in „Jonny spielt auf“ am Münchner Gärtnerplatztheater. Foto: Christian POGO Zach
Im Anita-Berber-Style: Mária Celeng in „Jonny spielt auf“ am Münchner Gärtnerplatztheater. Foto: Christian POGO Zach
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Münchner Wiedergutmachung: Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ am Gärtnerplatztheater

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Bei der Münchner Erstaufführung 1928 zettelten Nazis einen Eklat an. Nun ist Ernst Kreneks einstiges Erfolgsstück „Jonny spielt auf“ wieder am Münchner Gärtnerplatztheater zu sehen. Juan Martin Koch berichtet von einer facettenreichen Premiere.

Das Leben ist ein Wartesaal. Mal wartet man auf den Zug, mal auf seinen Psychotherapeuten, mal darauf, dass ein Gletscher zu singen beginnen möge. Aber zum Glück passiert auch mal was: Der Gletscher singt, der Therapeut in Gestalt eines Lebensabschnittspartners hat einen sachdienlichen Hinweis, oder der Zug fährt ab. Nach Amsterdam zum Beispiel, wo ein Schiff nach Amerika wartet. Nicht ohne meine Geige, denkt sich Jonny, sei sie dem „alten Europa“ auch noch so unrechtmäßig entlockt.

Nicht ohne Bezug auf die Aufführungsgeschichte, denkt sich Peter Lund und inszeniert am Münchner Gärtnerplatztheater den von ein paar Nazis angezettelten (im Programmheft dokumentierten) Eklat von 1928 ein Stück weit mit. So spielt dieser „Jonny“ also über weite Strecken in einem München, wo schon gegen „Neger“ und „Negerkultur“ plakatiert wird und der rechte Mob Jonnys Erfolg – eine Regiezutat – als „Schande“ kommentiert. Das Problem des „Blackfacings“ – zur Zeit der Uraufführung eine Alltäglichkeit – geht Lund offensiv an und räumt es auch gleich nonchalant ab: Ludwig Mittelhammer trägt als Titelfigur ein schwarz bemaltes Theatergesicht, was von der „echt“ amerikanischen Tanztruppe mit Mittelfinger kommentiert wird. Als er am Ende davon singt, für immer zu seinem „Swanee River“ zurückzukehren, kommt die Schminke einfach wieder weg.

Weitere Bezugnahmen zur Entstehungszeit stellen die eingeblendeten Kapitelüberschriften im Stummfilmstil und die Caligari-Sphäre dar, in der der weißgekalkte Komponist Max seinem Weltschmerz und seiner Gletscher-Sehnsucht frönt, wenn er nicht gerade im Wartesaal sitzt. (Dass sein großes Solo, die längliche 5. Szene zu Beginn des zweiten Teils, gestrichen wurde, ist kein Fehler.) Weibliche Rettung naht in Gestalt der Operndiva Anita, die hier den Nachnamen Berber und das rote Kleid aus dem Dix-Gemälde trägt.

Durchgehend schlüssig ist das nicht, wenn etwa der magische Gletscherchor aus dem Off, der den verzweifelten Max in die Hitze des Lebens und Leidens zurückruft, zwischenzeitlich als der angesprochene Mob personifiziert auf der Bühne erscheint. Auch dass dann Anitas heilsame Stimme auf der Bühne erklingt und nicht aus dem Radio, lässt leider den köstlichen Frequenzwechsel zum Jazzsender verpuffen, so schön Jonny auch im Volksempfänger herabschwebt.

Gut funktioniert indes der boulevardeske Handlungsteil rund um den Instrumentenklau und den fast erfolgreichen Racheplan des schmierigen, von Anita nur für eine Nacht in Anspruch genommenen Stargeigers Daniello. Dass seine gestohlene Violine (nicht umsonst eine „Amati“) auch für abhanden kommende Potenz stehen könnte, wird gewitzt angedeutet. Auch das Finale mit Polizeiauto und Bahnhofsapotheose entwickelt jenen Schmiss, der erahnen lässt, warum das Stück seinerzeit so sensationell einschlug.

Ähnliche Gewichtungen ergeben sich bei der musikalischen Bilanz des umjubelten Abends. Michael Brandstätter erzeugt mit dem Gärtnerplatzorchester den nötigen Schwung für die jazzigen oder besser gesagt: pseudojazzigen Elemente der Partitur. Für Kreneks durchaus raffinierte, seinem Lehrer Schreker abgelauschte Klangmischungen – für das damals wie heute nicht recht überzeugende Künstlerdrama – fehlt es allerdings an Differenzierung. Da tönt es mitunter arg pauschal und laut aus dem Graben.

Der fabelhaften Mária Celeng als Anita macht das keine Probleme, auch Mathias Hausmanns Daniello und Judith Spießers Yvonne singen geschmeidig darüber hinweg. Etwas zu kämpfen hat der ansonsten stimmlich sehr beachtliche Alexandros Tsilogiannis als Max, während der quirlige Ludwig Mittelhammer als Jonny bei seinem zentralen Moment, dem Triumphgesang in der 6. Szene, leider komplett übertönt wird.

Für den Schluss hebt sich Regisseur Peter Lund noch eine etwas aufgesetzte Volte auf: „Integration des Modernen in den Volkskörper“ lautet da der letzte Zwischentitel. Die stumpfe Menge tanzt ungelenk zu den „amerikanischen“ Klängen und Jonny geht per Handschlag einen Pakt mit dem Nazi-Teufel ein.

Einen neuen „Jonny“-Hype wird diese Produktion wohl nicht auslösen – eine spürbar mit Herzblut angegangene, ebenso sehens- wie hörenswerte Münchner Wiedergutmachung ist sie aber allemal.

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