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„Les Vêpres Siciliennes“ von Giuseppe Verdi, Premiere am 20. März 2022 in der Deutschen Oper Berlin, Foto: copyright Marcus Lieberenz
„Les Vêpres Siciliennes“ von Giuseppe Verdi, Premiere am 20. März 2022 in der Deutschen Oper Berlin, Foto: copyright Marcus Lieberenz
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Die Vernunft hat keine Chance – Verdis „Les vêspre siciliennes“ an der Deutschen Oper Berlin

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Die Deutsche Oper Berlin, Oliver Py und Grand Opéra passen eigentlich ganz gut zusammen. Mit dem Genre hat das Haus Erfahrung und auch die nötigen Ressourcen dafür. Und der Franzose Olivier Py war schon sowohl mit Verdi als auch mit Grand Opéras (wie Meyerbeers „Les Hugenotes“, Halévys „La Juive“ und an der Deutschen Oper mit Meyerbeers „Le Prophete“) erfolgreich.

Jetzt hat der seit 2013 das Festival in Avignon leitende Schauspiel- und Opernregisseur die Neuproduktion von Verdis „Sizilianischer Vesper“ an der Bismarckstraße inszeniert. Es ist die 1855 im Rahmen der Pariser Weltausstellung uraufgeführte französische Version.

Dass sich der als Sizilianische Vesper in die Geschichte eingegangene Aufstand der Sizilianer gegen die französischen Besatzer im fernen Jahr 1282 ereignete, war schon für Verdi und seinen Librettisten Eugène Scribe nur eine historische Folie, um in Zeiten des italienischen Risorgimento, Zeitgenössisches zu verhandeln. Py und sein langjähriger Ausstattungspartner Pierre-André Weitz deuten einen zeitlichen Bogen von den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts bis in die 50er Jahre des zwanzigsten an, in dem Frankreich von seinem algerischen Kolonialabenteuer, so oder so, in Atem gehalten wurde. 

Es beginnt mit einem Mord auf offener Straße. Das Opfer ist der Bruder Hélènes. Die durchchoreographierte Daueranwesenheit seines Geistes gehört zu den konstituierenden Regieeinfällen Pys. Das ist dezidiertes Stilmittel und Reminiszenz an die Balletthaltigkeit der Grand Opéra – das ist aber nicht nur auf Anhieb zu durchschauen, sondern nutzt sich im Laufe des Abends auch ab. Wie Py überhaupt deutlich unter seinem Niveau als Regisseur bleibt. Mit seinen Aufmärschen schafft der Chor eher statische Tableaubilder als handlungstreibende Aktionen. Wenn getanzt wird, ist das eher gefällig beiläufig, simulierte Barbarei (Fussballspielen mit menschlichem Kopf) der Besatzer oder das In-die-Luft-recken aufständischer Fäuste ist im günstigsten Fall eine subtile Art von Parodie auf heroische Gesten, wirkt auf den ersten Blick vor allem plakativ und aufgesetzt. Letzteres liegt nahe, weil Py an diesem Abend auch mit seiner Personenregie bei den Protagonisten der Hauptrollen in einem verblüffenden Ausmaß nur auf Rampentheater setzt.

Der auf dreieinhalb Bruttostunden eingedampfte Fünfakter beginnt nach einer bösartigen Karikatur über die Enthauptung von Algeriern durch Franzosen auf einem Riesenplakat mit der pantomimischen Nachstellung dieser Szene. Mit der Trauer für die Opfer beginnt sich der Widerstand gegen Unterdrücker-Arroganz offen zu formieren, den entschlossene Ideologen zur Konfrontation auf Leben und Tod forcieren wollen. Für die Szene, in der Hélène gezwungen wird, für die besoffenen und übergriffigen Besatzer zu singen, bietet die Drehbühne mit ihren Straßen- und Mauerprospekten ein Logentheater, das auch der oberste regierende Franzose in Sizilien Montfort als Bühne für seine zynischen Aufritte nutzt. Wenn er im Palast versucht, seinen (wie sich herausstellt) leiblichen Sohn Henri auf die Seite der Besatzer zu ziehen, so genügen dafür die Rückseiten der Kulissenwände und drei auf und niederschwebende Kandelaber. Schließlich läuft alles auf die finale Katastrophe zu, bei der die Protagonisten und jede Hoffnung sterben.

Obwohl – abgesehen von den Kalaschnikows, dem wohl „erfolgreichsten“ sowjetrussischen Exportschlager schlechthin, mit denen dauernd rumgefuchtelt und geschossen wird – an diesem Abend jeder Bezug auf den alle in Atem haltenden aktuellen Angriffskrieg fehlt, schaltet der sich gleichwohl als Kopfkino ein.

Es liegt auf der Hand, dass gerade „Les vêspre siciliennes“ in diesen Tagen einen besonderen Drive bekommt. Es ist die im Stück auf geradezu penetrante Weise eskalierende Freiheit-oder-Tod-Rhetorik, die in einem beispielhaften historischen Massaker mündet, dessen sich Eugene Scribe und Verdi bedient haben, um an der Pariser Oper im dort gängigen Genre den ersehnten Erfolg zu landen.

Dass es heutzutage seltsam anmutet, wenn die Trikolore zur Flagge von Besatzern mutiert, die sich nicht nur komplett daneben benehmen, sondern willkürlich Einheimische exekutieren, ist das eine. Die Verlegung der Handlung in die lange Zeit der Kolonisierung Algeriens und der daraus folgenden Kriege verweist auf einen dunklen Fleck in der Geschichte der Grand Nation, der schon öfter u.a. von Frank Castorf durchdekliniert wurde. Das mag exemplarisch für die Gefahr stehen, dass selbst zu Demokratie gewordene Staatswesen zeitweise die moralische Orientierung verlieren können. Dennoch denkt man – gerade wenn man über den Berliner Hauptbahnhof zur Premiere an der Deutschen Oper anreist – bei den als Bühnenbild projizierten Fassaden und errichteten Panzersperren unwillkürlich zu erst an Kiew oder Odessa.

Dass „Les vêspre siciliennes“ eher selten gespielt wird, mag an den Ressourcen liegen, die die Grand Opéra nun mal verlangt. Aber nicht nur. Es liegt wohl auch an Verdis Blick auf den Pariser Markt, und das, was der 1855 verlangte. Das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten der französischen Besatzer und der unterdrückten und drangsalierten Sizilianer ist noch ganz gut nachvollziehbar und gehört zu den historischen Aufladungen des Genres. Als sich dann aber überraschend herausstellt, dass einer der Wortführer der Guten, der leibliche Sohn des Oberschurken ist, dann kann man zwar nachvollziehen, dass der den bei seinem Wüten verschont. Dass er aber eine radikale Kehrtwende in Richtung Aussöhnung auf der politischen Ebene vollzieht, im Grunde weil die Stimme des Blutes spricht!, das folgt schon ziemlich den in der Epoche verhafteten Vorstellungen und Moral und Ehre. Dass dann aber die Fanatiker bei den Besetzten die Rache triumphieren lassen und jede Chance auf einen Ausgleich zerschlagen, wäre noch vor wenigen Wochen genauso diskutabel gewesen. Mittlerweile aber gewinnt in unserer Medienrealität eine Freiheit-oder-Tod-Rhetorik, in der kaum noch jemand einem kampfeslustigen Botschafter zu widersprechen wagt, immer mehr Raum. An dem Punkt ist dann selbst Oliver Pys Inszenierung beklemmend. Zumal er andeutet, dass nicht alle Freiheitskämpfer einen ruhmreichen Tod als das Ziel ihres Lebens ansehen. Solcher Art von verstörender Unbehaglichkeit stellt sich an diesem Abend vor allem im Kopf und im Nachhinein ein. Die Inszenierung selbst bleibt da zu zaghaft, wirkt irgendwie nicht ganz bis zu Ende aufgeladen.

Dazu kommt das musikalische Wohlbehagen, für das Enrique Mazzola und das Orchester der Deutschen Oper sorgen. Italienische Leidenschaft mit der Geste der französischen großen Oper. Gesungen wird dazu auf hohem Niveau. Das fängt an beim kraftvoll strahlenden, mit sicherer Höhe aufwartenden Tenor Piero Pretti und der koloraturversierten Hulkar Sabirova als tragisches Liebespaar Henri und Hélène. Die beiden werden sogar noch übertrumpft durch die markige Vehemenz, mit der Thomas Lehmann den Guy Montfort verkörpert und den auch vokal düsteren Fanatismus, mit dem Roberto Tagliavini den Anführer der Aufständischen, Jean de Procida, ausstattet. Das übrige Ensemble und der von Jeremy Bines einstudierte, erweiterte Opernchor sind vokal auf der Höhe, wenn auch darstellerisch nicht überfordert. Bleibt ein Opernabend der auf eine Weise schöner ausfiel, wie man es eigentlich nicht erwartet hatte.

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