Regisseur Olivier Py verlegt Verdis „Sizilianische Vesper“ in den Algerienkrieg. Aber die Premiere gehört den Sängern.

Diese ausufernde fünfaktige Historienoper ist jenen Besuchern zu empfehlen, die Belcanto lieben und es genießen können, der einen und anderen wunderbaren Sängerstimme einen Abend lang zu folgen. Bei der Premiere von Giuseppe Verdis „Les Vepres Siciliennes“ (Die sizilianische Vesper) an der Deutschen Oper gab es am Sonntag immer wieder Beifall und Bravorufe auf offener Bühne. Das geschieht üblicherweise nur, wenn Solisten schön geführte Stimmen mit großen Gefühle zusammen bringen können. Und Enrique Mazzola versucht am Pult des Orchesters der Deutschen Oper, die Sänger durch den Abend zu tragen, manchmal auch zu treiben. Was der dreieinhalbstündigen Aufführung gut tut.

Der Regisseur kritisiert die Kolonialgeschichte Frankreichs

Lediglich Regisseur Olivier Py ist von Anbeginn ein Spielverderber. Er will die Oper blutiger, aktueller und persönlicher haben. Das Publikum blickt zu Beginn auf eine Zeichnung, die eine Episode der Eroberung Algeriens aus dem Jahr 1845 zeigt. „Oberst Lucien de Montagnac: Um die Gedanken zu vertreiben, die mich manchmal belästigen, lasse ich Köpfe abschneiden, keine Artischockenköpfe, sondern Männerköpfe.“ Die blau-rot gekleideten französischen Soldaten schlagen gefangenen Berbern die Köpfe ab. Dann öffnet sich die Bühne: Aus Montagnac wird in Verdis Oper Guy de Montfort, Gouverneur von Sizilien, der mit Hand anlegt, um Gefangene hinzurichten. Ein Mörder also.

Der französische Regisseur hat die Opernhandlung aus dem Palermo von 1282, als sich die unterdrückten Sizilianer in einem blutigen Aufstand von den Franzosen befreiten, in die ab 1830 beginnende Eroberung Algeriens verlegt. Der bis heute schwelende Konflikt ist etwas, was Olivier Py in seiner eigenen Familiengeschichte bewegt und zur Kolonialgeschichte unseres Nachbarlandes gehört.

Ein riesiges Fotos im Bühnenbild zeigt Algier

Die Neuinszenierung macht es dem Berliner Zuschauer nicht verständlicher, wenn sich gleich zu Beginn die Soldaten umziehen und Kampfanzüge tragen, die sie im 1954 beginnenden Algerienkrieg verorten, der acht Jahre später zur Unabhängigkeit führte. Ein riesiges Foto im Bühnenbild zeigt Algier. Py sagte vor der Premiere, es könnte auch Palermo oder Odessa sein. Aber das ist reichlich vermessen, denn angesichts des realen Krieges hat die Oper ästhetisch wenig mitzuteilen. Umherfahrende Panzersilhouetten hinter einer großen Trikolore sind noch kein politisches Statement.

Komponist Giuseppe Verdi wollte seinerzeit nur einen lukrativen Auftrag der Pariser Oper zu Ende bringen. Die Uraufführung 1855 als Festvorstellung der Pariser Weltausstellung war ein Riesenerfolg. Aber mit dem Libretto von Eugene Scribe blieb Verdi unzufrieden. Die Beiden konnten nicht miteinander. Die Opernwelt ist sich heute weitgehend einig, dass Verdi bei seinem Ausflug in die Grand Opera kein großer Wurf gelungen ist. Verdis italienisches Theaterblut pulsiert vergeblich gegen das französische Theaterparfüm an.

Es gibt mehr Racheschwüre als Liebesbekundungen

„Die sizilianische Vesper“ bleibt eine Vorzeigeoper mit einer kruden Handlung – es gibt mehr Racheschwüre als Liebesbekundungen –, Massenchören und Ballettszenen. Mit dem französischen Theaterparfüm tut sich aber auch Regisseur Oliver Py schwer. Pierre-André Weitz hat ihm die an diesem Abend intensiv genutzte Drehbühne ausgestattet. Zu sehen sind Häuserfluchten, ein Denkmal oder eine mit Stacheldraht abgesperrte Straße. Die französische Gegenwelt findet im noblen Theater statt. Die Bräute im Stück sind Ballerinen, die sich auf bezaubernde Weise als Schwäne gruppieren. Sie werden von den Soldaten vergewaltigt. Py lässt die Geister der Opfer über die Szene tanzen, ansonsten bleibt die Personenregie vernachlässigt.

Die Neuproduktion ist bei der Premiere auf eine bemerkenswerte und wunderbare Weise gescheitert. Beim Schlussapplaus sieht sich Guy de Montfort vom Publikum am meisten bejubelt. Der Mörder, der Kolonialist, der Tyrann? Py hat sich wohl zu viel Mühe gegeben, dessen Zwielichtigkeit zu entlarven, aber gegen Verdis Musik und den lyrisch wandlungsfähigen Bariton von Thomas Lehman kommt er nicht an. Der Sänger versteht es, dem Gouverneur Statur zu verleihen und ihn zugleich als verzweifelten, liebenden Vater darzustellen. Ihm nimmt man die vielen Zwischentöne ab.

Montforts Duette mit dem jungen Sizilianer Henry, seinem wiedergefundenen Sohn, sind Höhepunkte. Offenbar lässt der Vater-Sohn-Konflikt die Herzen im Publikum am höchsten schlagen. Auch wenn Tenor Piero Pretti in der Höhe etwas Geschmeidigkeit fehlt. Zweifellos hat er sich seine Kräfte gut eingeteilt. Seine Geliebte, die Herzogin Hélène, wird von Koloratursopranistin Hulkar Sabirova in praller Leidenschaft, ja fast ungeschützt, vorgeführt. Mit seiner kontrollierten Stimmführung kann Roberto Tagliavini als Arzt und Aufrührer Jean de Procida überzeugen. Die Premiere gehört den Sängern.