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Flache Mondtag-Show: „Der Vampyr“ in Hannover. Foto: © Sandra Then
Flache Mondtag-Show: „Der Vampyr“ in Hannover. Foto: © Sandra Then
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Flache Mondtag-Show: „Der Vampyr“ in Hannover

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Heinrich Marschner war in Hannover als Komponist nicht mehr so erfolgreich wie in Leipzig, wo „Der Vampyr“ 1828 zur Uraufführung gelangte oder in Berlin mit „Hans Heiling“. Beim „Vampyr“ steht die Rettung aus den Verballhornungen oder Simplifizierungen der letzten Jahrzehnte noch immer aus. Die Premiere an der Niedersächsischen Staatsoper Hannover war in erster Linie eine herausragende Leistung von GMD Stephan Zilias. Ersan Mondtag verzettelte sich mit assoziativer Völlerei in seinem Zutaten-Gestrüpp aus der Geschichte des Antisemitismus, Konsumkritik und Trash.

Vom erfreulich jungen Premierenpublikum wurde das Mondtag-Event bejubelt wie die „Rocky Horror Show“. Es fehlten nur die Eiswürfel für noch mehr Schreckensschauer in Mondtags furioser Schwarzer (Erdöl-)Messe. So hatte auch diese Premiere Marschners kompositorischer Fantasie gezähmt und der Oper das Potenzial entzogen, was sie hat. Hans Pfitzner leistete bereits 1896 ein folgenreiches Verschlimmbesserungswerk, indem er in seiner Bearbeitung alle virtuosen Italianismen eliminierte und damit den „Vampyr“ für das ganze 20. Jahrhundert banalisierte, bis sich Hof und Koblenz an die Originalfassung erinnerten. Diese erklang erfreulicherweise auch in Hannover. Das erhöht einerseits den Anteil an koloristischem Schnickschnack, schärft aber auch den von Marschner intendierten Dualismus zu den von ihm effektvoll gestreuten Nachtfarben. Aber wieder einmal präsentierte Mondtag sein immenses kulturgeschichtliches und esoterisches Wissen mit szenischem Raubbau an den dramatischen Ressourcen. Der Abend zerfledderte in Bilderfluten wegen Mondtags Misstrauen gegen konzentrierte Stille und leise Worte ohne Mikroport. In seiner grellen Bearbeitung balanciert Mondtag zwischen Betroffenheitsattitüde und outrierter Leichtfertigkeit.

Warum will Mondtag eigentlich nicht Illustrator werden? Vor der zertrümmerten Hannoveraner Synagoge tummeln sich bei ihm in den Kostümen von Josa Marx Geister, Nachtmahre und alle „Schutzengel der Hölle“ mit dem gesamten Zeichenapparat von Gustave Doré, HR Giger, Breughel, William Blake. Dieses Ambiente ist bildgewaltig und verrückt – im besten Sinn: Kinderdämonen mit Spitzohren, Göttinnen mit Eierschädel und Fantasy aus der Videogame-Retorte. Auf einem Schuttberg begegnen sich der ‚ewige Jude’ Ahasver (Jonas Grundner-Culemann), die babylonische Große Mutter Astarte (Oana Solomon) und der aparte Titelheld Lord Ruthwen – der bleiche Mann trägt Ohrstecker, Ringe und weiße Schlagärmel. Über diesen symbolischen Schuttberg, den Opfer und Schlachtende abwechselnd betrampeln, ist im zweiten Teil endlich Gras gewachsen. Dann tummelt sich vor „Braunschweigs Shopping-Adresse Nr.1“ hinter den belassenen Schlossarkaden eine Gesellschaft in schwarzen Öl-Klamotten. Fröhliches Raten: Till Briegleb hat für Mondtag viel Gebildetes in die Dialoge hineingeschrieben. Event und Kulturvermittlung würden nahezu ineinander aufgehen, wenn nicht alles auf Dauer so flach, elliptisch und fragmentarisch wäre. Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover zuvorderst und auch der satt-grob-hymnische Chor der Staatsoper (toll einstudiert von Lorenzo del Rio!) erbringen die längst fällige Marschner-Apotheose: Stephan Zilias beginnt ‚voll normal‘. Er weiß, dass man die musikalischen Scharniere der Schauerromantik manchmal verstecken muss, um sie desto wirkungsvoller einsetzen zu können. Fahle Streicher, bizarre Klarinetten-Töne und Unebenheiten schleichen sich in die Ouvertüre – bewusst beiläufig und deshalb erst recht unüberhörbar. All das, wo Marschner Webers „Freischütz“ weiterdenkt und doch nicht übertrifft, gewinnt Hoffmanneske Doppelgründigkeit, Biss haben das Brio und die Virtuosität Malwinas. Mercedes Arcuri gibt mit Designer-Leggins und voll blond eine Stadttheater-Diva vom alten Schlag. Zu über 50% besteht ihr Part aus die Kondition stählenden Koloraturen, was Pfitzner Marschner später übelnahm und Malwina deshalb zur teutonisch Naiven umoperierte. Norman Reinhardt bleibt als Vampyr-Hunter mit VW-Käfer und als Ruthwens Gutmensch-Kontrahent Aubry etwas blässlich, sogar in seinen früher höheren Töchtern gern auf’s Klavier gelegten Romanzenstrophen.

Mondtags vielfach bewährte Kalauer-Granate kommt als queere Wolke in Pink auch hier zum Zug: Benny Claessens balanciert unter einem enormen Publikumszuspruch wagemutig auf dem Trapez zwischen RTL-Witzchen und Queer-Bashing. Claessens versenkt seine gemütlichen Frivolitäten über „sexistische Oper“ und Co. selbst am besten. Genderkorrekt agieren dagegen vier Saufschwestern in Goldkleidern bei Marschners populärer Trinklied-Einlage, während der Vampyr sich in Emmy verbeißt (Pawel Brozek, Peter O’Reilly, Darwin Prakash, Markus Suihkonen).

Wenn es auf die ausdrucksstarke Engführung von Persönlichkeit, Inhalt und Intensität ankommt, lässt Mondtag sein Ensemble fast immer im Stich. Das merkt man sofort, wenn Kostüm und Posen nicht alles sein kann, etwa bei Waronika Rabeks Suse-Couplets und vor allem bei der Emmy von Nikki Treurniet. Die Ballade vom „bleichen Mann“, womit Marschner Wagner den Kreativkick zum Geniewurf von Sentas Holländer-Ballade zuwirft, singt Treurniet tendenziell uninspiriert. Mit Episodenpartien wie Sir Berkeley (Daniel Eggert), Janthe (Petra Radulovic) und George Dibdin (Philipp Kapeller) weiß Mondtag nichts anzufangen. Dabei hätten es die meisten Solist:innen hervorragend vermocht, den im frühen 19. Jahrhundert üblichen und heute nur mit schweren Hürden zu nehmenden Wechsel von Dialogen und textpointiertem Singen gut bis sehr gut hinzubekommen. Sie hätten es geschafft, die ambitionierte Überfrachtung mit innerem Leben zu erfüllen und zu vermitteln.

Zufälligerweise stehen der Ölmogul Sir Humphrey (vitaler Singdarsteller von prächtigem Format: Shavleg Armasi) und der Vampyr vor der Kapelle wie dunkle und helle Figur an der Wetteruhr. Michael Kupfer-Radlecky verdichtet Mondtags salopp wie famos erdachten Vampyr mit der verhaltenen und porösen Glut des Schubert-Kenners. Er bereichert die Figur faszinierend und beklemmend um jene Nervenkitzel-Romantik, die dem Abend sonst über weite Strecken fehlt.

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