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„Die Fledermaus“ am Gärtnerplatztheater: Da weiß man, was man hat

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Szene mit Jennifer O’Loughlin, Daniel Prohaska, Ilia Staple und Juan Carlos Falcón.
Aus dem Lot geraten ist die Welt in Baden bei Wien: Szene mit Rosalinde (Jennifer O’Loughlin, v.li.), Eisenstein (Daniel Prohaska), Adele (Ilia Staple) und Dr. Blind (Juan Carlos Falcón). © Christian Pogo Zach

Ein bisschen aufgehübscht und herausgeputzt bei hohem Aufführungstempo: Hausherr Josef E. Köpplinger inszeniert „Die Fledermaus“ fürs Gärtnerplatztheater als Wohlfühl-Oldie in schlimmen Zeiten.

Kleines Detail am Rande: Rosalinde kriegt ihren Lover, mitten im Finaltrubel seitenspringt sie mit Alfred davon. Was aus zwei Gründen wichtig ist. Erstens lohnen sich Affären also, augenzwinkert der Abend. Und zweitens passen Jennifer O’Loughlin und Lucian Krasznec ausnehmend gut zusammen – stimmlich und im Spiel sowieso, wenn sie lüstern unter seinen hohen Gs und As zerfließt.

Was mit der „Fledermaus“ anstellen? Zurechtbiegen funktioniert bei Johann Strauß nur bedingt, regietheaternd revolutionieren erst recht nicht. Aber: ein bisserl straffen, aufhübschen, herausputzen. Denkt sich jedenfalls Josef E. Köpplinger, der als regieführender Gärtnerplatz-Chef so etwas wie der Persil-Mann des Musiktheaters ist – bei ihm weiß man, was man hat.

Das Tempo ist also hoch, der Aufführungsrhythmus stimmt, sogar der schwächelnde Akt drei hängt weniger durch. Es gibt in Köpplingers Textfassung ein paar neue Pointen, die alten können Strauß-Veteranen zwar mitsprechen, man lacht hier aber trotzdem drüber. Vielleicht auch, so zeigt der Jubel, weil solche Abende die zurzeit notwendigen Glückshormone ausschütten.

Gärtnerplatztheater: Köpplinger verlegt das Geschehen in einen Wiener Vorort

Aus der Metropole hat Köpplinger das Geschehen nach Baden bei Wien kurz nach dem Ersten Weltkrieg verlegt. Das macht die Sache kleinstädtischer. Rosalinde ist hier eine „ehemalige Provinzdiva“, die ihre drei Kinder zum Schifoan an den Semmering schickt, bevor Gatte Eisenstein seine Arreststrafe absitzt und sie selbst dem Gesang und vielem mehr von Macho Alfred erliegt.

Dass einiges nicht stimmt, suggeriert die aus dem Lot geratene (und akustisch alles verstärkende) Bühne von Rainer Sinell. Dass in der „Fledermaus“ aber auch eine Gesellschaft am Abgrund entlangwalzert und sich im Mittelakt mit „Duidu“ in den unpolitischen Dada flüchtet, erfährt man nur flüchtig. Dafür spielt Ball-Gastgeber Orlofsky nicht echtes, sondern russisches Roulette mit sich selbst – gottlob klickt der Revolver nur leer. Gerade weil in solchen Momenten vieles und Aktuelles aufglimmt, erschauert man trotzdem.

Überdeutlich ist diese Produktion als Longseller angelegt, im Januar kam sie beim koproduzierenden Maggio Musicale in Florenz heraus. Damals stand Zubin Mehta am Pult, am Gärtnerplatz ist es Chefdirigent Anthony Bramall. Der treibt das Orchester durch einen eng gesteckten Partitur-Slalom. Wieselflink, wendig klingt das, auch widerborstig mit kleinen, passenden Sticheleien, manchmal allerdings auch holzig und Schmäh-frei: Ein Schwipserl bringt das Zuhören weniger, eher ein paar Röntgenblicke in die Partitur.

Standard-Pointen und Corona-Witzeleien

Traditionell sind die Rollen doppelt besetzt. Dank Corona ging in den vergangenen Wochen alles drunter und drüber mit der A- und B-Riege. Der Premiere merkt man das an. Die Dialoge sind besser eingerastet als die Musik, wo es auch zu Unsicherheiten zwischen Graben und Bühne kommt. Lucian Krasznec werden neben den partiturgerechten Passagen ein paar Extempores zwischen Manrico und „Nessun dorma“ gegönnt, was er mit Prachttenor und selbstironisch serviert. Ilia Staple pflegt nur beim Sprechen dreckiges Weanerisch, singt dafür eine warm timbrierte, alles andere als spitzzüngige Adele.

Daniel Gutmann (Falke) macht auch vokal Bella figura. Jennifer O’Loughlin ist die passend souveräne Diva, wirkt aber immer so (und das macht die Sache apart), als habe sie sich in die Operette verlaufen, obwohl doch Donizetti im Vertrag stand. Das aufgekratzte Ensemble wird komplettiert durch Reinhard Mayr als ungewöhnlich jugendlicher, akrobatischer Gefängnisdirektor Frank, Michael Dangl als Frosch mit den Standard-Pointen plus Corona-Witzeleien, Emma Sventelius (Prinz Orlofsky) mit ihrem Glamour-Mezzo sowie Daniel Prohaska, der als präsenter Eisenstein den Vorteil bietet, dass man wirklich jede Silbe versteht.

Karikaturen-Alarm wird in den drei Stunden selten ausgelöst. Die Bühnen-Belegschaft agiert mit zugeschaltetem Turbo stets auf Fühlweite des Nervenzusammenbruchs. Köpplinger weiß, welche Situationen funktionieren und wo er sich bedienen darf – man nehme nur den unsichtbaren (Loriot-)Mops, der das Geschehen von links aus dem Off bekläfft. Dass sich die Verwechslungssause aus rein erotischen Gründen entwickelt, ist dank prickelnder Momente zu spüren bis hin zur schwülen Kurzzeit-Erotik zwischen Orlofsky und Begleiter Iwan. Wer sich von der Aufführung einen Vorstoß in die Strauß-Neubewertung erhofft, ist fehl am Gärtnerplatz. Wer dagegen einen aufpolierten Wohlfühl-Oldie in schlimmer Zeit braucht, der sollte sich die Karte gönnen.

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