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„Tannhäuser“ in Hamburg: Lohengrin im Dschungel

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Letzte Begegnung auf dem Steinhügel: Wolfram und die suizidale Elisabeth, Christoph Pohl und Jennifer Holloway. Foto: Brinkhoff/Mögenburg
Letzte Begegnung auf dem Steinhügel: Wolfram und die suizidale Elisabeth, Christoph Pohl und Jennifer Holloway. © Brinkhoff/Moegenburg

Kornél Mundruczó verirrt sich an der Hamburgischen Staatsoper in Richard Wagners „Tannhäuser“.

Eindrucksvolle 30 Jahre lang hielt die Staatsoper Hamburg an Harry Kupfers „Tannhäuser“ fest, Kornél Mundruczós Neuinszenierung löst sie nun ab und zeigt bei der Premiere einen erschütternd kurzen Atem. Ein Lehrstück über die Schwierigkeit, Opern zu inszenieren.

Der Ungar Mundruczó, mit Caroline Staunton als Co-Regisseurin engagiert, ist ein versierter Filme- und Sprechtheatermacher, war mit seinem Proton-Theater im Frankfurter Mousonturm zu Gast, hat in Hamburg am Thalia inszeniert und arbeitet seit einigen Jahren auch für das Musiktheater. Und mit Interesse wird man seiner ersten Grundidee zu Richard Wagners Oper folgen. Völlig einleuchtend sieht er das Fundament für eine Interpretation in der Frage, was für ein Ort der Venusberg ist, Ausgangspunkt von Tannhäusers erfüllten und im bürgerlichen Sinne skandalösen Sehnsüchten, aber auch seines Ennui und seiner Schuldgefühle. Jedenfalls ist das die Gegenwelt zur Wartburgsphäre, in der die Frau seiner anderen Träume auf ihn wartet, die fromme Elisabeth.

Bei Kupfer erregte das entsprechende Sex-Shop- und Amüsier-Betrieb-Ambiente manches Gemüt, Mundruczó hingegen lässt im imaginären Berginneren einen Dschungel gedeihen (Bühne: Monika Pormale), in dem es viel zu schwül für lebhaftere Aktion ist. Man dämmert hochsommerlich bekleidet (Kostüme: Sophie Klenk-Wulff) in Liegestühlen vor sich hin oder liest ein Buch. Die friedfertig herumstreifenden Kinder und Teenager, ein Mädchen hochschwanger, sind wie aus Peter Pans Neverland, gehören aber zu Venus und Tannhäuser.

So arglos ist dieses sogenannte wilde Familienleben, dass man ernsthaft fragen muss, warum dieser Mann sein Heil in Maria suchen sollte, wo er doch mit der zivilen und verlässlichen Althippiefrau Venus zusammen ist. Draußen erwarten ihn ein uninteressanter künstlicher Steinberg und ein vorzüglich singendes Mitglied des Tölzer Knabenchors.

Schon zur Ouvertüre schaut man dem Tenor Klaus Florian Vogt auf einer Vorhangprojektion beim Schlafen zu, er hat unbehagliche Träume (Video: Rudolfs Baltins). Das dauert eine Weile, wie sich auch die Venusberg-Szene in die Länge zieht, da an dieser Stelle die Pariser Fassung gespielt wird. Der herrlich reifen, üppigen Venusstimme von Tanja Ariane Baumgartner kommt immerhin das Isoldehafte dieser Überarbeitung entgegen. Vogts lichte, knaben-, gar engelhafte Stimme ist indes zunächst weniger dafür geeignet, einen laut Regisseur nicht mehr jungen, missmutigen Tannhäuser hören zu lassen. Ein Lohengrin, der in der Midlife Crisis steckt und nach Rom pilgern soll?

Die Gegenwelt, die daraus und damit nun etwas machen müsste, begibt sich jetzt aber auf dekorativ-konventionelle Pfade. Eine Upper-Class-Jagdgesellschaft unter der milden Führung des gediegen singenden Georg Zeppenfeld als Landgraf. Auch Tannhäuser wird bereitwillig einen der bereithängenden kapitalen Hirsche ausbluten lassen. Elisabeth ist bei der US-Amerikanerin Jennifer Holloway (dem Frankfurter Publikum aus „Der ferne Klang“ bekannt, als Grete Graumann) eine junge, verletzliche, verletzte Frau von Heute. Die feinen Leute feiern derweil nach ihren eigenen Spielregeln. Tomaten werden verteilt, aufwendig gestaltete Hirschköpfe spielen beim Wettstreit eine kleine Rolle. Zu einem spannenden Gegenentwurf zu Venus’ Tropenglück trägt es nicht bei.

Ab jetzt wird auch eher brav absolviert. Zum Finale auf und um den Steinberg singt Christoph Pohl als Wolfram von Eschenbach sehr schön vom Abendstern, muss als Typus aber doch blass bleiben. Wie auch die traurige, suizidale Elisabeth, wobei der sanfte Sopran Holloways noch der interessanteste Kontrast zu Baumgartners Venus ist. Dass Tannhäuser in Rom gescheitert ist, erzählt Vogt aber nun in aller Ruhe und mit verschwenderisch einsetzbarer Kraft, jetzt der perfekte Tannhäuser, der die Stimme des herzlosen Papstes grandios nachäfft. Und er könnte es vermutlich gleich noch einmal singen. Die Personenführung ist unterdessen endgültig auf einem praktikablen Allerweltstannhäuserniveau angelangt.

Ganz am Ende gibt die Regie dem Affen Zucker. Der verstorbene Tannhäuser liegt unter einer Palme, die sich ausklappt und den Blick auf eine, äh, raketen- oder phallusförmige leuchtende Riesenfrucht freigibt. Während Wagner dem Papst zeigt, was eine Harke ist, schlüpfen die Herren des Chores (Leitung: Eberhard Friedrich) ins Parkett, um uns den Schluss in verschärftem Stereo zu präsentieren. Natürlich klingt es imposant.

Dabei tun sich Graben, wo Kent Nagano das exzellente Philharmonische Staatsorchester mit flotten Tempi und ohne besondere Subtilitäten leitet, und Bühne in der Koordination nicht immer leicht. Musikalisch gewinnt der Abend gleichwohl zunehmend an Sicherheit und wird weitgehend bejubelt (ein paar Buhs gegen Nagano). Wie man der vom Premierenpublikum indessen recht kräftig ausgebuhten Inszenierung Mundruczós aus ihrer fatalen Position zwischen halbgaren Einfällen und lahmender Konvention helfen soll, bleibt unklar.

Hamburgische Staatsoper: 1., 4., 8., 12., 26. Mai, 5. Juni. www.staatsoper-hamburg.de

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