Berlin. Regisseur Christoph Loy gibt Franz Schrekers „Der Schatzgräber“ an der Deutschen Oper ein mondänes Ambiente.

Regisseur Christof Loy hat sich in die tieferen Schichten des Opernstoffs hineingegraben und ist zu dem Schluss gekommen, dass diese krude mittelalterliche Märchenhandlung, die sich der Komponist Franz Schreker selbst verfasst hatte, besser eine gesellschaftliche Fallhöhe mit einem realistischen Hintergrund haben sollte. In seiner Inszenierung „Der Schatzgräber“ an der Deutschen Oper ist die mondäne Hofgesellschaft von Beginn an auf der Bühne präsent. Dazu gehören der König, der seiner Sissi-haft zarten Königin ihren gestohlenen Schmuck wiederbeschaffen muss. Ohne das kostbare Geschmeide, eine Art Aphrodisiakum, läuft mit ihr im Bett nichts mehr. Aber der König steht unter Druck, auch weil der Thronfolger noch aussteht.

Denn drumherum lauern in dem düster-marmornen Bankettsaal (Einheitsbühnenbild: Johannes Leiacker) die Hofschranzen im Smoking oder Abendkleid, einige fesche Militärs in Uniform und der freche Hofnarr. Die jungen Frauen mit den Tabletts sind stets dienstbereit. Das zu Diensten sein spielt später in der Traumorgie, die im Zeitlupentempo angelegt ist, eine Rolle. Alle sind willig, jeder treibt es mit jedem, auch die jungmännlichen Militärs untereinander. Insbesondere das Frauenbild ist in der Oper völlig aus der Zeit gefallen. Man reibt sich in der Premiere verwundert die Augen. Aber das gehört mit zur Verklärung von Opernwiederentdeckungen, in denen natürlich eine vorherrschende Männersicht von vor gut 100 Jahren mittransportiert wird. Die Gesellschaft hatte gerade den Ersten Weltkrieg durchgestanden und versucht, Lebens- und Todessüchte zu verarbeiten.

Das Frauenbild ist in dieser Oper nicht mehr zu retten

An der Deutschen Oper hatte sich Christoph Loy mit Korngolds „Das Wunder der Heliane“, Zandonais „Francesca da Rimini“ und jetzt Schrekers „Der Schatzgräber“ eine Operntrilogie über starke Frauen vorgenommen. Bei der Femme fatale ginge es um die sexualisierte Form einer Emanzipation, sagte Loy einmal im Interview. „Der männliche Blick erwartet, dass die Frau immer verführerisch sein muss, wodurch sie sich ihre Rechte nehmen kann.“ Das betraf wohl auch Schrekers Ehefrau Maria, die der ältere Komponist 17-jährig heiratete, die kurzzeitig zum Ensemble der Städtischen Oper Berlin gehörte und später die großen Frauenrollen seiner Opern verkörperte. Auch die Hauptrolle der zwielichtigen Els im „Schatzgräber“ gehörte zu ihren Aufgaben. Das Frauenbild ist jedenfalls nicht zu retten, auch nicht, wenn Loy die Handlung zusätzlich verrätselt.

Schrekers erfolgreichste Oper „Der Schatzgräber“ zählte nach der Uraufführung 1920 in Frankfurt zu den meistgespielten zeitgenössischen Werken der Weimarer Republik. Allein bis 1925 sind 44 Neuinszenierungen nachgewiesen. Die seinerzeit von Kennern bewunderte Oper hat einiges mit Berlin zu tun, nicht zuletzt wurde sie 1922 bereits an der Staatsoper Unter den Linden von Leo Blech dirigiert. Mitte der „Goldenen Zwanziger“ begann eine ästhetische Zeitenwende weg vom Expressionismus hin zur Neuen Sachlichkeit. Die Nazis verordneten der angeblich „entarteten“ Musik des bereits 1934 in Berlin gestorbenen Komponisten ein Aufführungsverbot. Die Renaissance seiner Werke begann zögerlich in den 1980er-Jahren. Es gibt noch viel zu tun für Schrekers angemessene Rückkehr ins Repertoire. Beim „Schatzgräber“ sollten Opernhäuser schon darüber nachdenken, ob sie es ihrem Publikum zumuten können. In der Deutschen Oper zeigte sich das Publikum offen, spendete am Ende überraschend einhellig Beifall.

Dabei wurde es zweieinhalb Stunden lang von schwülstigen Klangmassen überrollt. Man hatte in der Premiere das Gefühl, dass es kein Entrinnen, keine Erlösung gibt. Selbst Marc Albrecht, ein Schreker-Kenner, kann am Pult die komplexen Klangwellen kaum schlanker, durchsichtiger formen. Momente des Innehaltens oder gar Mitatmens etwa bei den Balladen wollten sich nicht wirklich einstellen. Allenthalben erinnert „Der Schatzgräber“ an den bedeutenderen Richard Wagner, zumal der Tristan-Akkord eine wichtige Rolle spielt. Dreht sich in Wagners „Tristan und Isolde“ alles um die Liebessehnsucht, vor allem aber um den Tod, geht es in Schrekers „Schatzgräber“ eher um das Scheitern, um die unauflösbaren Gegensätze von Künstler und Gesellschaft, von Triebsteuerung und echter Liebe oder auch von Realität und Utopie. Es ist viel auf einmal. Am Ende siecht die gescheiterte Femme fatale namens Els dahin, ihr Künstlerliebhaber Elis zieht weiter. Schrekers Künstleroper lässt Fragen zurück.

Der fahrende Sänger wird im Stück eine Art Sonderermittler

Die Sänger haben es im großen Opernhaus nicht einfach, sich ihre Schneisen durch die Klangmassen zu schlagen. Es geht etwas zu Lasten der Textverständlichkeit, die Übertitelung hilft weiter. Der imposante König des Bassbaritons Tuomas Pursio kann rundum überzeugen. Er beauftragt auf Rat seines Hofnarren den fahrenden Sänger Elis als eine Art Sonderermittler. Elis hat eine Zauberlaute, mit der er verlorene Schätze wie mit einer Wünschelrute aufspüren kann. Tenor Daniel Johansson verkörpert eindrucksvoll einen mittelalterlichen Künstlertypus, stimmlich versucht er sich in der Höhe zunehmend mit Kraft durchzusetzen. Die gestalteten Balladen kommen ihm mehr entgegen. Aber der gefeierte Star dieser Aufführung ist Michael Laurenz als Narr. Es ist eine Rolle, die stark an Mime im „Ring des Nibelungen“ erinnert. Eine Partie, die Laurenz ebenfalls singt. Der Tenor verfügt über eine kultivierte Stimmführung, die sich um hohe Textverständlichkeit müht. Obendrein ist Laurenz ein Darsteller mit komödiantischen Qualitäten. Es tut der Oper gut.

Die Frau, um die sich alles dreht, ist eine traurige Figur. Dabei verfallen die Männer reihenweise der Wirtstochter Els. Sie schmiedet mörderische Intrigen, um an den Jugend und Liebe verheißenden Schmuck der Königin zu gelangen. Die einsame Täterin scheint eigentlich ein Opfer zu sein und auf die Couch von Sigmund Freud zu gehören. Aber das kann die Inszenierung nicht leisten. Sopranistin Elisabet Strid sieht sich szenisch nicht als verführerische Els, sondern nutzt ihre Stimmkraft, um sich zu nehmen, was ihr an Applaus zusteht. Das Orchester der Deutschen Oper und der von Jeremy Bindes einstudierte Chor geben ihr Bestes.