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Agnieszka Hauzer (Desdemona), Andeka Gorrotxategi (Otello). Foto: Olaf Struck.
Agnieszka Hauzer (Desdemona), Andeka Gorrotxategi (Otello). Foto: Olaf Struck.
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Ansehnlich mit Fragenzeichen – Giuseppe Verdis „Otello“ an der Oper Kiel

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Gleich zweimal setzte sich das Theater Kiel mit Shakespeares Drama um den eifersüchtigen maurischen Feldherrn in Venedigs Diensten auseinander. Beides hatte im April Premiere, zu Monatsanfang als ein neues Ballett mit dem modischen Titel „Othello 2.0“, am 30., dem letzten Tag im April, dann Verdis „Otello“. Das Tanzstück fußt, wie aus der Schreibung ersichtlich, stärker auf Shakespeares Drama und muss sich erst beweisen. In der Oper dagegen hatten Arrigo Boito mit seinem geschickten Libretto und Giuseppe Verdi mit seinem dichten Klanggewand schon für überzeitliche Gültigkeit gesorgt.

Mit dem „Otello“ wollte die Regisseurin Alexandra Liedtke zumindest neue Akzente setzen. Vor zwei Jahren erst hatte sie mit dem gleichen Team aus Philip Rubner (Bühnenbild) und Johanna Lakner (Kostüme) Berlioz‘ „Die Trojaner“ sehr ansehnlich realisiert. Aber das ist gerade beim „Otello“ ein anerkannt schwierigeres Unterfangen, weil beide, das geschickte Libretto Boitos und vor allem die immer wieder überwältigende Musik Verdis nur enge Ausdeutungen zulassen. Da gibt es etliche Fallen, die ambitioniertes Aus- oder Umdeuten verhindern.

Beifall?

Traut man dem Urteil des Premierenpublikums, bekundete es mit seinem intensiven Beifall wieder höchste Zustimmung. Dass die Sänger anhaltend beklatscht wurden, ist verständlich. Doch die Stimmung änderte sich auch beim Regieteam nicht. Es erschien zum Applaus in schwarzen T-Shirts, jedes mit einem Bekenntnis darauf: „Peace“ war zu lesen und „Empathy“ und bei der Regisseurin „Respect“. Der sei ihr gezollt, weil vieles ansehnlich war, auch wenn etliche Fragezeichen nötig sind. Eines sei hinter das betonschwer anmutende Bühnengebäude mit riesigem Deckenausschnitt gesetzt, in das tribünenartig aufstrebend eine Felslandschaft gesetzt war. Sie bot zwar für allerlei Ebenen und Sitzplätze Raum, auch für naturalistische Kletterkünste, machte als Ummantelung für das Exterieur dennoch keinen nachvollziehbaren Sinn. Warum sollte Zyperns Küste in ein wie immer gedachtes Bauwerk passen? Zudem wurde für den zweiten Teil das ganze Gebilde nach hinten verschoben und ihm eine Glasfassade vorgesetzt. Das Außen war zwar wenn nötig mit ein paar Tricks auszusperren, dennoch ließ sich damit weder die Atmosphäre eines Schlossraums noch die Intimität eines Schlafgemachs herstellen.

Gekleidet waren die Akteure zeitlos und irgendwie zur Rolle passend. Ausgerechnet Desdemona machte eine Ausnahme. Schon beim Liebesduett im ersten Akt kleidete sie das kaum die Knie bedeckende weiße Hemdchen wenig, zumal das Turteln in aller Öffentlichkeit sich auf dem Felsen abspielte. Warum gerade in diesem Moment nur einen Felsblock weiter noch ein Häuflein von Soldaten oder Fischern übrig geblieben war, als wären sie tot unter einem schwarzen Tuch drapiert, verdient ebenfalls ein Fragezeichen, zumal ihnen zum Ende des Duetts bei Otellos „Un bacio … ancora un bacio“ das Tuch wieder abgezogen wurde, worauf ihre Lebensgeister erwachten und sie still verschwanden.

Das Tuch

Nicht alle Merkwürdigkeiten sollen aufgezählt werden. Zu fragen ist vielleicht noch, warum Rodrigo mit einem Golfschläger bewaffnet auftritt oder warum das Betrunken-Machen von Cassio ausgerechnet à la Ballermann aus Eimern geschieht. Auch das ist fragwürdig, warum im letzten Akt Desdemona diesmal ob der Beschuldigungen durch Otello handgreiflich wütend wird und ihrem Herrn Gemahl das bedeutsame Intrigenstück, das Tuch, an den Kopf schleudert. Das geht deshalb nur leidlich, weil sie es vorher ins Wasserbecken taucht, in dem sie später ertränkt (warum das?) werden wird. Dient es zur Charakterisierung  von Desdemona, dass sie vor dem Wurf das Tuch noch sorgfältig auswringt, bevor Otello es an den Kopf bekommt? Mit der Desdemona-Darstellerin wird zudem fraglos ruppig umgegangen, da ihre Liegestatt in ihrer Kemenate lediglich aus drei harten und schmalen Beistelltischen besteht. Schon dort droht das Kleid gänzlich zu verrutschen, mehr noch, wenn Otello sie nach dem Ersäufen an den Füßen packt und über den Boden schleift, wobei das kurze Hemdchen wieder einmal weit über die Knie rutscht.

Es sind Kleinigkeiten, zugegeben, vielleicht Banalitäten, gehäuft machen sie das hochdramatische Stück zur Farce. Erst Verdis nächstes und letztes Bühnenwerk hätte das mutmaßlich vertragen.

Verdi

Ganz anders gelang das Musikalische. Hier war ausgesprochen sorgfältig gefeilt worden. Dario Solari als Jago, auch in dieser Inszenierung die eigentliche Hauptperson, machte Staunen über einen kraftvollen, zugleich klangschönen Bariton. Mit ihm hatte Alexandra Liedtke zudem eine sehr bedachtsame Bewegungsregie erarbeitet, die seinen zwielichtigen Charakter unterstützte und sein böses „Credo in un dio crudel“ zum Höhepunkt werden ließ. Und auch Andeka Gorrotxategi als Otello war nur zu bewundern. Wie sein Tenor von Anbeginn alle Wendungen, die Otello durchleben musste, ohne Ermüdung durchstand, auch ohne den schönen Klang seiner Stimme zu verlieren, war bewundernswert. Alles gelang ihm, das Harte und Weiche, das Strahlende und Besorgnis, das Siegestrunkende wie Verzweifelte – eine delikate Charakterstudie!

Agnieszka Hauzer, Kiels Primadonna als Desdemona, spielte wieder alle Feinheit ihres warm timbrierten Soprans aus. Bemerkenswert war, wie sie alle Erschwernisse ihrer Rolle durchstand und auch im letzten Akt die Kraft zu subtiler Gestaltung beim „La Canzon del Salice“ fand. Neben ihr beeindruckte auch die zweite Frauenstimme, die Mezzosopranistin Cristina Melis, sowie Michael Müller-Kasztelan als Cassio, Fred Hoffmann als Roderigo, Sergey Stepanyan als Lodovico und Samuel Chan als Montano.

Viel Gutes

Kiels Oper hat fürwahr ein gutes Ensemble gefunden, das lebhaft und differenziert durch sein Orchester, den Opernchor und Extrachor sowie den Kinder- und Jugendchor unterstützt wurde. GMD Benjamin Reiners leitete kraftvoll wie sensibel, schaffte eine in jedem Moment angemessene Spannung, ohne die Schönheit der Stimmen oder die des Instrumentalklangs zu überdecken. Es ist ärgerlich, dass die szenische Realisation in vielen Momenten dem musikalischen Niveau nicht entsprach.  

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