Die zwanzigste Aufführung von Das Rheingold in der Inszenierung von Sven-Erich Bechtolf an der Wiener Staatsoper wartete mit einer fast völlig neuen Besetzung auf (einzige Ausnahme: Jochen Schmeckenbecher als Alberich), weshalb es am besprochenen Abend – dem Auftakt zu zwei Ring-Serien – einige Überraschungen gab.

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Jochen Schmeckenbecher (Alberich)
© Wiener Staatsoper GmbH | Ashley Taylor

Viele hatten sich insbesondere an die prä-pandemische Wiener Ring-Besetzung gewöhnt und schöne Stunden mit ihr erlebt, doch ist man gern bereit, sich neue Sängerinnen und Sänger bzw. bekannte Stimmen in neuen Partien anzuhören, zumal die Inszenierung keine ist, die durch besondere Effekte oder gar Ausstattung besticht. Die Metapher „frischer Wind“ ist positiv besetzt und passt zur besprochenen Rheingold-Aufführung, allerdings wirbelte dieser frische Wind hinsichtlich der Besetzung des Wotan mit dem Schweden John Lundgren auch gehörig Staub auf und wurde letztlich zu einem Buh-Sturm.

Doch zunächst zum Positiven und den Highlights: Unter Loges rotblonder Perücke steckte diesmal Daniel Behle, der an diesem Haus zuletzt als Belmonte überzeugte und als Loge seine Spielfreudigkeit ausleben konnte. Hilfreich ist dabei, dass Bechtolf für die Figur des Loge mehr als zum Rest eingefallen ist, denn diese statische Inszenierung braucht die feurige Loge-Dynamik mehr als andere. Für den ersten Aufzug hätte ich mir als Kontrast zu Wotan und den Riesen zwar einen etwas helleren Ton gewünscht, aber der stellte sich im Laufe des Abends von selbst ein. Hervorragend gelungen waren insbesondere die Szenen mit Jochen Schmeckenbecher als Alberich, denn hier trafen einander zwei Sänger und Darsteller auf hohem Niveau.

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Artyom Wasnetsov (Fasolt), Daniel Behle (Loge) und Dmitry Belosselskiy (Fafner)
© Wiener Staatsoper GmbH | Ashley Taylor

Schmeckenbecher sang an diesem Abend bereits seinen siebten Wiener Rheingold-Alberich, und als bekennende Ring-Liebhaberin freue ich mich über den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, da passte einfach alles. Neu ist hingegen Jörg Schneider in der Partie des unterdrückten Alberich-Bruders Mime. Schneider verfügt über einen schönen, geschmeidigen Tenor, etabliert sich aber in letzter Zeit immer mehr als Charaktertenor, etwa als Hauptmann in Wozzeck. Auf so einer Basis lässt sich die Figur des Mime hervorragend gestalten, denn durch das Aufblitzen der stimmlichen Klasse unter Mimes Gejammer spürt man, dass sich dieser Alb zu Höherem berufen fühlt – ein Aspekt, der bei anderen Interpreten kaum zu spüren ist. Auch an darstellerischem Einsatz fehlte es nicht.

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Monika Bohinec (Fricka) und John Lundgren (Wotan)
© Wiener Staatsoper GmbH | Ashley Taylor

Ebenso erfreulich die meisten anderen Debüts: Als neues Riesenduo überzeugten Artyrom Wasnetsov als liebeshungriger Fasolt und Dmitry Belosselskiy als dessen Brudermörder Fafner. Insbesondere Belosselskiy besticht mit profunder Stimme und perfektem idiomatischem Deutsch, und ganz allgemein war die Diktion aller hervorragend, sodass man sich das Mitlesen der Texte ersparte. Einen charmanten Nervositäts-Versprecher gab es nur mit „Wer der Minne Macht versagt“ (statt: entsagt), aber ansonsten waren die neuen Rheintöchter (Woglinde – Joanna Kędzior, Wellgunde – Patricia Nolz, Flosshilde – Stephanie Maitland) in Bestform, sehr ausgewogen und gut aufeinander abgestimmt. Ebenso wie der erwähnte Artyrom Wasnetsov ist dieses Damentrio Mitglied des Opernstudios, und diese Vorstellung ein (weiterer) Beweis für den Sinn und die Qualität dieser Einrichtung. Auch Donner war mit Erik Van Heyningen aus dem Opernstudio besetzt und formte mit Ensemblemitglied Daniel Jenz (Froh) ein ansprechendes „Nebengötter“-Duo.

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Monika Bohinec, Regine Hangler, John Lundgren, Daniel Jenz, Erik Van Heyningen
© Wiener Staatsoper GmbH | Ashley Taylor

Die Ur-Göttin Erda war zur Abwechslung mit einer jungen Stimme besetzt, und Noa Beinart zeigte den Skeptikern, dass das eine sehr gute Wahl sein kann; bravo für diese Leistung – mir fehlte das weite Vibrato manch reiferer Erda-Sängerin nicht. Ebenso gefiel Regine Hangler als Freia, deren rollenbedingte „helle Aufregung“ nie ins Schrille abhob. Monika Bohinec hat mit Auftritten als Erda, Erster Norn und in der Walküren-Schar profunde Ring-Erfahrung, und macht auch als Fricka beste Stimme und Figur. Leider machte es ihr Wotan nur zu leicht, in dieser Ehe die Hosen anzuhaben, denn John Lundgrens Darbietung erinnerte eher an den reifen John Malkovich denn an den Gott mit den großen Plänen, und seiner Stimme fehlte die Durchschlagskraft – diesbezüglich ist man hierorts das genaue Gegenteil gewohnt.

Den übrigen Sängern und dem Orchester unter der Leitung von Axel Kober wurde heftig und ausdauernd (und verdient) applaudiert. Nun hätten ein, zwei Einsätze der acht Hörner zu Beginn weicher ausfallen können, aber das ist Kritik auf hohem Niveau, denn ansonsten war das Orchester bestens disponiert; insbesondere Albena Danailova am Konzertmeisterpult spiegelte das „rote Gold“ aus dem Libretto mit ebensolchem Ton. Axel Kober erwies sich als Klangmagier, dirigierte sängerfreundlich und temperamentvoll zugleich, trieb dabei das Orchester zu Höchstleistungen. Die Übergänge (Walhall – Nibelheim und retour) gelangen in absoluter Präzision, und auch die Regenbogenbrücke schimmerte bunter als gewohnt.

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