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Opern-Kritik: Bayerische Staatsoper München – Les Troyens

Opas Oper trifft Pornoprovokation

(München, 9.5.2022) Die Inszenierung der Grande Opéra von Berlioz durch den Franzosen Christophe Honoré ist ein peinlicher Totalausfall. Dennoch retten gleich drei Männer einen Opernabend der großen Langeweile.

vonPeter Krause,

Unter den befeuernden Händen von Daniele Rustioni gewinnt man vom ersten Takt an den Eindruck einer jugendfrischen, einer ungestümen, ja einer überschäumenden Partitur. Der Italiener, der als Musikdirektor der Opéra Lyon zuletzt mit Verdis „Rigoletto“ restlos begeisterte, nimmt sich nun an der Bayerischen Staatsoper der extra großen Grand Opéra des Hector Berlioz an. Mehr als fünf Stunden einschließlich zweier Pausen muss man für „Les Troyens“ im Münchner Nationaltheater weilen, bis – Richard Wagner lässt zumal mit Anklängen an das Edelbordell des Venusbergs aus dem „Tannhäuser“ grüßen – Königin Dido von Karthago wie die Bayreuther Göttertochter Brünnhilde den finalen Freitod auf dem Scheiterhaufen findet. Nur wie gut es Rustioni mit seinem Berlioz nicht nur meint, sondern wie gut er ihn wirklich dirigiert, lässt sich auf dem Presseplatz am Rand von Reihe 11 im Parkett kaum beurteilen. Denn Deutschlands führendes Opernhaus hat eben nicht nur mehr als 2000 Plätze zu bieten, es hat auch einige akustische No-go-Ecken, von denen das Pressebüro des stolzen Theaters nur so gar nichts zu wissen scheint. Es ist eine Pein: Denn die schnellen Noten der Blechbläser hört man hier am Rand immer mindestens zwei Mal, auch das Schlagzeug bricht sich an der Seitenwand wie das Echo von Gewehrsalven im Wald, die mutmaßlich guten bis sehr guten Sänger sind dafür deutlich schwächer zu hören als die wackere Souffleuse, die den Anfang neuer Textzeilen verblüffend früh gen Bühne ruft.

Szenenbild aus „Les Troyens“
Szenenbild aus „Les Troyens“

Szenische Totalverweigerung und der Vorteil billiger Plätze

Rustionis energetisch straffer Zugriff wirkt an diesem Nicht-Platz im Ergebnis noch knackiger, als er von ihm gemeint ist. Erst der freiwillige Platzwechsel nach der letzten Pause in einen oberen Rang offenbart, welche Streicherwärme und welche klanglichen Feinheiten der junge Maestro mit dem Bayerischen Staatsorchester eben auch hervorrufen kann. Und wie gut er die Balance von Sängern und Orchester auspendelt, die sich an besagtem akustischen Unort eben kaum einstellen mag. Oben auf den billigen Plätzen hört man also sehr viel besser, sieht dafür von der Inszenierung deutlich weniger. Was sich zur Premiere dann im fünften und letzten Akt als doppelter Glücksgriff erwies. Denn was Christophe Honoré in München als Inszenierung ablieferte, glich einer Totalverweigerung der Auseinandersetzung mit dem Werk, das – zugegebenermaßen – szenisch schwer zu realisieren ist. Das liegt zunächst an den Herausforderungen der Gattung: Schließlich wechseln in der Grand Opéra Arien, Duette, Ensembles und Chöre munter mit Balletteinlagen. Man liebte und erwartete zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich eben das Divertissement, das die tragischen Opernstoffe mit der erotischen Anmut von ansehnlichen jungen Ballerinen aufhübschen und auflockern sollte. Durchdachte dramaturgische Stringenz, die das Musiktheater heute fordert, ist mit den tänzerischen Einlagen freilich schwer herzustellen.

Szenenbild aus „Les Troyens“
Szenenbild aus „Les Troyens“

Wenn schwule Jungs alle Hüllen fallen lassen

Wer das Werk, wie jetzt in München, ohne musikalisch schmerzliche Striche zur Aufführung bringt, muss also eine Lösung für die Ballettnummern finden. Christophe Honoré, der während der Intendantenjahre von Serge Dorny in Lyon – des neuen Münchner Opernchefs – manch wirklich Starkes wie Puccinis „Tosca“, aber auch manch Unsägliches auf die Bühne brachte, ihm fiel nun für die szenisch zu füllenden Balletteinlagen ein, diese mit der Präsentation nackter Männer zu füllen. Wenn das dekadente Lotterleben von Karthagos Königin zu Beginn des dritten Aktes gezeigt wird, zu der sich Dido schon mal von einem alle Hüllen fallen lassenden Kerl eine Zigarette schnorrt, dann passt das Bild von dieser Badeanstalt der postantiken Freikörperkultur sogar. In der Frauenherrschaft Didos leisten sich dominante Damen eben allzeit verfügbare und bereite Männer, auch und gerade, wenn sie gerade gar kein Interesse an deren Angebot an Potenz haben. Für die entsprechenden Szenen im vierten Akt allerdings muss Christophe Honoré eine Schippe drauflegen. Und da er im Hauptberuf Filme macht, stellt er hier nun die zugespitzte Frage, ob denn ein derartiges Matriarchat in der Folge nicht zur Männerliebe führen muss und blendet Videos von selbst gedrehten Pornos ein, in denen sich weiße und schwarze Männer auch mal zu dritt lieben. Die schwülen schwulen Filmchen lassen dabei offen, ob der Regisseur in der Homosexualität einen gesellschaftlichen Fortschritt wittert, der dem ewigen Kampf der Geschlechter ein Ende bereitet, oder ob er hier von Verfallserscheinungen sprechen will.

Szenenbild aus „Les Troyens“
Szenenbild aus „Les Troyens“

Die antiken Götter sind katholisch marienfromm

Der deftige Porno bleibt somit letztlich eine mehr oder weniger dekorative Provokation ohne jeden musiktheatralischen Mehrwert. Denn die Porno-Provokation trifft an diesem Abend auf die Statik von Opas Oper, in der die Sänger an der Rampe geparkt und mit abgestandenen Operngesten sich selbst überlassen werden. Denn jenseits seiner eindeutig nicht jugendfreien Zutat (auf die bei Kartenkauf im Internet mit der Warnung von „Filmszenen mit expliziten Inhalten“ hingewiesen wird), entwickelt der Franzose keinerlei Haltung zum Stück, er stellt keine Fragen und gibt keine Antworten. Da darf dann halt die Cassandre der mezzoältlichen Marie-Nicole Lemieux in Teil 1 der Oper mit Vorliebe im Sitzen singen, bei gesteigerter Erschütterung auch mal im Liegen, im Normalfall schreitet sie bedächtig. Was das Schicksal dieser Dame der Antike (zu Beginn ist sie verschleiert) sein könnte, bleibt im Unklaren. Brechts Episches Theater findet dann über Frankreich zurück nach Bayern, wenn das legendäre Trojanische Pferd weder konkret noch in einer sinnstiftenden Übersetzung auf die Bühne kommt, sondern allein mit dem leuchtenden, aber nicht erleuchtenden Schriftzug „DAS PFERD“. Nun denn, einen kleinen Deutungsansatz gibt es doch, wenn die Trojaner von ihren alten Göttern singen, dann werden sie in München geradewegs zu Katholiken: Eine Marienstatue nebst Kerzenschein verdeutlicht es ebenso wie der baritonnoble Stéphane Degout als herrlich singender Chorèbe im türkisen Kardinalsgewand.

Szenenbild aus „Les Troyens“
Szenenbild aus „Les Troyens“

Ist das Publikum wirklich so dumm und naiv?

Das Problem der in der Grand Opéra nicht unwichtigen Chor-Regie hat Christophe Honoré sodann auch erkannt und herausgefunden, dass die Äußerungen des Kollektivs – wie bei nahezu allen Opern des 19. Jahrhunderts – von erschreckender Naivität und voller simpler Klischees steckten. Da mag er recht haben. Seine Konsequenz aus der Erkenntnis: Er steckt den Chor in Abendgarderobe und lässt ihn konzertant auftreten. Dadurch werde der Chor zum Repräsentanten des Publikums auf der Bühne, wie der Regisseur im Programmheft verlautbart. Damit sagt er nichts anderes, als dass Operngänger ebenso dümmlich naiv seien wie die verführbare Masse im Stück. Das Premierenpublikum indes ließ sich den Vorwurf der Verdummung kaum gefallen: Es buhte lautstark, als Honoré und sein Team endlich auf die Bühne traten. Zu jubeln gab es hingegen wenig: Neben Rustioni und Stéphane Degout waren es zur Premiere die königinnenmezzostolze Dido von Ekaterina Semenchuk und im Besonderen der tolle Tenor des Amerikaners Gregory Kunde, der den Enée mit so viel Schmelz und ideal eingebundener Voix mixte adelte, dass man dem späteren Gründer von Rom kaum verübeln konnte, dass er das (szenische) Elend von Troja und Karthago zugunsten eines neuen Weltreichs verlassen musste.

Bayerische Staatsoper München
Berlioz: Les Troyens

Daniele Rustioni (Leitung), Christophe Honoré (Regie), Katrin Lea Tag (Bühne), Olivier Bériot (Kostüme), Dominique Bruguière (Licht), Comité dans Paris (Film), Katja Leclerc (Dramaturgie), Marie-Nicole Lemieux, Eve-Maud Hubeaux, Ekaterina Semenchuk, Lindsay Ammann, Daniel Noyola, Stéphane Degout, Martin Snell, Armando Elizondo, Gregory Kunde, Sam Carl, Roman Chabaranok, Daniel Noyola, Bálint Szabó, Martin Mitterrutzner, Andrew Hamilton, Jonas Hacker, Theodore Platt, Andrew Gilstrap, Chor der Bayerischen Staatsopernchor, Bayerisches Staatsorchester

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