Tannhäuser in Hamburg: Warten auf Tarzan

Xl_0a4dd43d-ce06-4697-8d1a-0c939c783119 © Brinkhoff/Mögenburg

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
Premiere am 24. April 2022

Besuchte Aufführung am 8. Mai 2022


Staatsoper Hamburg 

Der Regisseur Kornél Mundruczó stemmt einen kleinkarierten Tannhäuser auf die Bühne, der musikalisch mit großartigen Sängern unter Kent Nagano filigran brilliert

Den Kern der Handlung bei Richard Wagners Tannhäuser erzählt die Zerrissenheit Tannhäusers zwischen den Welten der Venus als Sinnbild fleischlicher Liebeslust und Elisabeths als Gegenwelt und Sinnbild einer christlichen Maria der Selbstopferung. Zwischen den beiden extremen Verkörperungen des Weiblichen gerät Tannhäuser in intensive Auseinandersetzungen mit den Vertretern einer moralin-sauren, gesellschaftlichen Realität und den menschenfeindlichen, ihn verstoßenden Dogmen des Papstes.   

Wie nähert man sich heute Richard Wagners Tannhäuser, dem Werk, das der Komponist nach eigenem Bekenntnis der Welt in einer Endfassung schuldig blieb? Wie kann man heute mit den Heiligenbildern einer Elisabeth/Maria umgehen und dem christlichen Bezug der Oper?

Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó zusammen mit seiner Bühnenbildnerin Monika Pormale sowie in den Kostümen von Sophie Klenk-Wulff hat für die Venus-Welt die alte 1968-Mythen-Schleuder bemüht. Darin haust Tannhäuser mit seiner Kommunardin Venus, ihren mittlerweile gar nicht wenigen gemeinsamen Kindern und bereits schwangeren Nachkommen in der grünen Hölle eines über-fruchtbaren Regenwaldes mit vielen Lianen, allerdings ohne Tarzan. Die Großfamilie lebt in einer Bretterbude im Untergehölz sowie im Wald. Tannhäuser gemäß der Ausführungen Mundruczós im Programmheft „... ist ein neurotischer, ausgebrannter, depressiver Mann (...) in Midlife-Crisis (...) ein schwerfälliger, hochmütiger Mann mit echten Sensibilitätsproblemen...“ 

Die Szenen des Sängerwettbewerbs sind in einer schnee-weißen, reichlich mit kunstgewerblichen Ausschmückungen, Bebilderungen und Kostümen gestalteten Welt des Landgrafen von Thüringen angesiedelt, die allerdings zeitweise bei Verlust eines repräsentativen Wandteppichs auch mal wieder einen kurzen Einblick in die zerfranste Dschungelwelt im Hintergrund freigibt. Elisabeth schließlich findet den „Archetyp des Titans“ (Mundruczó) in Tannhäuser anziehend, wird aber letztlich als „traumatisierte Person“ in den Selbstmord getrieben. 

Für Mundruczó ist nach eigener Aussage unsere aktuell überregulierte Welt generell der ideale Hintergrund, die Tannhäuser-Geschichte so neu zu erzählen, denn der Wunsch von uns allen auszubrechen, etwas zu verändern, sei ja schließlich sehr ausgeprägt...  

Soviel Schlichtheit und bildhafte Spießigkeit ist selten. Wie verkauft man ein solches Konzept der künstlerischen Leitung eines Opernhauses? Das weitgehend selbe Team bringt im Dezember in München einen neuen Lohengrin heraus, erstaunlich. 

Dass man mit dem schwierigen Sujet des Tannhäuser auch in ganz anderer, intelligenter und differenzierter Weise umgehen kann, hat in einer der wesentlicheren neuen Produktionen der letzten Jahre Christoph Loy 2019 in Amsterdam gezeigt. Hier spielt die Handlung zur Zeit der Entstehung in den Nebenräumen der Pariser Oper, wie in einem Vorort zum Bordell, in dem alle ehrenwerten Mitglieder der Gesellschaft verkehren und ihre Bigotterie ausleben.

Die musikalische Seite der Umsetzung in Hamburg frappiert ebenso, jedoch auf außerordentlich positive Weise und auf höchstem Niveau.

Der spiritus rector dieser Konzeption ist Kent Nagano, der das gesamte Werk in einer äußerts feingliedrigen, leisen, sensiblen und dem Liedgesang nach-gehorchten Weise entfaltet. Das gilt über die gesamte Struktur der Partitur. Der Wagnerfreund, der rauschende Streicherkaskaden und krachendes Trompetengeschmetter liebt, mag hier nicht auf seine Kosten kommen. 

Vielmehr wird in jeder Phrase und in jeder Note dem romantischen, deutschen Liedgesang nachgeforscht. Ob im Zusammenspiel von Stimme und Harfe oder von Stimme und delikat tönenden Holzbläsern. Die Deklamation aller Sänger ist ausnahmslos vorbildlich und von außerordentlicher Textverständlichkeit. Das trifft auch für den Chor der Staatsoper zu, der unter der bewährten Leitung von Eberhard Friedrich so durchhörbar und leicht klingt.  

Bei den Protagonisten überzeugt allen voran Klaus Florian Vogt als Tannhäuser mit jugendlichem Auftritt in Stimme und Erscheinung. Der Sänger geht durch die Handlung wie ein erstaunter Junge. Jede Silbe ist verständlich und das tendenziell helle Timbre unterstützt noch die Ausdruckskraft. Die enorme Disziplin in den leisen, liedhaften Passagen verschafft dem Rollenportrait große Authentizität.

Jennifer Holloway, die nur wenige Monate zuvor in Hamburg so glaubwürdig die Chrysothemis in Richard Strauss‘ Elektra dargestellt hatte, kann in der Rolle der Elisabeth ebenso überzeugen. Ihr physischer Auftritt gibt einem nach innen gerichteten Rollenportrait Überzeugungskraft.

Tanja Ariane Baumgartner ist eine ebenso überzeugende Venus. Den Stimmen der beiden Protagonistinnen hört man an, dass sie auch in ganz anderen Orchesterfluten zum Einsatz gekommen sind. Die fein-ziselierten Schattierungen der einen oder anderen Piano-Passage gelingen nicht ganz ohne ein gewisses Vibrato.

Als ob es nicht den Funken einer Mühe bedarf, singt und spielt Georg Zeppenfeld auch in Hamburg wieder einen perfekten Landgraf Hermann.

Christoph Pohl besticht durch einen formschön und mit ruhiger Ausdruckskraft getragenen Wolfram von Eschenbach. Auch Daniel Kluge als Walther von der Vogelweide und Levente Páll als Biterolf stehen den anderen Mitgliedern des Ensembles in keiner Weise nach. 

Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg weiß auch trotz der vielfach zurückgenommenen Dynamiken und eines nicht zu schnellen Tempos durch die außerordentliche Klangschönheit und Akkuratesse in Einheit mit den Solisten und dem Chor sowie den Solo-Orchesterpassagen grandios zu überzeugen. 

Ein großer Abend für die Musik Richard Wagners bei peinlicher szenischer Umsetzung.          

Großer Applaus des in einer Sonntag-Nachmittagsvorstellung gut gefüllten Hauses. Der gelegentlichen Unruhe und bei allen Piano-Passagen störenden Husterei zufolge sind wir nunmehr in einer Zeit nach Corona angekommen.   

Achim Dombrowski

Copyright: Brinkhoff/Mögenburg

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading