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Rúni Brattaberg (Archibaldo) und María Fernanda Castillo (Fiora) in „L’amore dei tre re“ in Lübeck. Foto: Olaf Malzahn
Rúni Brattaberg (Archibaldo) und María Fernanda Castillo (Fiora) in „L’amore dei tre re“ in Lübeck. Foto: Olaf Malzahn
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Liebe als Zwang, als Pflicht und als Lust: Italo Montemezzis „Liebe der drei Könige“ in Lübeck

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Schleswig Holstein präsentiert sich für eine Woche als Land der Entdeckungen. In Kiel fand Alessandro Scarlattis „Cambise“ nach 303 Jahren auf die Bühne zurück und Lübeck überraschte mit Italo Montemezzis Oper „L’amore dei tre re“, nicht gleichermaßen altertümlich, dennoch ebenso ausgefallen.

Die Oper wurde 1913 an der Mailänder Scala erfolgreich uraufgeführt, im Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Solche Ereignisse verhindern vieles, auch Erfolge von Kunstwerken, so den dieser Oper. In Berlin war schon 1914 ein erstes Nachspielen vorgesehen, erfolgte aber erst fünf Jahre später nach dem Ende des imperialen Gemetzels, dann 1928 noch eine zweite - und darauf viele Jahre nichts. 1992 erinnerte sich Kassel an das Werk, ohne dass dem eine nachhaltige Wirkung folgte. Erst jetzt, seit dem 13. Mai 2022,  ist sie wieder an einem Theater zu erleben.

„L’amore dei tre re“ ist ein veritables Produkt der Belle Époque. Alle ihre künstlerischen Strömungen und das Lebensgefühl der Zeit scheinen sich in dem Werk zu vereinen. Spätromantisches ist zu hören wie Impressionistisches bis hin zu kurzen freitonalen Strukturen. Man denkt in Momenten an Wagner oder Puccini, an Strauss oder Debussy, hört dann aber nur Montemezzi. Er hat eine eigene Ausdruckswelt gefunden, keine eklektische, mit raffinierten Klangwirkungen und einem besonders engen Zusammenwirken von Handlung und Musik. Sie wirkt eigenständig und nimmt gefangen. Das Libretto nutzt zudem Einflüsse vom Naturalismus, Symbolismus, auch dem Expressionismus. Alles zusammen ergibt eine Mixtur, die mitreißend vital und überraschend sensibel ist. Es lässt sich daher kein Grund dafür finden, dass „Die Liebe der drei Könige“, so ihr Titel in Deutschland, keinen Anklang fand.

Dieses Werk aufzuführen war Stefan Vladar,  in der Hansestadt GMD, ein Jahr später zudem Operndirektor, eine Herzenssache. Von seinem Bruder Michael, Paukist  bei den Wiener Symphonikern, hatte er eine innerfamiliäre Empfehlung bekommen. Das Studium der Partitur und erste Klangproben hatten ihn zunehmend von der Oper begeistert. Jetzt hofft er, für sie ein breites Interesse zu wecken, eines, wie sie es in Amerika hatte, wo Arturo Toscanini ihr mit seinem Dirigat 1914 an der Met einen langjährigen Erfolg ebnete.  

Ein düsteres Geschehen

Als Libretto hatte Montemezzi das gleichnamige Bühnenstück von Sem Benelli gewählt, eines fast gleichaltrigen italienischen Dramatikers. Sein düsteres Stück greift bis ins 5. oder 6. Jahrhundert zurück, besitzt sogar einen historischen Kern und erzählt von einem nordischen Usurpator, der sich eine römische Provinz an der Westküste Portugals eroberte. Es ist Archibaldo, der inzwischen alt und blind gewordene barbarische Herrscher über Altura, das er schon 40 Jahre unterdrückt. Um sich dem Volk zu „nähern“, hat er seinen Sohn Manfredo mit der heimischen Prinzessin Fiora vermählt. Sie war vorher dem Prinzen Avito versprochen und fühlt sich ihm weiterhin verbunden, umso mehr, weil Manfredo in vielerlei kriegerische Ereignisse verwickelt ist und sie ständig allein lässt.
 
Archibaldo wittert Fioras Interesse für Avito und befiehlt argwöhnisch seinem Diener Flaminio, beide zu  beobachten. Der aber, ein Alturer, steht zu Fiora und  hilft dem Paar in brenzligen Situationen. Die gibt es im Laufe der Opernhandlung mehrmals, weil auch der Schwiegervater Fiora nachstellt. Seine sexuelle und ruppige Besitzgier ist die eine der drei im Titel versprochenen königlichen „Lieben“. Die zweite ist das distanzierte eheliche Verhalten von Manfredo, der das Böse in seinem Vater erst erkennt, als der Fiora brutal aus selbstsüchtiger Eifersucht erwürgt hatte. Die dritte Liebe, die Fioras Lebensbedürfnis am ehesten entspricht, ist die ihres Liebhabers Avito. Sie beflügelt sie, bringt sie aber zugleich in Gewissenkonflikte Manfredo gegenüber. Das alles ist ein brisantes Gemenge, das für sich schon einigermaßen spannend ist, durch Montemezzis Musik wunderbar durchleuchtet wird. Er hat den Textkörper gelassen, den Worten kunstvolle melodische Wendungen gegeben und sie durch das Orchester in einen farbigen und aktiven Klangraum gesetzt.

Jugendstil

Martin Dülfers Theaterhaus in Lübeck mit seinem üppigen Jugendstildekor, 1908, nur kurz vor Montemezzis Werk entstanden, inspirierte offenbar Stefan Heinrichs Bühnenbilder, in denen sich Effie Mendez in den meisten Phasen verständliche Regiestruktur verwirklichen ließ. Sechs deckenhohe, monolithische Karyatiden, leicht nach vorn gebeugt, tragen goldfarbene Platten. Im letzten Bild versperren drei weitere im Hintergrund den Raum und machen ihn der dramatischen Entwicklung entsprechend zu einem archaischen Mausoleum. Das Gold der Decke findet sich nicht nur bei den großen Kissen des Bettes, auch auf den beziehungsreich eingeblendeten Jugendstilbildern von Gustav Klimt. Es sind die „Nuda Veritas“ und „Der Kuss“. Das letztere übernimmt damit das wichtigste Handlungs- und Wortmotiv für das Leben der Figuren und für ihren Tod. Die Akteure tragen simple Straßenkleidung (Kostüme: Ilona Holdorf-Schimanke) unserer Zeit, womit die Gültigkeit des Geschehens über alle Jahrhunderte hinweggehoben wird.      

Am Pult hat Vladar die Partitur dynamisch und klanglich mit großer Finesse umgesetzt und das Orchester zu einer höchst spannenden Interpretation angeregt. Das ist die eine Seite des großen Erfolges, den das Haus mit dieser Produktion erzielte. Die andere Seite ist ein stimmlich grandios besetztes Sängerensemble, das im Phänotyp und im Stimmcharakter erfreulich zur jeweiligen Rolle passte, zudem bis auf den Sänger des Manfredo aus dem eigenen Haus besetzt war. Allerdings bietet diese Oper für die Primadonna eine der merkwürdigsten Rollen. Sie ist nahezu während der ganzen Dauer auf der Bühne präsent. Auch die letzte halbe Stunde ist nicht ausgenommen, nachdem sie drastisch erdrosselt wurde und keines Tones mehr mächtig war. Diese Rolle, die Fiora, verkörperte Maria Fernanda Castillo berührend und intensiv. Ihr leuchtender Sopran schattierte alle Gefühlsregungen von glühender Zuneigung über Abwehr und Kontemplation in glaubhafter Art.

Yoonki Baek als Avito konnte wieder seinen beweglichen Tenor bravourös für alle intensiven Gefühlsregungen einsetzen, während die ungemein kraftvolle, zugleich wendige Baritonstimme des Gastes Anton Keremidtchiev dem Manfredo einen duldenden, eher scheuen Mann zu geben hatte. Wie er seine Haltung dem Vater gegenüber dennoch verteidigte, zeigte ihn als einen großen Charakterdarsteller. Ein besonderes Erlebnis wurde Rúni Brattaberg, für den diese Rolle von der Statur wie vom Stimmorgan geschaffen schien. In seiner Körpergröße überragte er alle, selbst seinen nicht klein geratenen Sohn Manfredo. Seine Stimme beherrschte alle, so wie er sie in allen Registern beherrschte, auch über die Länge seiner vielen Auftritte, eine grandiose Leistung! Den Flamino schließlich zeichnete Noah Schaul mit seinem gut sitzenden Tenor. Vergessen seien nicht die kleineren Rollen und der klangvoll intonierende Chor, auch sie hielten das hohe Niveau.    

Der lange Applaus bewies, dass diese Oper stark beeindrucken kann. Ein sehr guter Erfolg für ein eher kleines Haus!

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