Mit Benjamin Brittens Death in Venice kommt London nach Wien, und die Reise von Sir David McVicars Produktion für das Royal Opera House in Covent Garden an den heimischen Gürtel hat sich gelohnt. Mit der letzten von ihm verantworteten Premiere hat der scheidende Volksoperndirektor Robert Meyer einen Coup gelandet: Musik, Gesang und Tanz verschmelzen in McVicars Inszenierung zu einem Gesamtkunstwerk, das man gesehen haben sollte.

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Rainer Trost (Gustav von Aschenbach)
© Barbara Pálffy

An der Wiener Staatsoper waren schon einige von McVicars werktreuen, opulent und edel ausgestatteten Arbeiten zu sehen, wobei das Spektrum von braver Konvention wie in Adriana Lecouvreuer bis hin zu überwältigender Grandiosität wie in Les Troyens reicht. Der Tod in Venedig fällt eindeutig in letztere Kategorie – vielleicht auch deshalb, weil Tanzszenen geradezu ein Markenzeichen von McVicar-Opernproduktionen sind und Tanz in diesem Werk explizit gefordert ist. Das Objekt der Schwärmerei und schließlich der Begierde des alternden Schriftstellers Gustav von Aschenbach ist von einem jungen Tänzer darzustellen, und die Glaubwürdigkeit der Gefühlswelt des Protagonisten hängt ganz wesentlich von der Qualität dieser Tanzszenen und ihrer Einbindung ins sonstige Bühnengeschehen ab. In dieser Produktion wird ihnen viel Platz eingeräumt, wodurch in der ästhetischen Ausstattung von Vicki Mortimer und unter der großartigen Lichtregie von Paule Constable sommerlich-heitere wie erotisch aufgeladene Szenen entstehen, auch wenn die Kostüme alles andere als aufreizend sind, sondern Reich und Schön um 1910 zeigen und in den Strandszenen unbeschwerte Urlaubslust der Siebziger Jahre vermitteln. Handwerklich souverän gemacht ist alles stimmig und doch nie langweilig oder vorhersehbar, jeder Effekt wohl kalkuliert und von einer überraschenden Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit in der unheilschwangeren Stimmung des Werks.

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Martin Winkler (Ältlicher Geck)
© Barbara Pálffy

Die düstere Seite entwickelt sich abseits des Strandes in den Gondelszenen und zwischen massiv wirkenden, aber beweglichen Säulen, welche die Kulisse für die Hotellobby, den Barbiersalon sowie die anderen Schauplätze Venedigs bilden. Der Wechsel dieser vielen Schauplätze ist mit viel Fingerspitzengefühl und nahezu bruchlos inszeniert, die Umorganisation der Kulissen bemerkt man, gebannt vom sonstigen Geschehen, kaum.

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Rainer Trost (Gustav von Aschenbach) und Martin Winkler (Der alte Gondoliere)
© Barbara Pálffy

Das liegt auch daran, dass man mit Rainer Trost eine exzellente Besetzung gefunden hat, denn die Partie des von seiner Inspiration verlassenen Schriftstellers ist ihm auf den Leib geschrieben und zieht das Publikum in seinen Bann. Trost hat sich längst einen Ruf als hervorragender Sänger-Schauspieler erarbeitet und er zeigt in dieser fordernden Partie keinen schwachen Moment, obwohl er praktisch ständig auf der Bühne ist und Brittens Musik viel Konzentration erfordert. Besonders glänzen kann er in den klavierbegleiteten Passagen, die Aschenbachs innere Zerrissenheit zeigen und mit den lebhaften Alltagsszenen alternieren Darin findet Trost den richtigen Gefühlsausdruck zwischen Beethoven‘schem Sturm und Drang und Schubertliedhafter Schwärmerei und bleibt doch immer ganz bei Britten. Die Pianistin Chie Ishimoto ist ihm dabei eine feinsinnige Begleiterin. Gerrit Prießnitz am Pult dirigiert das Volksopernorchester mit Umsicht und Liebe zum Detail. Die Musik des ersten Aktes klang durch das teils scharfe Hervortreten einzelner Instrumente vielleicht ein wenig transparenter oder zerrissener als gewohnt, doch wirkt auch das stimmig. Im Laufe des Abends entstehen auch jene schwül-schwebenden Klänge, die die stehende Lagunenluft und Aschenbachs aufgestaute Leidenschaft charakterisieren.

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Victor Cagnin (Tadzio) und Rainer Trost (Gustav von Aschenbach)
© Barbara Pálffy

Mit Martin Winkler lebt Prießnitz die alte Weisheit, wonach Timing nicht nur das wichtigste Element einer Komödie ist, sondern auch den sieben teils grotesken Erscheinungsformen des Reisenden gut ansteht. Als vielgestaltiger Wegweiser in Aschenbachs Untergang ist Winkler als „Wanderer“ zunächst weder vom Aussehen noch von der Stimme her erkennbar, gibt den Gondoliere mit dem Nimbus des Fährmanns in die Unterwelt, den Hotelmanager aalglatt und den Barbier aufdringlich-geschwätzig. In grotesken Rollen wie dem peinlichen alten Gecken kann ihm ohnehin kaum jemand das Wasser reichen.

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Thomas Lichtenecker (Stimme des Apollo), Victor Cagnin (Tadzio), Rainer Trost (Gustav v. Aschenbach)
© Barbara Pálffy

In die Riege der Glanzleistungen reiht sich Countertenor Thomas Lichtenecker als Apoll ein; mit hell timbrierter und sauber geführter Stimme vermittelt er glaubhaft das apollinische Prinzip, konträr zum Lustprinzip, das durch den Reisenden/Dionysos verkörpert wird. Der Wettstreit dieser beiden antiken Götter in Aschenbachs Kopf wird durch den Chor unterstützt, welcher, zu beiden Seiten der Bühne in je vier Logen platziert, für einen großartigen räumlichen Klangeffekt sorgt. Einige der besten Ensemblemitglieder des Hauses übernehmen mehrere der vielen Nebenrollen und können nur pauschal gelobt werden, auch wenn Christian Drescher als Hotelportier, Ben Connor als Reisebüroangestellter/polnischer Vater und insbesondere Martina Mikelić als Bettlerin besonderen Eindruck machten.

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Victor Cagnin (Tadzio) und Rainer Trost (Gustav von Aschenbach)
© Barbara Pálffy

Aschenbachs Schwarm Tadzio wurde wurde von Victor Cagnin getanzt. Er bildete mit seinem Tanzpartner Jaschiuv (Flavio Paciscopi) die ideale Projektionsfläche für Aschenbachs Phantasien, zumal Lynn Pages Choreographie jugendliche Kraft und Schönheit zelebriert, wodurch sich die sexuelle Komponente unaufdringlich und doch prägnant von selbst ergibt. Kein Wunder, dass Gloria Maass als Tadzios Mutter bzw. die Frau im Perlenschmuck kaum auffallen konnte und von ihren Bühnenkindern überstrahlt wurde.

Kurzum: Diese Produktion bietet ein bemerkenswertes Psychogramm der Figur von Aschenbach und setzt jede Note und jede Zeile des Werks ins richtige Licht, sodass selbst die Zweifler, für die Britten auf Deutsch nur schwer vorstellbar ist, nur staunen können. Ein Muss nicht nur für Britten-Freunde.

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