Was für ein schöner Zufall, dass ausgerechnet an Richard Wagners Geburtstag eine Wiener Walküre über die Bühne ging, die zu einem großen Diven-Abend geriet: Lise Davidsen sang ihre erste Sieglinde an diesem Haus fulminant und Nina Stemme ist  – bzw. nach ihrem letzten Ring hier in Wien war – ohnehin die Brünnhilde unserer Zeit.

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Stuart Skelton (Siegmund) und Lise Davidsen (Sieglinde)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Die große Stimme von Davidsen zu hören ist eine Freude. Nichts klingt angestrengt und so bleibt Raum für differenzierte Gestaltung im ersten Aufzug. Mit Siegmunds Ankunft entwickelt sie sich vom resignierten Opfer ihres Gatten Hunding zu ihrer (halb)göttlichen Größe, die sich in einem buchstäblich blühenden „Du bist der Lenz“ zeigt. Nicht minder beeindruckend die Darstellung der müden Verirrten am Anfang des zweiten Aufzugs, und ein erstaunlicheres „O hehrstes Wunder“ habe ich live noch nie gehört. Ein paar Dezibel weniger wären mir fast lieber gewesen, aber diesen Einwand werden nicht allzu viele teilen. Dass sie das Stimm-Material für Brünnhilde hat und Nina Stemme eines Tages in dieser Partie wohl beerben wird, schien jedenfalls offensichtlich, auch wenn man Davidsen eine lange Karriere wünscht, die nicht durch zu frühes zu schweres Fach beeinträchtigt wird.

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Dmitry Belosselskiy (Hunding) und Stuart Skelton (Siegmund)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

An Sieglindes Seite präsentierte sich Stuart Skelton als Siegmund und wird dem Ruf, den er sich andernorts in dieser Partie erworben hat, voll gerecht. Er hat diese Partie verinnerlicht und ist den starken Frauen ein ebenbürtiger Partner. Die „Winterstürme“ hatten den Schmelz, den man darin so liebt, und trotzdem einen interessanten Twist, da sie mehr nach Wahrhaftigkeit und weniger als die Arieneinlage klangen, zu der sie oft gemacht werden. Ähnliches gilt für die Absage an Brünnhilde, ihr nach Walhall zu folgen: anstelle des üblichen Trotzes hörte man heldische Entschlossenheit.

Dmitry Belosselskiy war zuletzt als Fafner im Rheingold und Doktor in Wozzeck erfolgreich, die Partie des Hunding liegt ihm weniger. Warum seine Tiefe bei Fafner deutlich bestimmter als bei Hunding klang, mag auch eine Frage der Tagesverfassung sein.

Letztere war bei John Lundgren um einiges besser als im Rheingold des ersten Ring-Durchlaufs, als ihn, wie man später erfuhr, eine Allergie plagte. Seine Stimme klang deutlich größer und durchschlagskräftiger als zuletzt, und als Sänger-Schauspieler holte er aus der Bechtolf-Inszenierung mit viel darstellerischem Einsatz das Maximum heraus. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der hochmütig-entschlossenen Fricka geriet zum Kammerspiel, in dem Monika Bohinec einen glanzvollen Auftritt hatte und ihren Göttergatten mit geschmeidigem, aber unerbittlichem Ton ins Aus argumentierte.

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Nina Stemme (Brünnhilde)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Den Wotan-Monolog im zweiten Aufzug gestaltete Lundgren intensiv, keine Spur von den sprichwörtlich schrecklichen Wagner-Viertelstunden. Etwas Unsicherheit – ausgerechnet am Beginn der Abschiedsszene mit Brünnhilde – ging rasch vorüber und rechtfertigt keineswegs die Buhs, die Lundgren am Ende der Vorstellung entgegenschlugen.

Nina Stemmes Hojotoho-Rufe waren erwartungsgemäß kraftvoll und auf den Punkt, sie beeindruckte aber auch im Szenischen mit jugendlicher Verve und Gestaltungsfreude. In der Abschiedsszene mit Wotan wird man auch kaum ein ergreifenderes „Der diese Liebe mir ins Herz gehaucht“ hören.

Axel Kober am Pult des Staatsopernorchesters merkte man die Freude an, mit dieser Besetzung zu arbeiten – da kann man als Dirigent die Fülle von Wagners genialer Orchestrierung zelebrieren, doch hielt Kober die Spannung auch in den leisen Stellen und setzte Pausen klug ein, beispielsweise zu Wotans Sprachlosigkeit nach Frickas Abgang im zweiten Aufzug.

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John Lundgren (Wotan) und Nina Stemme (Brünnhilde)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Auch etliche andere Passagen, die häufig weniger Beachtung finden, fielen durch Kobers Detailarbeit plötzlich angenehm auf. Dennoch wird man letztlich daran gemessen, ob man die „Hits“ abliefert, und auch hier gab es keine Klagen, wenn auch der der erste Bläsereinsatz des Vorspiels seitens der Musiker nicht so dramatisch umgesetzt wie von Kober beabsichtigt schien. Allerdings hatte der Schluss des ersten Aufzugs noch mehr Temperament und Schmiss als sonst, und das bunte Durcheinander der Walkürenszene geriet mustergültig. Mit Regine Hangler, Aurora Marthens, Tamuna Gochashvili, Margaret Plummer, Isabel Signoret, Szilvia Vörös, Noa Beinart, Stephanie Maitland war ein erstklassiges Damen-Oktett aufgeboten, schließlich hatten Regine Hangler und Noa Beinart bereits im Rheingold als Freia und Erda reüssiert. Vor dieser vokalen Kulisse kamen die Stimmen von Stemme und Davidsen besonders gut zur Geltung – schlichtweg ein Fest für Ring-Freunde.

Die Bühnen-Ausstattung in Form der Pferde-Statuen hatte schon bei der Premiere 2009 wenige Fans. Mit der Covid-Pandemie wirkt nun auch der (unfreiwillige?) Witz mit den als Bürohengsten in grauen Anzügen kostümierten „Helden“, die sich die Mädels mit den blutbespritzten Schürzen „zur Wal küren“ ein wenig aus der Zeit gefallen, seit Home-Office-Zeiten geht es zumindest abseits der Chefetagen mittlerweile weit weniger formell zu. Immerhin ist die Choreographie dieser Szene (wie auch die Personenregie) immer noch ansehnlich, ansonsten braucht man Sven-Erich Bechtolfs Regie nicht mehr besprechen. Sei's drum: diesem Walküre-Erlebnis tat das keinen Abbruch.

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