Diese Oper hat alle Ingredienzien, die zu einer typischen Commedia dell'arte gehören. Da ist der alte reiche Zausel Don Pasquale, der in seinen späten Jahren noch eine junge Frau haben möchte, natürlich hübsch, natürlich brav – und mit der vermeintlichen Schwester Sofronia seines Arztes Malatesta im Ehehafen landet, die sich als zänkische Verschwenderin entpuppt. Da ist der unsterblich verliebte junge Ernesto, der zusehen muss, wie sich die von ihm angebetete Norina alias Sofronia an den alten Onkel hängt. Und im Hintergrund zieht der Dottore Malatesta seine Intrigenfäden, die zumindest für das junge Paar Ernesto und Norina zum Happy End führen.

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Don Pasquale
© Brinkhoff/Mögenburg

Genauso inszeniert David Bösch die Handlung an der Staatsoper Hamburg. So beherrscht ein riesiger Tresor das von Patrick Bannwart mit wenigen Elementen sinnreich gestaltete Bühnenbild, und wenn sich der Tresor öffnet, offenbart sich darin auf einem Berg von Geldscheinbündeln thronend der Hausherr. Aber Bösch gelingt es, die Typenkomödie, deren Vorbild aus dem 16. Jahrhundert stammt, bruchlos zu einem Drama von heute zu gestalten. Er hat die Figuren, so typenhaft sie auch sind, genau durchdacht. So weiß sein Pasquale, dass er in die Jahre gekommen ist, auch ein wenig Fett angesetzt hat, und dass er für eine junge Frau etwas mehr tun muss, als nur mit den Geldscheinen zu wedeln. Also tritt er in hellblauem Trainingsanzug auf und besteigt alsbald einen Hometrainer, auf dem er – ganz dem Duktus der Musik in diesem Augenblick folgend – langsam in die Pedale tritt, um dann im Überschwang des Ehrgeizes so schnell zu werden, dass sein Puls, wie eine Videoeinblendung zeigt, ins Astronomische steigt.

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Ambrogio Maestri (Don Pasquale)
© Brinkhoff/Mögenburg

Immer wieder gelingt Bösch die Gratwanderung zwischen Überspitzung und Realismus. So kommuniziert man wie selbstverständlich per Handy und Norina – kein unerfahrener Teenager, sondern eine junge Witwe, also lebens- und männererfahren – rasiert sich im Schaumbad die Beine.

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Danielle de Niese (Norina)
© Brinkhoff/Mögenburg

Das Sängerquartett folgt ihm bei dieser Gratwanderung. Danielle de Nieses Norina ist kapriziös, empfindet gleichwohl echtes Mitleid mit dem von ihr und den übrigen zum Narren gehaltenen Pasquale; sie lotet das mit einer Mischung aus brillanten Koloraturen und lyrischen Kantilenen aus. Levy Sekgapanes Ernesto ist ganz der schwärmerische Liebhaber, und wenn dieser lyrische Tenor der Geliebten seine Romanze im dritten Akt darbietet, dann ist das stimmlich so schön, wie eine Romanze nur sein kann, und zugleich fast schon zu schön, so dass sie gleichzeitig wie eine Parodie auf eine solche Kanzone wirkt.

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Levy Sekgapane (Ernesto)
© Brinkhoff/Mögenburg

Kartal Karagedik gestaltet mit seinem schlanken Bariton einen intriganten, zugleich aber auch wohlwollenden Malatesta, der zu perfekten Koloraturen fähig ist. Und Ambrogio Maestri siedelt den Pasquale mimisch und vor allem stimmlich als Mischung aus dem lächerlichen Dr. Bartolo in Rossinis Barbier von Sevilla und Verdis geradezu philosophischem Falstaff an, eine mimisch-stimmliche Bravourleistung.

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Kartal Karagedik (Dr Malatesta), Danielle de Niese (Norina) und Ambrogio Maestri (Don Pasquale)
© Brinkhoff/Mögenburg

Diese ernsteren Töne hebt auch Matteo Beltrami am Pult des Staatsorchesters hervor, der es zwar ein wenig an spritzigem Brio fehlen lässt, doch die herrlichen Orchesterfarben Donizettis vor allem in den tiefen Streichern und Holzbläsern herausarbeitet, die dafür sorgen, dass diese Oper eben keine typische Commedia dell'arte ist, sondern ein Psychogramm.

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Don Pasquale
© Brinkhoff/Mögenburg

Wieviel Psychologie gerade durch die Musik in dieser vermeintlichen Typenkomödie steckt, hat Jossi Wieler vor vier Jahren an der Oper Stuttgart gezeigt. Er hat schon während der Ouvertüre vorgeführt, wie dieser Pasquale zu seinem Reichtum kam und dass dieser Reichtum letztlich ein Gefängnis ist. Bei ihm sitzt Pasquale zu Beginn der Oper an dem Schreibtisch, zu dem ihn sein Vater in seinem prosperierenden Unternehmen verdonnert hat.

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Danielle de Niese (Norina) und Ambrogio Maestri (Don Pasquale)
© Brinkhoff/Mögenburg

Ganz anders David Böschs Ansatz. Er greift die Tatsache auf, dass Donizettis Oper letztlich ein Konglomerat unterschiedlicher musikalischer Komödientraditionen ist und arbeitet in seiner Inszenierungen mit Anspielungen. So kommt zu Beginn Pasquales Diener mit langen Zottelhaaren auf die Bühne, als sei er einem Gruselfilm entstiegen, Pasquale sitzt auf seinem Geldberg wie Disneys Dagobert Duck, und wenn Malatesta und Pasquale ihr berühmtes rasend schnelles Duett singen, fällt hinter ihnen der Vorhang, sie geben eine Zugabe und versuchen, einander zu übertreffen, als wären sie die drei Tenöre in den Caracalla-Thermen beim hohen C.

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Kartal Karagedik, Ambrogio Maestri, Levy Sekgapane und Danielle de Niese
© Brinkhoff/Mögenburg

Bei Wieler war Pasquale am Ende ein einsamer Außenseiter, mit dem der Rest der Gesellschaft nichts zu tun haben will, eine Art tragisch-komischer Malvolio von Shakespeareschen Dimensionen. Bei Bösch bleibt alles denn doch im Bereich der Commedia, und alle feiern am Campingtisch bei einer gemeinsamen Pizza Happy End. 


Die Vorstellung wurde vom Livestream der Staatsoper Hamburg auf ARTE Concert rezensiert.

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