Wiener Staatsoper:Orfeos Höllenfahrt

Wiener Staatsoper: Georg Nigl als Orfeo in romantischer Höllenlandschaft.

Georg Nigl als Orfeo in romantischer Höllenlandschaft.

(Foto: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper)

Regisseur Tim Morris und Dirigent Heras-Casado verwursten in Wien Monteverdis Sänger-Oper. Mit Georg Nigl als grandioser Fehlbesetzung.

Von Helmut Mauró

Es ist ein Abend voller Mitleid. Das gibt schon die Geschichte des antiken Barden Orfeo vor, wie sie Claudio Monteverdi als große Oper in Musik gesetzt hat. Orfeos junge Frau Euridice stirbt an einem Schlangenbiss, der Gatte ist untröstlich und will sie aus der Totenwelt zurückholen. Das gelingt ihm nur kurz, die musikalische Klage darüber ist lang, Monteverdi zieht alle musikalischen Register. Für die Neuproduktion an der Wiener Staatsoper hat Regisseur Tom Morris zunächst anderes im Sinn. Zu Orfeos Hochzeit bietet er Partyspaß, lässt aufwendig kostümierte Feierbiester aufmarschieren und Ansagerstimmen gute Laune verbreiten.

Das ist zwar zum Wegducken peinlich, und auch ein bisschen schmerzlich, wenn johlend einspringende Hochzeitsgäste Monteverdis Musik akustisch demolieren, geht aber bald vorüber. Stattdessen tritt die Mezzosopranistin Kate Lindsay auf den Plan und verzaubert in der Rolle der "Musik" mit ihrer traurigen Erzählung. Eine nette Regieidee: Sie singt in Deutsch und Englisch, bevor der Hirte dann im originalen Italienisch weitermacht. Ihr als "Musik" frech hingeworfener Ausruf "so spiele ich mit euch", der die für das Barocktheater typische selbstreflexive Ironie einfordert, ist da schon eingelöst.

Anderes bleibt unerfüllt. Vor allem die geniale Musik Monteverdis, sein Genie, einen Klagegesang so zu komponieren, dass man hin- und hergerissen ist zwischen Staunen, Bewunderung, Erschütterung, Freude und Tränen. Der Concentus Musicus Wien, technisch perfekt aufspielend, bleibt unter Leitung von Pablo Heras-Casado gestalterisch unter seinen Möglichkeiten. Der Dirigent liebt den breiten Klangstrom, das ruhig Dahinfließende, weniger das konturiert Kantige oder die am Wort profilierte Klangrede, wie sie Barockmusik unbedingt verlangt. Auch Georg Nigl, ein erfahrener Sänger und munterer Darsteller, dem man die zeitlich schier ausufernde Titelrolle anvertraute, wirkt an diesem Abend ein bisschen schwerfällig, gemütlich.

Orfeo kann man sich gut in einem Wiener Beisl vorstellen

Vielleicht kann man sich Orfeo als Wiener Beisl-Besucher vorstellen, der nach ein paar Seitln vor sich hinsingt von der entschwundenen Ehefrau und seine Haberer zu Tränen rührt. Dazu passt Nigls mal etwas zu laut marktschreierische, mal gepresste Stimme, die flatternd verrutschte Intonation. Ebenso seine verhaspelt hechelnde Variation von Trillo oder Ribattuta, der barocken Technik einer melodischen Iteration, das Auf-der-Stelle-Treten. Wie mühelos begegnet ihm da seine Euridice, die Sopranistin Slávka Zámečníková, anfangs mit viel Volumen, dann beinahe vibratolos mit schlankem Ton Monteverdis Melodien in den Raum zaubert.

Man muss ja in diesen schier endlosen Rezitativen einen melodiösen Erzählton finden, der nicht allzu sentimental, aber auch nicht zu expressionistisch herausgebellt klingt. Auf diesen gängigen Trick greift Nigl öfter zurück: Mit übertriebenem darstellerisch-stimmlichen Ausdruck den Eindruck erwecken, man müsse der Komposition theatralisch auf die Sprünge helfen. Meist bleibt aber der Eindruck vertuschter Mängel.

Knarzend hebt sich nun die Bühne, man sieht einen Wald aus Wurzeln gen Himmel schweben und findet sich in romantischer Höllenlandschaft wieder. Bläuliche Nebelschwaden am Horizont. Ein stumm herumschleichender Orfeo. Wunderbar. Hier herrschen - leider nur kurz - andere Helden. Der stimmgewaltige Plutone des Andrea Mastroni, Wolfgang Bankl als bedrohlicher Caronte, die Mezzosopranistin Christina Bock als Botin und Prosperina. Sie beherrscht etwas, das viele Sänger leider gar nicht können: eine Harmonie vorausahnen. Den Harmoniewechsel so zu antizipieren, dass der gehaltene Ton im neuen klanglichen Umfeld nicht plötzlich falsch klingt und der erschrockene Sänger hörbar korrigieren muss. Am Ende wird alles gut. Orfeo fährt nicht wieder zur Hölle, sondern in einem goldenen Korbgeflecht zur Sonne. Oder zum Mond.

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