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Oper Frankfurt: „Ulisse“ von Luigi Dallapiccola – Erstaunen und erneut wieder schauen

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Im Hades: Yves Saelens als Teiresias, Iain MacNeil als Odysseus, Claudia Mahnke als seine Mutter Antikleia (v.l.).
Im Hades: Yves Saelens als Teiresias, Iain MacNeil als Odysseus, Claudia Mahnke als seine Mutter Antikleia (v.l.). Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

Der Zauber des leeren Himmels: Dallapiccolas „Ulisse“ an der Oper Frankfurt.

In dieser Oper, in der es um das Sehen, Wiedersehen, Erkennen und auch um die Erkenntnis geht, darf es ins Auge fallen, dass die zentrale Zwölftonreihe optisch sanfte Wellenbewegungen imitiert. Vielleicht nimmt man das sogar halbbewusst wahr (eher nicht). Trauriger ist, dass den meisten von uns mangels Hörerfahrung die Selbstzitate des Komponisten entgehen werden, der hier sein Denken, Arbeiten und Sein noch einmal hineinlegte. Die Oper Frankfurt bietet zum Saisonende die hiesige Erstaufführung von Luigi Dallapiccolas „Ulisse“, eine klassische Theaterrarität, für die man sonst weit reisen müsste, und aktuell noch dazu, wie es ausschaut, in die Vergangenheit.

Dass der italienische Komponist, der Schönberg bewunderte und eine Zwölftontechnik eigener Prägung in seiner Heimat zu etablieren versuchte, an seiner letzten Oper acht Jahre arbeitete, spricht für die Komplexität des Unterfangens in Wort und Musik. Dallapiccola schrieb das Libretto selbst und zog neben Homer so viele Quellen hinzu, dass Ulrich Schreiber in seiner „Kunst der Oper“ von einem „Extremfall von Literarisierung“ spricht.

Odysseus tritt dem Publikum dabei als Vereinsamter entgegen, dessen berühmter Trick, sich „Niemand“ zu nennen, tragisch auf ihn zurückfällt: Denn er selbst ist sich nun nicht mehr gewiss, jemand zu sein. Nach dem Abschied von der nicht erfreuten Kalypso im Prolog lässt ihn der 1. Akt bei den Phäaken stranden, denen er nach Art von „Hoffmanns Erzählungen“ von vergangenen Abenteuern mit Kirke und im Hades erzählt – letzteres der zentrale Höhepunkt der symmetrisch gebauten Oper. Im 2. Akt kehrt er in seine Heimat Ithaka zurück, räumt in vertraut brachialer Manier auf, endet bei Dallapiccola aber wieder allein auf dem Meer, getröstet vom Blick in die Sterne. Allein, aber nicht mehr einsam, eine religiös zu verstehende Wendung, von der in Frankfurt keine Rede sein kann.

Musikalisch nutzte Dallapiccola seine „Mare I“-Zwölftonreihe und ihre Ableger eher als Reservoir für Leitmotive und erzeugt damit einen unmittelbar sinnlichen Eindruck, wobei im Ergebnis die Opernsprache Alban Bergs anklingt. Bestärkt wird das, indem auf Deutsch gesungen wird, wie schon in der Uraufführung 1968 an der Deutschen Oper Berlin.

Bestehende Bedenken gegen die Umsetzbarkeit für die Bühne lösen sich in der Inszenierung von Tatjana Gürbaca auf in einem fließenden Gang der Ereignisse und Stimmungen. So fließend, dass die Bilder wirken, als zögen sie mit Menschen und Kulissenteilen auf einem riesigen Band vorüber, am Zuschauerraum wie auch an Odysseus, der praktisch nicht von der Bühne kommt. Eine innere Reise, ein Reisender, den die Orte und Menschen aufsuchen. Wesentlich dabei der von Tilman Michael einstudierte Chor in unhektischer, aber steter, gelegentlich zum lebenden Bild gefrierender Bewegung.

Die Bühne von Klaus Grünberg abstrahiert eine antike Welt mit spröden Säulen, nicht ruinös, aber lückenhaft. Anfänglich könnte man sich in einer Tiefgarage befinden, aber der Chor, von Silke Willrett mit gemischter Alltagskleidung ausgestattet, schlendert und schaut touristisch. Troja-Rückkehrer Odysseus, einer aus der Menge, wird erst auf der Bühne mit weißem (Motorrad-)Helm und Schlagstange ausgestattet, ein wenig mit Blut beschmiert und damit als Kriegsteilnehmer erkennbar. Die Frage, wer er eigentlich ist, beginnt damit also nicht nur früh, sondern noch früher. Sein Außenseitertum zeigt sich darin, dass der Chor ihn bald knufft und pufft, in der Unterhose bleibt er am Boden zurück.

Iain MacNeil, der über einen stattlichen und gar nicht defensiven, lichten Bariton verfügt, spielt den Titelhelden als eher passiv wirkende, tatsächlich jedoch in einer stetigen Suchbewegung und unaufdringlichen Selbstbehauptung begriffene Figur. Er schaut zwar gelegentlich skeptisch drein, erscheint aber vor allem vorbehaltlos, ein leeres Gefäß, der Mensch an sich.

Sehr fein baut Gürbaca mit Grünberg und Willrett nun Bild um Bild. Am Phäakenhof spielen junge Mädchen um die holde Prinzessin Nausikaa – Sarah Aristidou, die in schwindelnde Höhen hinauf muss und kann – in Schuluniformen ein enorm verlangsamtes Federballspiel. König Alkinoos, der Bass Andreas Bauer Kanabas, vermittelt mehr und auch unangenehmere, mit Hüftschwung versehene Lockerheit als die melancholische Tochter. Cheerleader mit blutroten Pompons sollen das Hofleben wohl aufmuntern, Sänger Demodokos, der Tenor Yves Saelens, steht als willfähriger Alleinunterhalter bereit.

Man darf kein Buhei erwarten. Alles bleibt schemenhaft und flüchtig durch die Augen des Ich-Suchers Ulisse, immer dicht auch am Alpdruck, wenn nachher die Cheerleader ad hoc als Skylla und Charybdis mit ihren Pompons rascheln, drohen, schnappen.

Im Hades erscheint Saelens – Dallapiccola wünschte sich sinnige Doppelbesetzungen – erneut als blinder Teiresias. Hier in der Unterwelt wabert der Chor als sandfarbene Seelen-Schar. Ulisses Mutter tritt in mehrfacher Gestalt auf – mit anderem Geschlecht, in anderem Alter, alles fließt, „erstaunen und erneut wieder schauen“ ist einer der eindringlich wiederholten Leitsätze. Die singende Antikleia übernimmt Claudia Mahnke groß und markant.

Wie von ungefähr wandelt sich die Totenschar in Odysseus’ Männer, die mit ihm in Boxenstopp-Overalls übers Meer rudern, bevor Kirkes Zauberkräfte sie nicht in Schweine, sondern Babys verwandeln. Wunderbar gestaltet die Einlullungsszene, in der Motto-Luftballons für neugeborene kleine Jungs die Transformation anregen.

Katharina Magiera ist die imposante Kleopatra-Kirke im mittels Vorhang orientalisierten Gemach – für Ulisse hat sie eine Fluppe und süße Gesänge, bei denen man aus dem Blick verliert, weshalb man überhaupt widerstehen sollte. Am Hof von Ithaka verwandelt sie sich in die bei Dallapiccola als Prostituierte agierende Melantho. Hier protzen die Freier mit grellen Schamkapseln und gängeln den Erben Telemachos, Countertenor Dmitry Egorov. Ulisses Bogen steckt in einer Vitrine, wie bald auch Ulisse selbst, der Zeit braucht, bis ihn ausreichend die Wut packt. Als das Blut spritzt, ist es Theaterblut aus einem Eimer, ohne altmodisch zu wirken. Kalypso, Juanita Lascarro, ist Penelope, so schließt sich der Kreis, bevor er sich wieder öffnet und Ulisse aufs Meer entlässt.

In Frankfurt ist da kein Meer, kein Sternenhimmel, kein Gott. Aus dem Graben und auf der Bühne lässt Francesco Lanzillotta aber nicht nur Rätsel-, sondern große Opernmusik hören.

Oper Frankfurt: 1., 7., 10., 15., 18., 21. Juli. Am 3. Juli, 11 Uhr, gibt es rund um Dallapiccola Kammermusik im Holzfoyer. www.oper-frankfurt.de

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