Denkt man an Verdis Aidastehen einem sofort die Monumentalkulissen aus der Arena in Verona vor Augen: Pyramiden, Palmen und womöglich lebendige Elefanten sollen das echte Ägypten suggerieren. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe hat man in der neuen Produktion mit derartigem Pomp gebrochen.

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Aida
© Felix Grünschloss

In den ersten beiden Akten sehen wir auch einen Mumienkopf und sogar eine Palme. Diese erinnern aber nur noch als Überreste an die Welt der Pharaonen. In der genial entworfenen Bühnenbildinstallation von Christian Robert Müller bewegen sich die Sängerdarsteller wie in einer begehbaren musealen Ausgrabungsstätte über stählerne Stege und Treppen nur noch in der Welt der ägyptischen Archäologie. Jeder Bühnennaturalismus ist aus dieser Inszenierung verbannt. Im gut Brechtschen Sinn sind die Sängerinnen und Sänger als Träger von Rollen weiß maskiert – hier wird bewusst Theater bzw. Oper gespielt. Und zwar in einer dramaturgischen Klarheit und zugleich einer Bildkraft, die diese Produktion besonders auszeichnen.Verdi empfand seine Oper selbst als „aus einem Guss” und auch diese Inszenierung von Jasmina Hadžiahmetović ist in sich vollkommen stimmig gearbeitet.

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Azer Zada (Radamès)
© Felix Grünschloss

Dabei sind die Szenen der persönlichen Konflikte keineswegs blutleer und die Haupt- und Staatsaktionen mit König, Priestern und Volk durchaus spektakulär und aufregend inszeniert. Als intimes Kammerspiel gestaltet die Regisseurin die Schlüsselszenen der Hauptfiguren. Etwa wie sich Amneris, die ägyptische Königstochter, mit einer Nackenmassage das Vertrauen Aidas erschleicht, um herauszufinden, ob die äthiopische Sklavin den Feldherrn Radamès liebt, auf den auch sie ein Auge geworfen hat. Zum packendsten Moment der Aufführung wird die Gerichtsszene, die das Publikum allein aus der Perspektive von Amneris miterlebt. Ganz allein auf der Bühne hört sie aus dem Off das Verhör des geliebten Radamès durch die Priester und seine dreimalige Verdammung, gleichzeitig sieht das Publikum ihre verzweifelte Reaktion auf dessen furchtbares Schicksal – eine Szene von magischer Ausstrahlung.

Nicht minder eindrucksvoll und präzise choreografiert sind die Massenszenen. Im strengen Ritus vollziehen sich die Auftritte der Priester. Die Tempelszene des ersten Aktes, in der die Priester mit lauten „Guerra”-Geschrei das Volk zum Krieg aufstacheln, endet mit dem Opfer eines Tieres, mit dessen Blut sich alle gemeinsam die Hände benetzen. So gleitet die Szene von einer heiligen Handlung unmittelbar in die archaische Barbarei dieser herrschenden Kaste über.

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Oksana Kramareva (Aida)
© Felix Grünschloss

Auch der sogenannte Triumphmarsch wird hier kritisch konterkariert. Während es zum Geschmetter der Trompeten (von den Balkonen) vom Himmel Konfetti regnet, absolviert das Volk mit seinen Fähnchen den bestellten Jubel. Dann werden die äthiopischen Gefangenen wie Vieh mit Kapuzen über dem Kopf hereingetrieben, sich hilflos am Boden wälzend. Sehr genau nimmt hier die Regie auf, was Verdi in die Musik einkomponiert hat: die Verachtung von Gewaltherrschaft und Krieg.

Dies gelingt auch der Musik in großartiger Weise. Scharf pointiert und dramatisch zugespitzt lässt Johannes Willig die Badische Staatskapelle spielen. Harte Paukenschläge fahren an dieser Stelle immer wieder in das Triumphgeheul hinein. Überhaupt trägt das exzellent aufspielende Orchester Entscheidendes zur dramatischen Spannung bei. Eindrucksvoll kann das Orchester die Stimmung wechseln. Lauten Pomp wie sinnlich-intime Klänge vermag das Orchester gleichermaßen klangschön zu gestalten. Transparent und plastisch lässt der Dirigent die Soloinstrumente hervortreten. Deutlich werden die lautmalerischen Begleitfiguren hörbar, der „Feueratem des Krieges” oder die „Strudel des Nils”, vor denen Aida sich fürchtet.

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Dorothea Spilger (Amneris)
© Felix Grünschloss

Höchst differenziert singt der Chor, hart und unerbittlich in der Rolle der kriegstreibenden Priester, mitfühlend weich, wenn die Frauen um Milde für die Gefangenen bitten und mystisch unnahbar aus dem unsichtbaren Tempel der Gottheit. Geschickt sind die Ballettszenen in die Handlung eingebaut wie der Tanz der Furien, die Amneris' Eifersucht begleiten. Auch die Kostüme fügen sich in das homogene Gesamtbild ein. In gold-schwarzer Farbgebung strahlen die Kostüme der Ägypter edle Klassizität aus. Aida hebt sich durch ein schmuckloses graublaues Kleid als Fremde in dieser Kultur ab.

Große Stimmen verlangt Verdis vielleicht schönste Oper, aber auch exzellente Darsteller, denn die hier verhandelten Konflikte gehen an existenzielle Grenzen. In der Titelrolle war kurzfristig Oksana Kramareva eingesprungen, die sich erst für die B-Premiere bereitgehalten hatte. Mit ihrem eher dunkel timbrierten Sopran sang sie eine stimmlich ausgezeichnete Aida, blieb aber darstellerisch bis zur Pause etwas zurückhaltend. Im dritten und vierten Akt zeigte sie mehr Präsenz und Ausdruck in der Stimme. In der Rolle ihrer Rivalin war Dorothea Spilger der eigentliche Star des Abends. Darstellerisch beeindruckend und vokal hoch expressiv war sie eine Amneris größten Formats, die besonders auch die Entwicklung dieser Figur von verbissener Eifersucht bis hin zur Selbsttötung aus verzweifelten Reue überzeugend realisierte.

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Konstantin Gorny (Ramphis), Dorothea Spilger, Seung-Gi Jung (Amonasro) und Azer Zada (Radamès)
© Felix Grünschloss

Azer Zada, der den Radamès auch schon in Verona gesungen hat, zeigte sich im Staatstheater als vokal ungemein feinnerviger Gestalter dieser Rolle, fähig zu strahlender Höhe ohne Druck und mit berückendem Piano. Konstantin Gorny gab dem Oberpriester Ramphis machtvoll Gestalt und Stimme. Vollauf überzeugen konnte auch Seung-Gi Jung als Aidas selbstbewusster Vater Amonasro.

Der berührendste Moment dieses Abends war dem Schlussbild vorbehalten. Das langsame Sterben von Aida und Radamès in der zugemauerten Gruft ist hier nur noch eine Idee, nur noch die Abstraktion des gemeinsamen Liebestods auf der vollkommen leeren Scheibe der Drehbühne, von der sich die Protagonisten langsam nach hinten aus der Welt bewegen. Nur die sterbende Amneris schickt ihnen ein leises Pace hinterher.

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