Krzysztof Pendereckis einstiges Skandalwerk und seine erste Oper, Die Teufel von Loudun, 1969 an der Hamburger Staatsoper uraufgeführt, und kurz darauf dem Münchener Publikum vorgestellt, kehrt nun für die Eröffnung der Opernfestspiele 2022 in die bayerische Landeshauptstadt zurück. Wer jedoch glaubt, das so opern- und raritätenerprobte Publikum der Bayerischen Staatsoper wäre empfänglich für dieses Werk, hat weit gefehlt. Der australisch-schweizerische Regisseur Simon Stone inszeniert die Oper wohl in der Hoffnung, an damalige Skandale anzuknüpfen und unter dem Deckmantel einer modern-minimalistischen Inszenierung neues Entsetzen hervorzurufen.

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Aušrinė Stundytė (Jeanne)
© Wilfried Hösl

Die Teufel von Loudun basiert auf den Überlieferungen wahrer Begebenheiten in der westfranzösischen Stadt der 1630er Jahre um den örtlichen Priester Urbain Grandier, der sich inmitten politischer Affären und von Eifersucht getriebenen Anschuldigungen befindet. Nachdem er die Bitte der Priorin Jeanne, Beichtvater ihres Ursulinenklosters zu werden, ablehnt, beschuldigt ihn diese, befeuert durch eine persönlich verstandene Zurückweisung, sie und die Nonnen ihres Klosters verhext zu haben. Sie spielen die Besessenen und lösen in der ganzen Stadt eine Massenhysterie aus. Grandier, der sich im Laufe seiner erotischen und politischen Verstrickungen so viele Feinde gemacht hat, nicht zuletzt Kardinal Richelieu, muss dafür schlussendlich mit grausamer Folter und dem Tod auf dem Scheiterhaufen bezahlen.

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Ulrich Reß (Vater Mignon), Martin Winkler (Vater Barré) und Aušrinė Stundytė (Jeanne)
© Wilfried Hösl

Diese Geschichte, literarisch durch Aldous Huxley und filmisch von Ken Russell verewigt, lässt Simon Stone nun als kalten, brutalen Folterabend wiederaufleben. Statt mittelalterlich anmutender Szenerie bewegt sich das Schauspiel in einem an eine neuapostolische Kirche erinnernden grauen Betonklotz – eher Mehrzweckbunker statt Gotteshaus. Sich unentwegt drehend, gibt er Einblick in das Leben der Nonnen, aber auch in die Eroberungen Grandiers und so manche von Stone graphisch dargestellte „peinliche Befragung“. Seine Bildsprache ist modern, minimalistisch und kalt.

Statt einer differenzierten Auseinandersetzung mit Cancel Culture, dem Dokumentationswahn im Internetzeitalter oder besonders aktuell der Massenwirkung einer Propagandamaschinerie, wie sie derzeit in Russland betrieben wird, wirkt Stones Inszenierung wie ein wenig subtiles, stattdessen oberflächliches Potpourri aus abgekupferten Ideen.

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Aušrinė Stundytė (Jeanne), Nadezhda Karyazina (Ninon) und Wolfgang Koch (Grandier)
© Wilfried Hösl

Die Nonnen verwandelt er in Pussy Riot Aktivistinnen, die sich in ihrem Wahn entblößen und politische Botschaften auf die Körper schmieren, während sich Jeanne besessen, mit der tiefen Stimme Asmodeus' oder Leviathans, ihrem Exorzismus widersetzt. Simon Stone badet sich geradezu in den langwierigen Folterszenen, scheint sie so richtig auszukosten und scheut sich nicht, ordentlich Körperflüssigkeiten zu verwenden, sodass sich mancher Operngast lautstark darüber beschwert – oder einfach das Weite sucht.

Aus der historisch belegten, einst so brisanten Affäre zur Zeit Richelieus wurde ein zähes, obszönes Nonnenspektakel, das auf Teufel komm raus – pun intended! – provozieren und Ekel erregen möchte. Die Feinheiten und Ursachen mit denen sich eine solche Panik heraufbeschwört wird kaum und wenn dann mit wenig Feingefühl behandelt.

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Die Teufel von Loudun
© Wilfried Hösl

Die Teufel von Loudun ist eine Antioper. Trotz des großen Orchesterapparats komponierte Penderecki wenig Tutti. Melodisches ist karg gesät und Arien sucht man vergebens. Stattdessen: melodieferne, selten klanggewaltige Kakophonie, ein von Glissandi umwobener Klangteppich, der oft nur hintergründig ist und durch sogenannte Cluster – Tontrauben aus nahe liegenden Tönen – komplementiert wird. Sowohl die Musiker*innen als auch Sänger*innen haben aleatorische Stellen, in denen sie improvisieren und nur durch das Timing des Dirigenten zusammengehalten werden. Und auch die Wahl der Instrumente ist äußerst ungewöhnlich und eklektisch: In der Orchesterbesetzung liest man E-Bassgitarre, Peitsche und Singende Säge – aber auch Orgel und Glockengeläut sind vertreten, um das kirchliche Milieu musikalisch zu vertreten.

Die Oper wurde von Penderecki mehrfach überarbeitet, doch Vladimir Jurowski entschied sich, die Urfassung mit größeren Freiräumen für die Sänger*innen und mehr kreativem Spielraum zu spielen. Jurowski, erfahren mit Pendereckis Werken und auch seinem Opernfrühwerk, das er vor 20 Jahren bereits in Dresden dirigierte, hatte den beträchtlichen Orchesterapparat stets unter Kontrolle, konnte ihn in jegliche Richtung lenken und formen, sodass eine sogartige, kontrastreiche Interpretation erklang.

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Christian Rieger, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Wolfgang Koch, Martin Winkler
© Wilfried Hösl

Nachdem sie als Renata in Der Feurige Engel eine Paraderolle gefunden hat und als Salzburger Elektra international bekannt und gefeiert wurde, etablierte sie sich schnell als Charakterdarstellerin eindringlicher Rollen von Randfiguren. Nun bewies Aušrinė Stundytė erneut, dass sie nicht nur sängerisch, sondern auch darstellerisch einen einmaligen Stil hat, ihre Charaktere zum Leben zu erwecken, sodass sie in den Köpfen des Publikums noch lang herumspuken. Mit ihrer zwischen Schönheit und Wahnsinn changierenden Sopranstimme, die mit breitem Register und Gespür für dramatischen Sprechgesang gesegnet ist, machte sie sich die Rolle der Priorin Jeanne des Anges mit all ihren Dämonen, Gelüsten und unter der Oberfläche brodelndem Hass, gänzlich zu eigen.

Wolfgang Ablinger-Sperrhackes Baron de Laubardemont stach dank des kantig, spritzigen Timbres seines Charaktertenors heraus. Und auch die für den kurzfristig erkrankten Wolfgang Koch eingesprungene Jordan Shanahan mit kräftig warmen Bariton und Robert Dölle als Darsteller auf der Bühne, vertraten ihn in der Rolle des Grandier gebührend.

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Martin Winkler (Vater Barré) und Aušrinė Stundytė (Jeanne)
© Wilfried Hösl

Der vor zwei Jahren verstorbene Krzysztof Penderecki zählt zu den wichtigsten Komponist*innen des 20. Jahrhunderts und sein wenn auch überschaubares Opern-Œuvre verdient genauere Betrachtung. Man mag es der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny und Vladimir Jurowski zu Gute halten, dass sie dieses wenig gefällige Werk für die Eröffnung der Münchener Opernfestspiele gewählt haben, dennoch hätte man der Inszenierung von Stone mehr Entscheidungsmut und eine profundere Interpretation gewünscht. In einer Zeit in der immer mehr Missbrauchsfälle in der Kirche bekannt werden und die Austrittszahlen exorbitant steigen, scheint dieses Sujet umso aktueller.

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