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OPERN-KRITIK: Theater Freiburg – MACBETH

Vom Thron in die Hölle

(Freiburg im Breisgau, 2.7.2022) Der ukrainische Regisseur Andriy Zholdak feiert mit seiner mehrfach verschobenen Inszenierung von Verdis bluttriefender Shakespeare-Oper „MACBETH“ endlich Premiere.

vonJoachim Lange,

„Macbeth“ ist zweifellos ein Stück bzw. eine Oper zur Stunde. So wie sonst vielleicht nur noch Richard III. Shakespeare wusste einfach wie es geht. Und Verdi eben auch. Die Psychologie eines skrupellosen Aufstieges, des Ver- und dann des tiefen Falls. Sozusagen vom Thron in die Hölle. Man muss die Namen gar nicht nennen, die einem da neuerdings zuerst einfallen. „Als Macbeth starb, stürzte er in die Hölle“, so wird es auf dem Zwischenvorhang eigeblendet, bevor die exemplarische Geschichte beginnt. Was man durchaus als einen Verweis auf Pascal Dusapins Oper „Macbeth Underworld“ verstehen kann, die 2019 in Brüssel ihre Uraufführung erlebte. Macbeth gehört zum europäischen Selbstverständnis, ist Teil der Reflexionen der dunklen Seiten von Macht und des notorischen Blickes in den Abgrund Mensch.

Der Schlächter im Kreml inszeniert heimlich mit

Wenn heute der „Patria-oppressa!“-Chor des geknechteten Volkes über die Bühne geht, dann inszeniert einer wie Putin mit. Ganz gleich, was dabei zu sehen ist. Besonders natürlich, wenn ein Ukrainer wie Andriy Zholdak (Jahrgang 1962) inszeniert. Der hat nach dem Kriegsausbruch mit Putins Überfall auf seine Heimat alle seine Inszenierungen in Russland zurückgezogen und erklärt, dass er so lange nicht in Russland inszenieren wird, wie dort das Unrechtsregime vorherrscht. Im Moment jedenfalls klingt das nach einer langfristigen Grundsatzentscheidung.

Juan Orozco (Macbeth) in Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg
Juan Orozco (Macbeth) in Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg

Rückzug des Regisseurs aus Russland

Dabei ist der Theatermann in St. Petersburg mit einer hochgelobten Inszenierung von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ am Michailowski-Theater 2014 in Sachen Oper auf den Geschmack gekommen. Unter anderem mit Zemlinskys „Der König Kandaules“ an der Flämischen Opern Antwerpen/Gent oder mit seiner Version von Tschaikowskys „Zauberin“ 2019, noch unter Serge Dorny in Lyon, machte er im Westen nachhaltigen Eindruck als Opernregisseur. Allemal bot er großes Opernkino in einer Melange aus beherzter Aktualisierung, entfesselter szenischer Fantasie und perfekter Personenführung.

Das ukrainische Theatergenie lässt Vorsicht walten

Mit diesen bewährten Markenzeichen geht das in Deutschland bislang erstaunlich wenig zum Zuge gekommene ukrainische Theatergenie in Freiburg allerdings recht sparsam um. Anders gesagt: ausgerechnet Verdis „MACBETH“ kommt hier höchstens als B-Movie über die Rampe. Wobei erstaunlich viel Rampe geboten wird. Die Aktualisierung bleibt vage und auch die Personenführung setzt mehr auf Austoben eines Grundeinfalls, als auf Präzision. Sie kommen heutig gekleidet daher, aber bleiben Statisten. Der Chor ist jeweils rechts und links am Rande des Orchestergrabens postiert. Oder hinter den Grünpflanzen, die dann den Wald von Birnam vertreten, sich aber nicht geheimnisvoll bewegen, sondern wütend umgeschmissen werden.

Ein Ausbund von (nicht immer so ganz perfekter dafür mit kreischigem Lachen gespickter) Bewegungslust sind die drei nornenhaften Hexen oder Parzen, die den dunklen Helden mit Schicksalsbuch und Lebens-Sanduhr umschwirren und allerlei Hokuspokus veranstalten. Marlene Harnhöster führt sie offensiv an. Einmal sind die (Schicksals-?)Fäden schwarz, rot und gelb. Das freilich bleibt genauso rätselhaft wie die römischen Ziffern von I bis XII, die sich hinten unter der (nur gedachten) Decke des imperialen Saales nach und nach von der Wand lösen, ohne dass sich dahinter ein System erkennen ließe.

Roxana Herrera Diaz (Lady Macbeth) in Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg
Roxana Herrera Diaz (Lady Macbeth) in Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg

Hinter dem skrupellosen Thronräuber steckt eine machtgierige Frau

Der Einheitsbühnenraum von Daniel Zholdak ist mit Fenstern, großen Flügeltüren versehen und geht links in einen Nebenraum über. Er wird durch eine offensiv hektische Lichtregie (Stefan Meik) immer wieder verändert. Er ist nur mit Podesten ausgestattet, auf denen moderne Stühle wohl die royalen Sitzmöbel der Macht vertreten. Dass es um die geht, wird unschwer am Spiel mit der Krone erkennbar, die die Lady einmal ihrem Mann vom Kopf nimmt, um sie sich selbst aufzusetzen. Damit dürfte nun wirklich jedem klar sein, dass hinter dem skrupellosen Thronräuber eine machtgierige Frau steckt. Erst hat er noch Restskrupel, den amtierenden König Duncan zu ermorden, um der Prophezeiung der Hexen (also seinen gemeinsten Obsessionen) nachzukommen. Dann wird sie, die ihn auch unter Einsatz ihrer körperlichen Reize bestärkt hat, wahnsinnig, und er nimmt ihren Tod nur noch schulterzuckend zur Kenntnis. Nah sind sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht, umhüllt von einem Königsmantel, als schon klar ist, dass es von nun an nur noch bergab gehen kann.

Die Demonstration von verdeutlichenden Gesten und Zeichen

Szenenbild aus Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg
Szenenbild aus Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg

Im szenischen Spiel bleibt das alles mehr die Demonstration von verdeutlichenden Gesten und Zeichen, liefert sozusagen im Bild die Erläuterung immer gleich mit. So macht es sich Banco junior ein paar Mal zu oft auf dem Thron (also in den Alpträumen von Macbeth) bequem. Die Bankett-Szene, bei der der ermordete Banco seinem Mörder erscheint und ihn aus dem Konzept bringt, blendet im Grunde die Gesellschaft drumherum, die das Verhalten ihres Königs ja doch ziemlich irritieren muss, nahezu aus. Man sieht nur Banco in der Unterhose. Das Er-Schrecken behauptet Macbeth – und der Zuschauer hat Gelegenheit, sich an (viele) Inszenierungen zu erinnern, in denen er den Schauer nachvollziehen konnte, von dem hier nur zu hören ist. Ein aparter Einfall ist es, die Aufmerksamkeit in der ausführlichen (und nicht immer zu hörenden) Ballettmusik der zunächst französischen „Macbeth“-Fassung von 1865 für Momente auch einmal optisch nur auf die Musik zu konzentrieren.

Allerdings bietet es sich auch an, die imposante Erscheinung des 1. Kapellmeisters am Pult des Philharmonischen Orchesters Freiburg, Ektoras Tartanis, (der beim Schlussapplaus mit seinem Outfit die Protagonisten locker in den Schatten stellte) zu richten und ihn in Großaufnahme einzublenden. Nicht nur hier versuchte er, nicht das Schroffere der ersten „Macbeth“-Fassung von 1847 einzuschleusen, sondern ließ auch die suggestive melodische Melancholie einer Musik der Vergeblichkeit aufscheinen. Die dringliche Wucht der Szene wird dadurch allerdings noch mehr ausgebremst, so dass sowohl der Tod der Lady als auch der Showdown und der Tod von Macbeth geradezu beiläufig wirken.

Roxana Herrera Diaz (Lady Macbeth) und Juan Orozco (Macbeth) in Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg
Roxana Herrera Diaz (Lady Macbeth) und Juan Orozco (Macbeth) in Verdis „MACBETH“ am Theater Freiburg

Sängerisches Format

Der Mexikaner Juan Orozco hat nicht nur in seinem Habitus, sondern auch stimmlich Macbeth-Format. Die Chilenin Roxana Herrera Diaz ist als Lady an seiner Seite eine darstellerisch und vokal eindrucksvolle Erscheinung, auch wenn sie davor zurückschreckt, Verdis kolportiertem Wunsch nach Hässlichkeit und einer rauhen, erstickten oder holen Stimme allzu explizit zu folgen. Jin Seok Lee beeindruckt als Banco. Hyun Han Hwang nutzt seine Chance am Ende des Vaterlandschores für die eindringliche Anklage Macduffs wegen der Ermordung seiner Familie. Nach der Pause ist auf dem Zwischenvorhang eines jener Ruinenbilder eingeblendet, die es gegenwärtig leider täglich in den Abendnachrichten zu sehen gibt. Man kann es für einen Vorzug der vor Kriegsausbruch konzipierten Inszenierung halten, dass dies die einzige direkte Anspielung auf den gegenwärtigen Krieg bleibt. Dass sie aber in ihrem Bemühen um das Exemplarische der Geschichte hinter vielen anderen neueren Zugängen zurückbleibt, ist schade. Die Pointe, dass die Parzen den Nachfolger von Macbeth, Malcolm (Hyun Han Hwang), sofort anspringen und in Beschlag nehmen, nachdem er die Macht übernommen hat, ist naheliegend. Und auf deprimierende Weise wahr.

Theater Freiburg
Verdi: Macbeth

Ektoras Tartanis (Leitung), Andriy Zholdak (Regie), Daniel Zholdak (Bühne & Videodesign), Simon Machabeli (Kostüme), Tatjana Beyer (Dramaturgie), Juan Orozco, Jin Seok Lee, Roxana Herrera Diaz, Junbum Lee, Hyun Han Hwang, Janina Staub, Lorenz Kauffer, James Turcotte, Margarete Nüßlein, Anja Steinert, Pascal Hufschmid, Rui Xiao, Opernchor und Extrachor des Theater Freiburg, Philharmonisches Orchester Freiburg

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