Oper Leipzig: Richard Wagner-Festtage „Wagner 22“ / „Götterdämmerung“

Oper Leipzig/GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto ©Tom Schulze

Götterdämmerung, der vierte Teil von Richard Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen, enthüllt einige der unheimlichsten Aspekte des menschlichen Verhaltens wie Habgier, Neid, Manipulation, rücksichtsloses Streben nach egoistischen Zielen, die Ehe als lieblose vertragliche Verpflichtung und wahnsinnig starres Festhalten an der wörtlichen Bedeutung von Schwüren, die unter Betrug abgelegt wurden. Uraufgeführt am 17. August 1876 im Rahmen der Richard-Wagner-Festspiele im Bayreuther Festspielhaus war diese Oper das Ergebnis von mehr als 26 Jahren Überlegung und Arbeit. (Rezension der Vorstellung v. 10. Juli 2022)

 

Viele Menschen fühlen sich unwohl, wenn sie mit Wagners Kunst konfrontiert werden, weil er die Grausamkeiten, zu denen wir fähig sind, explizit aufzeigt, Aspekte von uns selbst und unseren Mitmenschen, die wir lieber nicht wahrhaben wollen. In der Geschichte der abendländischen Literatur gab es nur wenige andere Künstler, die die härtesten Züge der Menschheit so anschaulich darstellten, zum Beispiel Sophokles in König Ödipus oder William Shakespeare in Richard III. und König Lear.

Die Aufführung am 10. Juli 2022 in der Oper Leipzig war ein interessanter Versuch, die zahlreichen Themen dieser außerordentlich komplexen Oper in einem modernen Rahmen zu präsentieren. Die Regisseurin Rosamund Gilmore inszeniert die Handlung in einem modernen Wohnzimmer (Bühne: Carl Friedrich Oberle, Kostüme: Nicola Reichert) mit unscheinbaren Möbeln, die weder mit dem gesungenen Text noch mit Wagners Regieanweisungen im Libretto etwas zu tun haben. Im ersten Akt, Szene 1, sitzt Gunther auf einem Sofa, trägt einen Geschäftsanzug und trinkt Alkohol; er ist betrunken, ein Aspekt der Inszenierung, der diesen naiven jungen Mann, der sich eindeutig um seine Ehre und damit um den Ruf seiner Familie sorgt, falsch darstellt. Darüber hinaus hat ein heutiger Unternehmensleiter nichts mit dem mittelalterlichen Adel gemein, denn unter anderem haben Manager weitaus weniger Macht, ihre Angestellten zu kontrollieren, als Adlige gegenüber ihren Leibeigenen hatten. Natürlich haben Regisseure einen Interpretationsspielraum, aber die Qualität ihrer Arbeit hängt davon ab, wie gut sie die Komplexität der Werke, die sie inszenieren, verstehen und wie gut sie in der Lage sind, ihre Visionen konkret umzusetzen, ohne die Libretti zu vereinfachen.

Oper Leipzig/GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto ©Tom Schulze

Die Sängerinnen und Sänger engagierten sich für ihre jeweiligen Rollen und das Konzept der Regisseurin. Eine hervorragende Leistung gelang Kathrin Göring in der Rolle der Waltraute, denn sie verkörperte alle Emotionen der Figur, insbesondere ihre Angst und Verzweiflung, als sie versucht, Brünnhilde zur Rückgabe des Rings an die Rheintöchter zu bewegen. Mit ihrer kräftigen und etwas süßen Stimme drückt Lise Lindstrom Brünnhildes wechselnden Gefühle aus: ihre Liebe zu Siegfried während des Vorspiels, ihr Schrecken, als er ihr in Gestalt von Gunther mit dem Tarnhelm am Ende des ersten Aktes gegenübertritt, ihre Wut, als sie ihn mit Gutrune im zweiten Akt sieht, und ihre tiefe Traurigkeit, als sie seine Unschuld erkennt und beschließt, sich am Ende der Oper zu opfern.

Stefan Vinke bewies als Siegfried eine erstaunliche Kraft und Ausdauer. Er vermittelte den tragischen Umstand, dass Siegfried ein junger, unerfahrener Mann ist, dessen einzige „Heldentat“, nämlich die Tötung Fafners, von Mime geplant wurde und der nicht damit zurechtkommt, dass andere Menschen ihn manipulieren können, um seine unglaubliche Körperkraft für ihre eigenen Zwecke einzusetzen. Tuomas Pursio stellt Gunther, Siegfrieds Blutsbruder, so dar, dass er Hagens Plan, Siegfried zu ermorden, bis zur Tat im dritten Akt unbeteiligt und akzeptierend gegenübersteht. Taras Shtonda hat Hagen als eine der rücksichtslosesten und bösartigsten Figuren in der gesamten Belletristik dargestellt; nur Jago in William Shakespeares Othello verfolgt ebenso zielstrebig rein egoistische Ziele. Shtonda verlieh der Rolle eine gewisse Subtilität, indem er weniger von der Aggression ausstrahlte, die klassische Interpreten wie Gottlob Frick vermitteln. In Alberichs kurzem Auftritt zu Beginn des zweiten Aktes gibt Werner Van Mechelen das richtige Maß an erschreckender Unmenschlichkeit und Verzweiflung, wenn er seinen Sohn Hagen anfleht, sich auf die Wiedergewinnung des Ringes zu konzentrieren.

Oper Leipzig/GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto ©Tom Schulze

Die Mezzosopranistin Emily Magee ließ Gutrune reifer erscheinen, als die Figur wahrscheinlich sein sollte, denn ihre Stimme ist eine Spur zu tief für die Rolle. Eine Sopranstimme würde die jugendliche Naivität vermitteln, die Gutrune in der ganzen Oper aufweist. Als die drei Nornen boten Christiane Döcker, Karin Lovelius und Magdalena Hinterdobler eine überzeugende Kombination aus Weisheit, Angst und blankem Entsetzen, wenn das Seil, an dem sie ihr ewiges Wissen spinnen, reißt. Die drei Rheintöchter (Olga Jelínková, Sandra Maxheimer und Sandra Janke) versprühten Verführung, spielerische Neckerei und gleichzeitig echte Sorge um Siegfried, als sie ihn vor seinem bevorstehenden Tod warnten, sollte er den Ring nicht in ihre Verwahrung zurückgeben.

Das Gewandhausorchester dirigiert von Ulf Schirmer spielte mit Präzision und Respekt vor der Partitur, wenn auch mit etwas zu viel Zurückhaltung in Schlüsselmomenten, wie Siegfrieds Rheinfahrt und Brünnhildes Selbstverbrennung. Alles in allem war die Aufführung sehr bewegend und ein passender Abschluss für einen kompletten Ring-Zyklus in Wagners Geburtsstadt.

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Leipzig / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Leipzig/GÖTTERDÄMMERUNG/ Foto ©Tom Schulze
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