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Kritik – Salzburger Festspiele Langweiliger Weltuntergang mit Orff und Bartók

"De temporum fine comoedia" von Carl Orff und "Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók – diese beiden Werke stehen bei den Salzburger Festspielen zusammen an einem Abend auf dem Programm. Und darum fühlt sich das an wie Weltuntergang.

Vor brennendem Feuer singt die Sängerin | Bildquelle: © SF / Monika Rittershaus

Bildquelle: © SF / Monika Rittershaus

Um zehn Uhr kam mir die Vision einer Schinkensemmel. Beim Propheten, dem alten Carl Orff, zieht sich der Weltuntergang. "De temporum fine comoedia", das "Spiel vom Ende der Zeiten", ist sein letztes großes Opus. Eine richtige Handlung gibt es nicht, nicht mal individuelle Figuren. Der frühchristliche, von der Kirche als Ketzer verurteilte Philosoph Origines hatte es Orff angetan. Dieser Origines lehrte, dass selbst der Teufel in den Himmel kommt und das radikal Böse am Ende der Zeiten erlöst wird. Das ist die ebenso befremdliche wie erbauliche Botschaft dieser rätselhaften Oper – oder ist es eher ein Oratorium?

Dem Weltuntergang nahe

Bei den Salzburger Festspielen 2022 steht der musicAeterna Chor auf der Bühne. | Bildquelle: © SF / Monika Rittershaus musicAeterna Chor | Bildquelle: © SF / Monika Rittershaus Nun ist die Welt weiß Gott noch immer erlösungsbedürftig. Und dem Weltuntergang fühlen wir uns heute zumindest nicht weniger nah als die Menschen des Jahres 1973. Damals wurde Orffs Stück unter Herbert von Karajan uraufgeführt, ebenfalls in Salzburg. Man war geschockt vom explodierenden Ölpreis und den düsteren Prophezeiungen des Club of Rome über die Grenzen unserer natürlichen Ressourcen. Apokalypse einst und jetzt: Die alte Frage, ob, wann und wie das alles endet, ist uns ja durchaus vertraut. Dennoch gelang es Orff auch mit diesem Stück nicht, seinem Schicksal zu entrinnen – und das war und blieb der Übererfolg seines Überwerks "Carmina Burana". Im Riesenschatten dieses One-Hit-Wonders führen seine anderen Werke, auch die "Comoedia", ein trauriges Dasein. Sie wird selten aufgeführt. Doch in ihrer überraschend radikalen, kompromisslos herben Klangsprache ist sie zumindest eine Befragung wert.

Warum stehen Orffs "Comoedia" und Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" nebeneinander?

Nur was um Himmels willen mag Orffs klöppelndes Apokalypse-Tableau mit Béla Bartóks wundervollem Einakter "Herzog Blaubarts Burg" zu tun haben? Bartóks Musik ist farbig, schwelgerisch spätromantisch. Auf der Schwelle zur Moderne lotet sie unendlich viele Nuancen aus. Bartók erforscht die Ambivalenzen der menschlichen Seele, berührt und verzaubert. Orff will das gar nicht. Im Gegenteil. Seine Musik versucht, objektiv zu sein. Starr, schroff und hart hämmert sie in doch recht simplen, manisch repetierten Rhythmen düstere religiöse Formeln ein.

Inszenierung des Regisseurs Romeo Castellucci

Offenbar war es gerade dieser herausfordernde Kontrast, der Regisseur Romeo Castellucci reizte. Der ganze Abend spielt in edlem Halbdunkel. Das funktioniert bei Bartók sehr gut. Feuer und Wasser sind die szenischen Grundelemente. Geometrische Formen flammen auf. Aus Blaubarts Ärmeln rinnt Wasser, Sinnbild seiner Tränen und seines Bluts. Das Wort ICH, gebildet aus brennenden Buchstaben, spiegelt sich darin. Ein Kindsmord wird angedeutet, immer wieder beugen sich Judith und Blaubart über eine kleine Leiche. Stark ist das szenische Miteinander. Die Liebenden tanzen und kämpfen, Aggression und Begehren werden eindringlich choreographiert.

Mika Kares und Ausrine Stundyte in den Hauptrollen, Teodor Currentzis steht am Pult

Mika Kares als Blaubart singt edel wohltönend. Das ist einwandfrei, aber doch weit entfernt von der psychologischen Intensität, mit der die großartige Ausrine Stundyte die Partie der Judith gestaltet. Mit ihrem warmen, dunklen, ein wenig rauen Timbre zeichnet sie minutiös alle emotionalen Zwischentöne dieser verschwenderisch reichen Musik nach. Ebenso wie Teodor Curentzis, der das Gustav Mahler Jugendorchester zu einer exzellenten Leistung inspiriert, nur leider gelegentlich zu laut spielen lässt.

Das ist esoterischer Kitsch

Verhüllte Menschen um einen Baumstamm in der Inszenierung von Romeo Castellucci | Bildquelle: © SF / Monika Rittershaus Inszenierung von Romeo Castellucci | Bildquelle: © SF / Monika Rittershaus Nach der Pause bebildert Castellucci die Orffschen Orakelsprüche mit düster dräuenden Massenchoreographien. Der musicAeterna Chor skandiert und zetert, psalmodiert und schreit. Wir sehen Gebete, eine Steinigung, Larven kriechen aus dem Bühnenboden, Kinder werden geopfert, Totempfähle errichtet. Die Psychoanalytiker Freud und Lacan lassen grüßen. Offenbar sieht Castellucci, und das macht sein Konzept so fragwürdig, Orffs kollektivistisches Mythenspiel als Antwort auf die ganz individuelle Frage nach der menschlichen Seele, die Bartóks Liebestragödie stellt. Als wäre ausgerechnet Orffs okkulte Vision einer göttlichen Erlösung des Teufels die Lösung für das Liebespaar. Und tatsächlich: Der Regisseur lässt Judith und Blaubart nochmal auftreten. Die beiden fallen auf die Knie und bitten zusammen mit Orffs Luzifer demütig Gott um Verzeihung. Das ist esoterischer Kitsch. Die Endzeit-Show bleibt öde-pathetisch, der Prophet kommt nicht auf den Punkt. Stell dir vor, es ist Weltuntergang – und langweilig. Am Schluss dieses bleischweren, atavistisch stampfenden Rituals sehnt man sich nach ein bisschen Aufklärung, Licht, Leichtigkeit, Ironie und so banalen Dingen wie einer Schinkensemmel mit einer doppelten Portion scharfem Kren.

Sendung: "Allegro" am 27. Juli 2022 ab 6:05 Uhr

Kommentare (4)

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Dienstag, 02.August, 23:40 Uhr

Thomas

Gelungener Abend

Ich konnte der Aufführung der Werke am 31. Juli beiwohnen. Von Langeweile keine Spur. Insbesondere Orffs „De temporum fine comoedia“ hat mich zutiefst beeindruckt. Das Orchester war hervorragend, die Sänger nicht minder. Man muß Orffs Sicht der letzten Dinge nicht in jedem Detail teilen, um dennoch festzustellen, wie suggestiv und überwältigend seine musikalische Sprache ist. Das Pochende, Eindringliche, Hämmernde, Ekstatische zieht einen in Bann. Irgendwie tun mir Leute leid, die nicht mehr die Freiheit besitzen, sich einer Sache selbst anzunehmen, sondern nur noch mit akademischem Dünkel darüber herziehen können. Wenn mir ein Musikstück nicht gefällt, dann sage ich das. Ich nehme dafür aber keine Schinkensemmel in Anspruch. Bei dieser Herabwürdigung fehlt schlicht jedes Argument.

Donnerstag, 28.Juli, 17:38 Uhr

Silvia

Bartok- Orff-Salzburg

Sehr geehrter Herr Neuhoff,
ein Jahr nach DonGiovanni und Ihren und meinen hier dargelegten Diskrepanzen individueller Rezeption, dieses Mal fast 100% Kongruenz !
Fast, betrifft die Stimme von Frau Stundyte, fuer die Jeanne- Diablesse in Muenchen fielen Defizite kaum auf, aber bei Judith fehlten mir die ab und zu (von mir) erhofften lyrischen Anteile, die Bartok komponiert hat....dadurch leider einseitig Schaerfe und Drama(queen).
PS Schade dass im Samstags -BR Talk mit Herrn Dorny meine HoererFrage zum derzeit medial gepflegten Politik/Geld/Kunst Thema und Rausschmiss von Teodor C.' ,Koma Produktion der Sendezeit geopfert wurde. Absicht/ Zufall??

Mittwoch, 27.Juli, 16:27 Uhr

Soizbuaga

Artikel

Außer musicAeterna hat auch der Salzburger Bachchor mitgemacht.

Mittwoch, 27.Juli, 12:51 Uhr

Klaus Thiel

Apokalypse in Salzburg

"Klöppelndes Apokalypse-Tableau" ist prachtvoll für diesen abgehangenen Schinken, den man wohl selbst mit Schinkensemmel kaum ertragen könnte.
Kompliment !

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