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Mika Kares und Ausrine Stundyte in der Oper "Herzog Blaubarts Burg" von Bela Bartok.

© dpa/Barbara Gindl

Salzburger Festspiele: Doppelt rätselhaft

Regisseur Romeo Castellucci und Dirigent Teodor Currentzis dürfen einmal mehr die Salzburger Festspiele eröffnen. Sie tun es auf erwartbare Weise.

Bewegte Zeiten fordern auch von den Künsten besondere Antworten. Das mag sich der Salzburger Festspielintendant Markus Hinterhäuser gedacht haben, als er für die Eröffnungspremiere der diesjährigen Ausgabe zwei düster temperierte Raritäten aufs Programm setzte: Béla Bartóks Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ und Carl Orffs Opernoratorium „De temporum fine comoedia“.

Mit deren Realisierung betraute Hinterhäuser ein Duo, das im vergangenen Jahr mit seiner extrem artifiziellen Version von Mozarts „Don Giovanni“ polarisierte: Regisseur Romeo Castellucci und Dirigent Teodor Currentzis. Beide gehören seit Hinterhäusers Amtsantritt zum Kern seiner Dramaturgie.

Der Intendant ist Fan von Currentzis und Castellucci

Die Endzeitstimmung, die beide Werke verbindet – so grundsätzlich verschieden sie auch sonst sind –, scheint für Hinterhäuser bei der Planung in die (post)-pandemische Zeit gepasst zu haben. Dass nun mitten in Europa ein Krieg wütet, gibt diesem Doppelabend aber zusätzlich eine unfreiwillige Brisanz. Zumal mit Teodor Currentzis ein „Problemfall“ im Graben steht, über den im Vorfeld bereits heiß diskutiert wurde.

Denn die Ensembles des aus Griechenland stammenden Wahlrussen Currentzis werden von der russischen VTB-Bank finanziert, die auf westlichen Sanktionslisten steht. Außerdem waren die Ensembles kürzlich auf Gazprom-Tour und Currentzis schweigt sich bisher aus. Dennoch hält Hinterhäuser an ihm und seinen Ensembles fest und argumentiert clever, aber abwiegelnd.

Die Salzburger haben Probleme mit einigen Sponsoren

Wie es die Kunst mit dem Krieg, der Moral und dem Sponsoring hält, ist freilich ein sehr grundsätzliches und hoch komplexes Thema, dessen öffentliche, exemplarische Diskussion gerade dem größten Klassik-Festival der Welt gut zu Gesicht stehen würde. Die Eröffnungsrede des Schriftstellers Ilija Trojanow in der Felsenreitschule steht dann auch tatsächlich unter dem Titel „Der Ton des Krieges, die Tonarten des Friedens“ und greift das heikle Thema des Kultursponsorings auf, das auch in Friedenszeiten die Augen vor fatalen Zusammenhängen gern verschließt. Wovon die Festspiele bekanntlich selbst betroffen waren und sind, schließlich gab es Verträge mit Gazprom und erst kürzlich wurden die Beziehungen zum Bergbauunternehmen Solway abgebrochen.

Eine Maskenpflicht gibt es nicht mehr

Wiederum in der Felsenreitschule geht dann abends die Eröffnungspremiere über die Bühne, und tatsächlich stehen Protestler auf der Seite der Schaulustigen in der Hofstallgasse. Aber sie protestieren nicht gegen den Auftritt von Currentzis, sondern krakeelen nur zum Auftritt von Politikern wie dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Sonst ist alles wie immer, es gibt ein paar große und viele kleine Roben, keine Maskenpflicht mehr, nur noch eine Empfehlung, der wenige folgen in der voll besetzten Felsenreitschule. Und dann wird es dunkel, sehr dunkel. Der Kegel einer Taschenlampe tastet sich durch die Nacht, es ist Teodor Currentzis, der zu seinem Arbeitsplatz schleicht. Als die Lampen im Orchestergraben wieder leuchten, verbeugt er sich. Und bekommt den ersten demonstrativen Applaus dieses Abends. Das Thema Currentzis ist also in Salzburg kein Thema.

Szene aus Orffs "De temporum fine comoedia".
Szene aus Orffs "De temporum fine comoedia".

© dpa/Barbara Gindl

Womit wir bei der Kunst wären, die schon problematisch genug ist an diesem Abend. Was nicht an Currentzis liegt, der gewohnt energetisch, zupackend und effektsicher dirigiert, Bartóks spätromantischer Partitur irisierende Farben entlockt, gähnende Abgründe aufreißt und Orffs perkussive Wucht präzis steuert. Sondern an Regisseur Romeo Castellucci, der sich zunehmend für letzte Dinge zuständig fühlt.

Neulich in Aix-en-Provence ließ er in einem Betonkubus zu den Klängen von Mahlers Auferstehungs-Sinfonie Leichen exhumieren, was erst erschütterte, dann zunehmend langweilte. Nun verklammert er ziemlich mutwillig zwei Werke, die miteinander nichts zu tun haben und zwingt Bartóks Einakter ein wenig schlüssiges Erlösungs-Ende auf. Aber der Reihe nach.
Bevor der erste Ton von „Herzog Blaubarts Burg“ erklingt, hört man aus der Ferne Babygeschrei. Und dann eine verzweifelte Frauenstimme. Judith, die Frau, die jenem mysteriösen Herzog auf seine Burg folgt und von ihm fordert, sieben geheimnisvolle Türen zu öffnen, ist bei Castellucci keine Frau, die besessen ist von toxischer Liebe und fatalem Erkenntnisdrang, sondern eine durch Kindesverlust Traumatisierte.

Der Regisseur deutet Bartoks Stück um

Damit kassiert er die abgründige Liebesgeschichte zugunsten eines rätselhaften, wie immer bei Castellucci mit bedeutungsvollen Symbolen und Metaphern hochgerüsteten, ritualisierten Geschehens, das sich vor einer schwarzen Stoffwand vorwiegend im Dunkeln vollzieht. Immer wieder entzünden sich von Geisterhand Flammen an metallenen Körpern, mal eine Säule, dann ein großer Kreis, oder das Wort „Ich“, das sich im Wasser spiegelt, das den Boden bedeckt. Der schwarze Stoff wird den ganzen Abend über die archaische Arkadenwand der Felsenreitschule verbergen, womit Castellucci ein einmaliges Ambiente, mit dem er in der Vergangenheit virtuos zu spielen vermochte, einfach verschenkt. Als Blaubart und Judith sind Mika Kares und Ausrine Stundyte oft nur schemenhaft zu erkennen zwischen den Feuer- und Wasserzeichen, ein paar kammerspielartige Szenen bauen Spannung auf und wecken Interesse, aber alles bleibt düster raunend. Kares singt sonor und wohltönend, Stundyte setzte ihren hochdramatischen Sopran bis auf einen expressiven Ausbruch sparsam und schlank ein, Currentzis hat das Gustav Mahler Jugendorchester bestens im Griff.

Orffs Stück wurde 1973 in Salzburg uraufgeführt

Nach langer Umbaupause öffnet sich wiederum ein schwarzer Raum, doch entern Massen die Bühne: Der MusicAeterna Chor und zwei weitere Salzburger Chöre. Orffs Opernoratorium wurde 1973 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt und ist ein mit spärlichem musikalischem Material arbeitendes Spiel vom Weltuntergang mit herber, radikal ausgedünnter Klangsprache, das den Chören Schreien und skandiertes Sprechen abverlangt und das Schlagwerk rauchen lässt. Eine Handlung gibt es eigentlich nicht, am Anfang beschwören neun Sibyllen das Ende der Welt, dann übernehmen die lemurenartig sich aus dem Boden quälenden Choristen, sowie Lucifer (Christian Reiner). Orffs karge Partitur hämmert schroff und öde repetierend Religiöses, Orakelsprüche und Büßerformeln, Cindy Van Acker choreografiert die Massen zu Überwältigungs-Tableaus. Es wird gebetet, ein Totempfahl wird errichtet, eine Frau wird gesteinigt. Und am Ende bittet Lucifer Gott um Verzeihung, gemeinsam mit Judith und Blaubart.

Diese platte Wendung bestätigt endgültig den schon dräuenden Verdacht, dass Castellucci hier esoterischen Kitsch produziert und dem problematischen „Ich“ Bartoks demütig sich unterwerfende Orff’sche Massen als (Er)-Lösung anbietet. Sehr fragwürdig. Aber das Publikum ist aus dem Häuschen, feiert Castellucci und Currentzis gleichermaßen.

Regine Müller

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