Salzburger Festspiele : Das Diesseits ist die Hölle
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In der Salzburger Inszenierung von Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“: Aušrinė Stundytė (Judith) schwebt über Mika Kares (Herzog Blaubart). Bild: Monika Rittershaus
Endzeit mit Tanzen und Kreischen: Romeo Castellucci und Teodor Currentzis eröffnen die Salzburger Festspiele mit Béla Bartóks „Blaubart“ und Carl Orffs „De temporum fine comoedia“.
Es mag in strapaziös langen Theaterwochen heitere Zustimmung geben für Gottfried Benns Aperçu, dass jede künstlerische Darbietung, die länger dauert als eine Stunde, eine Zumutung sei. Mit Hinweis aber auf die Kürze von Béla Bartóks Blaubart-Oper, sie dauert gut eine Stunde, hat Markus Hinterhäuser die „künstlerisch überaus wichtige Frage“ gestellt, was man diesem Werk hinzufügen kann oder muss. Bei der Suche nach Korrespondenzen zum Urkonflikt „Mann-Weib“ wurde Bartóks Einakter mal mit Claudio Monteverdis „Combattimento“ und Henry Purcells „Dido und Aeneas“, mal mit Hindemiths „Sancta Susanna“ oder, wie früher in Salzburg, mit Schönbergs „Erwartung“, aber kaum je so krass kontrastiert wie nun mit Carl Orffs „De temporum fine comoedia“.
Das Mysterienspiel mit dem zentralen Gedanken der endgültigen Allversöhnung mit Gott wurde 1973 in Salzburg, dirigiert vom Auftraggeber Herbert von Karajan, uraufgeführt. Die damalige Begeisterung der festivalisch Hochgestimmten für Orffs Opus summum fand ihr negatives Komplement in der Entgeisterung vieler Kritiker. Sie gipfelte in dem Verdikt: eine „apokryphe Weltschau vom Wahrheitsgehalt banaler Horoskope“. Ein arg gewagter Rückgriff also in die Festspielgeschichte, aber im vollen Vertrauen des Intendanten in Teodor Currentzis und Romeo Castellucci, dem „Don Giovanni“-bewährten Erfolgsteam des vergangenen Jahres.
Castellucci hat es immer wieder verstanden, mit seinen Denk- und Rätselbildern gerade jene, die deren Sinn nicht entschlüsseln können, zu faszinieren; und der wirkungsmächtige Teodor Currentzis mit seinem messianischen Credo „Kunst ist eine Botschaft“ erfüllt den Intendanten-Wunschtraum des Kassenmagneten. Beiden werde es gelingen, die „so unterschiedlichen, komplementären Kompositionen auf stringente Weise miteinander zu verknüpfen“ (Hinterhäuser).
Zu Beginn von Bartóks „düsterem Adagio“ erklingt aus dem Off, gleich ein Castellucci-Rätsel, das Wimmern eines Säuglings, fortgesetzt durch Klagelaute einer Frau, bevor der Barde, eine in vielen Aufführungen gestrichene Figur, die Frage stellt: „Alte Sage, ach was bedeutet sie, Männer und Frauen. Der Vorhang unserer Augenwimpern ist auf: Wo ist die Bühne: außen oder innen, Ihr Männer und Frauen?“ Im Dunkel der Felsenreitschule sind zunächst nur die Schemen der beiden Protagonisten zu sehen, die sich der „Burg“ nähern: einem fensterlosen Gebilde, in dem, durch eine Spalte zu sehen, ein Feuer flackert. Dass des Herzogs Burg weint, spürt Judith – mit den Füßen. Sie watet durch ein Tränenmeer. Die Burg des vermeintlichen Frauenmörders ist ein Seelenraum. Dass die Kammern, deren Geheimnis Judith ergründen will, Chiffren der Vorzeit sind – Folter-, Waffen-, Schatz-, Wunderkammer, Prachtgarten –, muss der Zuschauer allein mit dem Ohr der Phantasie erkennen: Bilder sollen im Klang- und Farbpanorama der Musik aufscheinen. Die Fragen der Judith werden akustisch visualisiert – all dies vom hochgespannt und reaktionsgenau spielenden Gustav-Mahler-Jugendorchester brillant verwirklicht.