Georg Nigl (Lenz), Dirigent Maxime Pascal, Damien Pass (Oberlin), John Daszak (Kaufmann) und das Ensemble Le Balcon in Salzburg.

Foto: SF / Marco Borrelli

Bevor der erste Ton überhaupt gesungen oder gesprochen wird, ist da ein Schrei. Der Mensch, der da verzweifelt durch die Gegend irrt, sich – noch ohne Suizidgedanken – ins eiskalte Wasser stürzt, ein totes Kind erwecken oder den Menschen predigen will: Dieser Mensch ist wohl der Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz.

Das Libretto von Michael Fröhling basiert zwar auf der Erzählung Lenz von Georg Büchner. In der Kammeroper von Wolfgang Rihm, die am Mittwoch im Mozarteum konzertant gezeigt wurde, steht Lenz jedoch allgemein für jedes fragile, gefährdete Individuum, das an seiner Zeit zweifelt, verzweifelt und letztlich zerbricht.

Sprachlosigkeit, Staunen, Ironie

Bariton Georg Nigl, der bereits 2015 für seine Interpretation des Jakob Lenz zum Sänger des Jahres gekürt wurde, wechselt in dem expressiven Part souverän zwischen Gesang und Schrei. In den gesprochenen Passagen changiert er zwischen beinah tonloser Sprachlosigkeit, kindlichem Staunen, Ironie und tiefster Verzweiflung. Eine gesangliche wie schauspielerische Höchstleistung.

Wenn etwa im siebten Bild Lenz im Gebirge "niedersinkt", scheint einem die Musik Assoziationen zu dem Sänger in Mahlers Lied von der Erde geradezu aufzuzwingen. Und der nächste Moment ist auch schon wieder rasende expressive Verzweiflung: Die permanenten Wechsel der Gefühlslage dieser zerrissenen Seele rundet der intensive Georg Nigl allerdings zu erschütternder Geschlossenheit. Man erlebt eine Existenz im Kerker aus Krankheit und Verzweiflung.

Weitsicht des Pfarrers

Um Nigl herum? Bassbariton Damien Pass sang die Partie des Oberlin, jenes weitsichtigen und menschenfreundlichen Pfarrers, der den historischen Lenz drei Wochen lang betreute und Notizen über den pathologischen Fall hinterlassen hat. Er "redet" nicht viel in der Kammeroper, umso mehr Verständnis und Mitgefühl wusste Pass in dieser Rolle zu vermitteln. Tenor John Daszak war wiederum der gutmütige und wohlmeinende Pfahlbürger Kaufmann, der angesichts von Lenz’ künstlerischer Verzweiflung nur die "Schönheit" ins Treffen führt und in bizarren Dreiklängen vom "furchtbaren Schlaraffenland verwilderter Ideen" singt.

Diese von Wolfgang Rihm beinah liebevoll ironisch gezeichnete Figur kann man bis heute wohl in jedem x-beliebigen Pausengespräch ähnliche Plattitüden verbreiten hören.

Klein war die Besetzung: Da waren sechs Vokalisten, vier Kinderstimmen, vier Holz- zwei Blechbläser, drei Celli, Schlagzeug und Cembalo. Der Dirigent Maxime Pascal ermöglichte mit dem Ensemble Le Balcon und allen Beteiligten dennoch einen umfassenden, tiefen Blick in seelische Abgründe. (Heidemarie Klabacher, 28.7.2022)