Salzburger Festspiele:Opas Gutenachtgeschichte

Salzburger Festspiele: Szene aus Lydia Steiers überarbeiteter Salzburger "Zauberflöten"-Inszenierung, mit Regula Mühlemann als Pamina. Durch die Tür kommt der hinzuerfundene Großvater (Roland Koch).

Szene aus Lydia Steiers überarbeiteter Salzburger "Zauberflöten"-Inszenierung, mit Regula Mühlemann als Pamina. Durch die Tür kommt der hinzuerfundene Großvater (Roland Koch).

(Foto: Sandra Then/SF)

Mozarts "Zauberflöte" reloaded: Lydia Steier hat in Salzburg ihre Inszenierung von 2018 überarbeitet, Joana Mallwitz dirigiert. Geblieben ist die Idee vom Großvater, der das Märchen seinen Enkeln erzählt. Und sonst?

Von Wolfgang Schreiber

Darf Mozart bei den Salzburger Festspielen zu kurz kommen? Nur eine Oper diesmal, ein Streichquartett, ein Streichquintett, kaum Klaviermusik, kein Orchesterwerk. Er ist "unser" in den Mozart-Matineen. Umso gravierender also "Die Zauberflöte" - Reprise der Aufführung von 2018.

Joana Mallwitz dirigiert sie jetzt, akzentscharf, die Regisseurin Lydia Steier hat ihre Interpretation weiterentwickelt - nun im kleineren Haus für Mozart statt im opulenten Großen Festspielhaus. Steiers Grundidee zur erzählten Geschichte Mozarts und Schikaneders bleibt dieselbe: Die "Drei Knaben", Seelenführer und geheime Coaches für Tamino, Pamina und Papageno, sind zu Mitspielern geworden, Enkel eines frei erfundenen Großvaters, der ihnen das Märchen für Kinder und Erwachsene engagiert in elf Kapiteln vorliest. Die Jungs (drei hochmusikalische Wiener Sängerknaben), im Mozart-Original ein durch die Lüfte schwebendes Gesangstrio, tauchen ein in die Geschichte, erleben sie hautnah, neugierig alles beobachtend, spielen mit. Eine interessante, schöne Idee, eine Maßnahme, das Spiel um die Findung und die "Prüfung" von Mann und Frau, ihre Individuation als ideales Liebespaar, konkreter, greifbarer, sogar amüsanter erleben zu lassen.

Salzburger Festspiele: Die "Drei Knaben", Seelenführer und geheime Coaches für Tamino, Pamina und Papageno, werden hier zu Mitspielern, verkörpert von drei Wiener Sängerknaben.

Die "Drei Knaben", Seelenführer und geheime Coaches für Tamino, Pamina und Papageno, werden hier zu Mitspielern, verkörpert von drei Wiener Sängerknaben.

(Foto: Sandra Then/SF)

Zur Ouverture wird lebhaft eine Vorgeschichte um den Großvater und die drei Enkel erzählt: Da agiert im oberen Teil der Bühne, im Gründerzeitstil einer alten Villa, pantomimisch eine ganze Familie, streitlustig ins stumme Spiel der Knaben und der künftigen Opernfiguren verwickelt. Großbürgerliche Leute mit ihren Traumata. Im Orchester rast das Allegro. Es begibt sich das ästhetische Gegenteil der Salzburger "Così fan tutte" von 2020: Hatte die leere schneeweiße Bühne von Christof Loys Inszenierung allein die Konfliktpaare und ihre Emotionen in scharf geschnittene Konturen versetzt, so erscheint Lydia Steiers "Zauberflöte", im Drehbühnenbild von Katharina Schlipf, vollgestopft mit klobiger Innenarchitektur, Schachtelräumen, Treppenaufgängen, auch mit bedeutungsvoll "komischen" Scherzartikeln. Die Figuren zappeln darin oder verschwimmen zwischen all den gesprochenen Texten, die Steier aus den Singspielteilen des Mozartlibrettos extrahiert oder neu geformt dem Großvater (Roland Koch) in den Mund legt. Text-Musik-Kollisionen sind unvermeidlich.

Es gibt in Lydia Steiers "Zauberflöte" neben Leerstellen und Aufmöbelungen Übermalungen der idealtypischen Figurenwelt Mozarts. Dazu zählt ihre Sicht auf die Welt Sarastros und seiner "Eingeweihten" - 2018 noch Akteure einer Zirkuswelt. Dass der Protagonist der "Heiligen Hallen", mit dem spröden Bass von Tareq Nazmi, eine positiv wie negativ schillernde Figur ist, sowohl edler Humanist als auch Sklavenhalter und Despot, wurde oft diskutiert. Dass seine Gefolgschaft aber, wie hier, als Kaste von Tabak rauchenden Dandys auftritt, in grauen Anzügen mit Krawatte, Melonen auf den Köpfen, später ergänzt um eine mit Sturmgewehren bewaffnete Soldateska, geht an dem Stück vorbei, macht aus Ambivalenz ein schiefes Statement.

Natürlich wird der Obersklave Monostatos (Peter Tantsits) nicht als "Mohr" auf Pamina losgelassen, aber: "... weil ein Schwarzer hässlich ist", sein Selbstbild bei Mozart, singt er hier: "... weil ein Diener hässlich ist". Besser wird es dadurch nicht. Prinz Tamino, mehr der heldische als lyrische Tenor von Mauro Peter, steckt in einer allzu schicken k.-u. k.-Uniform, die drei militanten Damen müssen zu Beginn die monströse Schlange glatt erschießen. Regula Mühlemann formt mit ihrem strahlenden Sopran eine schlank mädchenhafte Pamina. Makellos gelingt ihr die Schmerzensarie.

Für wenig veränderbar hält Lydia Steier wohl Mozarts Königin der Nacht, die zerrissene, sowohl beschützende wie zerstörerische Mutterinstanz. Brenda Rae gibt ihr die Grandezza eiskalter Brillanz. Leider neben seiner Charakterrolle, weil bar jeder volkstümlichen Anmutung, der Papageno des polternd frischgemuten Baritons Michael Nagl, der die zierliche, sopranspitze Maria Nazarova zur Papagena macht. Zwei ursprünglich "wienerische" Vorstadtmenschen werden hier zu Stimmungskillern in szenischem Bühnenplunder.

Und Mozarts feinmotorischer, melodisch inniger Ton in der "Zauberflöte"? Den hat Joana Mallwitz, auch dank der im Temporausch präzisen Wiener Philharmoniker, selbstgewiss im Griff. Woran sie noch wachsen mag, das wäre bei aller führungssicheren Energie die Kunst längeren Atmens. Und Mozarts vielleicht größter Kunst gilt es mehr nachzuspüren: dem filigranen Charme der "kleinen Noten". Die dürfen nicht verschwinden.

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