Die Walküren, in der Inszenierung mit Wundverband, blieben unverletzt, das galt nicht für alle.

Foto: Enrico Nawrath

In Richard Wagners vieldeutigem Weltenepos Ring des Nibelungen liegt auf dem goldigen Fingeranstecker ein Fluch. Zwerg Alberich, der in der Inszenierung von Valentin Schwarz Wotans Zwillingsbruder ist, hat den Ring mit einem solchen belegt. Wer Wagner nicht mag, womöglich aber ein Fan der Saga Herr der Ringe ist, weiß auch, wie gefährlich der Fingerschmuck ist.

Bei der aktuellen Produktion der Bayreuther Festspiele kommt der Ring materiell zwar nicht vor. Dafür scheint aber die Figur des Wotan mit einer Verwünschung belegt worden zu sein. An sich war ja Günter Groissböck für die Rolle vorgesehen. Statt ihm kam John Lundgren, der ebenfalls ausfiel. Kurzfristig sprang dann Egils Silins ein, der am Sonntag in Rheingold glänzte.

Für den Rest der Tetralogie wurde schließlich Tomasz Konieczny engagiert. Und er zeigte am Montag in der Walküre lange, welch vokal charaktervolle Qualitäten er als Clanchef einer zwielichtigen Upperclass-Familie hat. Dann allerdings Koniecznys Bühnenunfall, den manche für eine heitere Regiepointe hielten: Er brach die Rückenlehne des Stuhls, und Wotan fiel rücklings zu Boden.

Nach Unfall kam Ersatz

Konieczny stand auf, sang tapfer den Akt zu Ende. Er dürfte sich jedoch schwerer verletzt haben, weitermachen konnte er jedenfalls nicht. Statt Abbruch Ersatz: Kollege Michael Kupfer-Radecky, heuer als Gunther in der Götterdämmerung engagiert, sprang ein und sang zwar mit weniger Volumen, aber doch sehr respektabel zu Ende. Heute, Mittwoch, wird Konieczny im Siegfried allerdings, laut Ankündigung, schon wieder singen. Er war jedenfalls ein profunder Sängerdarsteller, der bei Regisseur Valentin Schwarz zum übergriffigen Typ wird, der sich an Tochter Sieglinde zu vergreifen droht. Wotans Griff unter den Rock der Schlafenden erklärte auch, warum Sieglinde hier bereits vor der Begegnung mit Zwillingsbruder Siegmund, mit dem sie ja Siegfried zeugen soll, hochschwanger wirkt.

Es hat sie wohl Vatermonster Wotan geschwängert, der bei Schwarz gleich auch Siegmund erschießt und dann kurz zusammenbricht. Dazu hätte Wotan schon zu Beginn der Walküre Gelegenheit gehabt. Schwarz zeigt eine Begräbnisszene. Offenbar hat Familienmitglied Freia Suizid begangen. Doch viel Trauer herrscht nicht. Um den Sarg herum gruppieren sich die Walküren, Brünnhilde und ihr Freund machen Selfies mit Wotan.

Todesparty und Lustboys

Es ist mehr so eine Todesparty, und die Walküren sind auch sonst schmerzbefreit. Die Scheintraurigen halten sich Lustboys. Und schminken bedeutet für sie nur, Farbe auf jene Gesichtsteile aufzutragen, die zuvor von Skalpellen modelliert wurden. Ihre einbandagierten Gesichter beseitigen Zweifel. Vokal sind die Damen auf der schrillen Seite, es war grob, was man da hörte.

In puncto Schrillheit ist auch Brünnhilde (Irene Theorin) zu nennen. Sie wird von Wotan in die Verbannung geschickt (statt in den ewigen Schlaf). Der Feuerring, der um sie zu legen wäre, wird bei Schwarz dann – reizvolle Idee – zu einem Candle-Light-Dinner Wotans mit Gemahlin Fricka (Christa Mayer). Der ehemals Göttliche lehnt jedoch ab. Zu sehr hat ihn die Gattin zuvor gedemütigt. Er schüttet ihr Wein vor die Füße, nimmt den Hut und geht auf Wanderschaft.

Voluminös, dramatisch

Die vokale Attraktion? Georg Zeppenfeld wirkt als Hunding kantabel und fast liedhaft elegant. Sieglindes Gatten gibt er als Grobian, während sie sich im Haushalt abmüht. Lise Davidsen (als Sieglinde) glänzt dennoch mit voluminöser, imposanter Dramatik, neben ihr Klaus Florian Vogl mit seiner hellen Stimme. Beeindruckend, wie er Lyrik schließlich auch in expressiven Passagen strahlen lässt. Das Orchester unter Cornelius Meister ist präsenter als in Rheingold, klangsatter, näher am Bühnengeschehen.

Applaus und Getrampel für die Stimmen. Buhs und Bravos für die Regie, die noch nicht viele Rätsel aufgelöst hat. Immer wieder ist da diese leuchtende kleine Pyramide, an der sich nicht nur Wotan ergötzte, sondern auch das Zwillingspaar in einer wunderbaren Erinnerungsszene an die Jugend.

Wen die Pyramide an jene aus Glas im Innenhof des Louvre erinnerte, der lag nicht ganz falsch. Ein Teil war schon auf Wotans Luxusvilla zu sehen. Aber was sie bedeutet? Nun, die Serie geht weiter, die Auflösung folgt – hoffentlich. (Ljubiša Tošić, 2.8.2022)