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Ab zum Vaterschaftstest: Wagners „Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen

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Walkürenritt im Beauty-Salon
Walkürenritt im Beauty-Salon: Sieglinde (Lise Davidsen, liegend) hat ihr Kind geboren, Grane (Mi.), von Wagner eigentlich als Pferd gedacht, hält es im Arm. © Enrico Nawrath

Sieglinde bekommt kein Kind von Siegmund? In seiner Bayreuther „Walküre“ rüttelt Regisseur Valentin Schwarz an den Grundsäulen von Wagners „Ring“. Doch manche Zusatz-Ebene ist nur vorgetäuscht. Außerdem war da noch ein Bühnenunfall.

Der Bauch ist dick, das Kreuz schmerzt, das Kind bleibt ungewollt. Irgendwann will Sieglinde mit einer Stricknadel allem ein Ende machen, sie wird ihr weggenommen. Doch von wem ist der Nachwuchs, Siegfried, der künftige Held? Von Zwillingsbruder Siegmund, so hat sich das ja Wagner gedacht, eben nicht. Und wohl auch nicht von Gatte Hunding. Eher von diesem lüsternen Göttervater, der ihr am Ende von Akt zwei unter den Rock greift. Also Sieglinde ein Missbrauchsopfer, Täter der eigene Vater Wotan?

Ein munteres genealogisches Ratespiel entspinnt sich da in den Pausen unter den Bayreuth-Nerds. Weil: Wenn Siegfried im nächsten „Ring“-Teil mit Brünnhilde schläft, dann ist die nun Stiefschwester und nicht mehr, wie es Richard selig wollte, seine Tante. Verstanden? Muss nicht sein. Wie viele Rätsel, die Regisseur Valentin Schwarz mit seiner neuen Festspiel-„Walküre“ aufgibt.

Das Prinzip seines „Rheingolds“ gilt also auch hier. Schwarz hat einen Narren gefressen am Wotan-Clan. Vor allem daran, wie man die Geschichte etwas anders aufdröseln und ihre Logik ausreizen, überdehnen, Gewichte verschieben und alles vielleicht neu denken kann. Mit Siegfrieds Vaterfrage rüttelt Schwarz an den Grundsäulen des „Rings“. Andere Ideen, etwa die Trauerfeier für die offenkundig suizidale Liebesgöttin Freia (sonst nur im „Rheingold“ aktiv), sind nette Sättigungsbeilage für Insider. Schwarz möchte die „Ring“-Figuren präsent halten, obgleich sie in den Szenen gar nicht vorgesehen sind, als Extra-Erklärmaterial gewissermaßen. So wie Fricka und Wotan die ungehorsame Brünnhilde überwachen, ob sie Siegmund wirklich ins jenseitige Walhall holt – bei Bühnenbildner Andrea Cozzi eine Mixtur aus Louvre-Pyramide und Schicki-Loft.

Schwert Nothung ist nur eine simple Pistole

Doch auch diese „Rheingold“-Tendenz setzt sich fort: Ideen-Input ist das eine, handwerkliche Umsetzung, der Instinkt für szenische Balance das andere. Viele Zeichen sind zu groß gesetzt wie die penetrant ausinszenierte Rückblende auf Siegmunds und Sieglindes Kindheit. Anderes verpufft, weil es ab Reihe 15 nicht mehr sichtbar ist – oder weil es Trivial-Alarm auslöst: Statt Schwert Nothung holt Siegmund eine simple Pistole aus einer aufklappbaren Mini-Walhall-Pyramide. Wie diese vorgebliche Superwaffe am nächsten Abend wohl von Wotan zerstört wird? Wahrscheinlich, indem er einfach die Patronen entfernt.

Nur vordergründig macht Schwarz die Geschichte damit „interessant“. Seine Zusatzebenen sind in den dürftigsten Momenten vorgetäuscht. Zugleich spricht aus dieser (Spiel-)Lust am Verbiegen auch Naivität. Nicht das Geschehen selbst interessiert in dieser „Walküre“, zumal vieles übers Flachrelief oder den munteren Gag wie beim Walkürenritt im Beauty-Salon nicht hinauskommt. Schwarz erzeugt Spannung einzig mit der Frage: Ob das am Ende alles aufgeht?

Da trifft er sich mit Dirigent Cornelius Meister. Doch den schützt weiter, dass er spät in die Produktion eingestiegen ist. Seine „Walküre“ ist konziser als das „Rheingold“, das Dirigat strebt allerdings noch in alle Richtungen wie eine ungeordnete Frisur. Extreme Verbreiterungen wie in Sieglindes Klage stehen neben wohltuend flüssigen Parlando-Szenen in Wotans Monolog. Es gibt plötzliche Pathos-Ausbrüche und milchige Passagen, die nach Schärfung und Zuspitzung schreien. Meister hinterlässt gern zeigefingernde Klang-Markierungen, was - über den ganzen Abend gehört - unentschlossen bleibt. Und in Akt drei muss er auch noch mit einem ungeplanten Wotan zurechtkommen.

Bühnenunfall: Wotan-Sänger Konieczny musste ersetzt werden

Tomasz Konieczny war zuvor mit einem Eames Lounge Chair zusammengebrochen. Der Bariton rappelte sich zwar geistesgegenwärtig auf, sang scheinbar ungerührt weiter, doch die Schmerzen wurden wohl zu groß. Michael Kupfer-Radecky, ohnehin als Cover vorgesehen, übernahm den dritten Akt. Er verfügt über ein viel feiner funktionierenderes Organ als der Kollege. Konieczny zeigt bis zum Bühnenunfall im zweiten Akt enorme Präsenz, auch stimmlich. Ihn drängt es in den Mittelpunkt, die Aktivität tut dem Abend gut: Wotan als Neureich-Fiesling und zu allem entschlossen, erst recht im Vokal-Ausdruck – auch wenn davon dank der Klangverzerrungen nur 50 Prozent zu verstehen sind. In der „Siegfried“-Premiere an diesem Mittwoch ist Konieczny wieder mit dabei.

In Sachen Textverständlichkeit kommt Iréne Theorin auf einen weit niedrigeren Wert, ihre Brünnhilde ist Bayreuth kaum angemessen. Dafür kann man ab dem ersten Ton von Klaus Florian Vogt alles mitstenografieren. Sein Siegmund bleibt ein Tenor-Sonderfall, auch wenn die Stimme sich verbreitert hat. Doch wie er über Stellen hinwegsegelt, wo Kollegen tricksen müssen, das bleibt ein Hör-Genuss. Georg Zeppenfeld (Hunding) ist, typisch Valentin Schwarz, häufiger auf der Bühne als gedacht; man wünscht sich inständig, Wagner hätte für diesen Bassisten entsprechende Zusatz-Soli geschrieben. Christa Mayer als Clan-Mutter Fricka singt mit inzwischen hohem Säure-Anteil. Und Lise Davidsen ist – auch in Bayreuth – eine Sing-Spiel-Klasse für sich.

Vorbei die Zeiten, als sich die Norwegerin nur auf das Material ihres Riesen-Soprans verließ. Das war 2018, als die heute 35-Jährige ihr erstes Wagner-Strauss-Album herausbrachte, schon umwerfend. Was jetzt dazugekommen ist: ein Gespür für Differenzierungen, für Text, Farben, für behutsam gepegelte Dynamik und natürlich für Momente, in denen sie richtig loslässt. Ihr triumphierendes „Siegmund!“ im ersten Aufzug, ihr ins Monumentale gesteigerte „hehrstes Wunder“ im dritten, das sind Momente für die Bayreuth-Annalen. Natürlich, das weiß sie, das wissen alle, ist diese Jahrhundertsängerin irgendwann hier Brünnhilde. Gut, dass Lise Davidsen damit wartet. Aber vielleicht, man kann bei Schwarz ja nie sicher sein, tut sich an den nächsten „Ring“-Tagen Ungeahntes.

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