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Wagner im Logik-Loch: „Siegfried“ bei den Bayreuther Festspielen

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Alle beim selben Friseur? Siegfried (Andreas Schager, li.) trifft auf Brünnhilde (Daniela Köhler), beobachtet von Grane (Igor Schwab) – der hier nicht ihr Pferd, sondern ihr Bodyguard ist.
Alle beim selben Friseur? Siegfried (Andreas Schager, li.) trifft auf Brünnhilde (Daniela Köhler), beobachtet von Grane (Igor Schwab) – der hier nicht ihr Pferd, sondern ihr Bodyguard ist. © Enrico Nawrath

Fafner als siecher Clan-Chef, Siegfried als mordendes Vorbild für Hagen: Auch der neue Bayreuther „Siegfried“ hält einige Überraschungen bereit. Regisseur Valentin Schwarz verfängt sich dabei in seinen Ideen. Dafür wird Cornelius Meister immer besser.

Ein manierliches Kerlchen hätte aus ihm werden können. Mit verständnisvollen Eltern, netten Freunden, einem Platz im Fußballteam, wahlweise im Schulorchester. Doch Hagen hat schlechten Umgang, und der heißt Siegfried. Zwei Kumpels, eine Art Brüderverhältnis. Und irgendwann lernt Hagen, wie man killt. Als Siegfried seinen Ziehvater Mime erst ersticht und dann das Kissen aufs Gesicht drückt, wird er sich das merken. Seine Erfahrungen, Bayreuth-Besucher wissen damit Bescheid, werden sich am nächsten „Ring“-Tag, in der „Götterdämmerung“, gegen den Lehrmeister Siegfried höchstselbst wenden.

Die Vorgeschichte Hagens zeigen, seine Jugend, dabei seine Haltungen und Taten motivieren, das gehört zur Haben-Seite dieser „Siegfried“-Premiere. Auch bei anderen Dingen müssen Wagner-Nerds stutzen. Dass Regisseur Valentin Schwarz in Akt zwei einen fauchenden Drachen auffährt, hat keiner erwartet. Aber auch nicht, dass es sich um einen siechen Clan-Paten handelt, der seine Pflegerin befummelt – die Wagner eigentlich als Waldvogel (Alexandra Steiner) vorgesehen hatte. Wotan, der im „Siegfried“ bekanntlich Wanderer heißt, bringt heuchelnd Blumen vorbei. Alle warten auf das Ende des Ekelpakets, weil sie an den Reichtum wollen. Als Siegfried ihm die Krücke wegstößt und Fafner am Boden verröchelt, hilft keiner.

Auf fatale Weise verpufft der erste Akt

Es bleibt also dabei in diesem neuen „Ring des Nibelungen“. Regisseur Valentin Schwarz ist als zwei Personen unterwegs. Die eine will den riesigen Vierteiler mit überraschenden Nebenwegen, Ideen und Figuren-Umwertungen anreichern. Und die andere steht oft schulterzuckend daneben, weil sie vieles handwerklich kaum umsetzen kann. Auf fatale Weise verpufft dabei der erste Akt, mit zwei aufgekratzten Tenören inklusive Schmiedeliedern in fast jedem „Siegfried“ eine Bank. Plötzlich gibt es nun doch ein Schwert (in der „Walküre“ war die Wunderwaffe noch eine Pistole), auch andere Requisiten zeigen: So ganz kann sich Schwarz nicht um die Insignien der Tetralogie drücken. Mancher Nebenweg, den er munter beschreitet, entpuppt sich als Sackgasse. Auch weil Wagners Text nicht zu 90 Prozent ignoriert werden kann – so sehr sich Wotan auch darum bemüht.

Tomasz Konieczny ist, nach seinem Bühnenunfall in der „Walküre“, also wieder dabei. Die langen Legato-Bögen kannte man noch gar nicht von ihm, eher die verquollene Diktion und die monochrome Gestaltung. Von der entgegengesetzten Seite nähert sich Arnold Bezuyen seiner Partie. Mime kommt bei ihm übers Deklamieren aus Notwehr selten hinaus, ein drastisch gemeintes Singen, das sich um korrekte Tonhöhen drückt. Andreas Schager muss erst auf Betriebstemperatur kommen. Sein Siegfried lässt sich in Akt eins noch von Mime anstecken, wird aber im Laufe des Abends immer besser. Ein Lustsänger, der sein nimmermüdes Tenor-Organ genießt und Töne in den Raum klotzt – einfach, weil er’s kann.

Daniela Köhler darf als geheimnisvolle Mumie die Szene betreten und sich vom Titelhelden auswickeln lassen. Ihr hoher, flirrender Sopran passt zur extrem gelagerten „Siegfried“-Brünnhilde, in den anderen „Ring“-Teilen würde man körperhaftes Gestalten und breites Timbre vermissen. Wer exzellenten, musterhaft kontrollierten, trotzdem expressiven Wagner-Gesang sucht, findet den hauptsächlich in kleineren Rollen, bei Okka von der Damerau (Erda), Olafur Sigurdarson (Alberich) und Wilhelm Schwinghammer (Fafner).

Das Dirigat von Cornelius Meister wird plastischer und offensiver

Im „Siegfried“ kommen Dirigent Cornelius Meister und das Festspielorchester auf hohe Näherungswerte – abgesehen vom ortsunüblichen Schwimmfest im ersten Aufzug. Aus dem Graben dringt Plastischeres, die Deutung wird fassbarer, offensiver, kraftvoller im Farbauftrag. Notwendig ist das gerade dann, wenn Schwarz seine Figuren einfach abstellt. Umso ungehinderter, wirkungsvoller erobert sich die Musik nun Raum.

Platz genug dafür ist, die Schicki-Villa von Bühnenbildner Andrea Cozzi gibt es seit dem „Rheingold“ in immer neuen Variationen, Drehungen und Perspektiven. Im Souterrain, früher einmal das Reich Hundings, hausen anfangs Siegfried und Mime. Im Obergeschoss taucht die zur Menschenfrau gereifte Brünnhilde auf. Ansonsten säuft man sich das Schicksal schön, vor allem Jung-Siegfried ist schon ein Fall für die Betty-Ford-Klinik. Muntere Anekdötchen sind das, die Schwarz aneinanderreiht und die – abgesehen vom hilflosen Abrufen staubiger Gesten – durchaus für Kurzweil sorgen.

Doch manchmal wird eine Fährte gelegt, die Schwarz (Zeitmangel? Unvermögen?) nicht weiter beschreitet. Grane zum Beispiel ist nicht Brünnhildes Pferd, sondern Bodyguard. Als sie zwischen ihn und Siegfried gerät, hätten andere daraus eine subtile Eifersuchtsnummer inszeniert. Hier ziehen beide an der Maid wie an einem Tau, vom Publikum prompt belacht. Überhaupt läuft die existenzielle Erstbegegnung des Helden mit einer Frau ins Leere: Einen Akt zuvor hatte er schon mit der Fafner-Pflegerin heftig geflirtet. Viele dieser Logik-Fallen gibt es, aus denen sich Schwarz kaum befreien kann. Angeblich soll sich in der „Götterdämmerung“ einiges lösen und aufdröseln. Sechs Stunden, Zeit wäre genug dafür.

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