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Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Wenn die Kinder erwachsen werden – In Bayreuth ist der neue „Ring“ beim „Siegfried" angekommen

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Valentin Schwarz liefert mit seinem „Siegfried" als kleines Schmankerl die Vorlage für einen Kalauer. Der passt für Ringneulinge und Insider gleichermaßen und geht so: Hagen und Grane haben im „Siegfried“ keine falsche Note gesungen. … Sie haben natürlich gar nicht gesungen, weil die beiden bei Richard Wagner hier nicht auf dem Besetzungszettel stehen. Beim jungen Ring-Aufmischer aus Österreich schon. Da ist so manches anders, neu und aufregend. Den einen zur Freude, den anderen zum allfälligen Vervollständigen der „Fehlerliste“, an der für den Auftritt des Regieteams nach der „Götterdämmerung" schon emsig gearbeitet wird.

Mittlerweile sind nicht nur das hochsommerliche Wetter und Cornelius Meister als Herr des Rings im Graben auf Bayreuther Ringtemperatur. Auch im Saal, wo jeder mittlerweile seinen Nachbarn kennt, ist es so ähnlich und das Pro und Contra artikuliert sich lautstark nach jedem Vorhang. Das gilt freilich nicht für die Sänger und den Dirigenten und – immer mehr wirklich – „sein“ Orchester. Da herrschen begeisterter Jubel, mindestens aber fairer Respekt vor. Selbst wenn man den nach dem Stuhlsturz wieder einsatzfähigen, machtvoll präsenten Thomasz Konieczny auch als Wanderer etwas mehr Textverständlichkeit wünscht, oder sich Mime prägnanter akzentuiert vorstellen kann, als bei Arnold Bezuyen. Von Okka von der Damerau gibt es wieder einen extrafeinen Erda-Auftritt. Wilhelm Schwinghammer verröchelt als Alt-Fanfer eindrucksvoll und Olafur Sigudarson macht auch als Altrocker Alberich (dem die graue Mähne inzwischen unters Kinn gerutscht ist) gute Fieslingsfigur beim Zusammentreffen mit seinem feindbrüderlichen Gegenspieler Wotan. Andreas Schager hat in der letzten Zeit zwar mitunter die Stopp-Schilder mit den Begrenzungen für Lautstärke übersehen. Aber ein so strahlender und unverbraucht loslegender Jung-Siegfried, wie der Österreicher ihn jetzt das erste Mal in Bayreuth bot, gehört dann doch eindeutig auf die Habenseite mit den beglückenden Festspielmomenten. Noch dazu, wenn er eine Brünnhilde wie hell strahlende Daniela Köhler aus ihrem Langschlaf erwecken kann!

Einquartiert hat Schwarz Mime und Siegfried in eine Kellerbehausung des ansonsten luxuriös großkotzigen Anwesens. Wie auch schon Hunding. Teile des Mobiliars hat Mime gleich übernommen. Er tut so, als würde er sich für den Jungen aufopfern – seine Krücke jedenfalls braucht er nicht wirklich. Zum Geburtstag schenkt er ihm ein Leuchtschwert, das der natürlich gleich beim Auspacken kaputt macht. Schießscheiben im Nebenraum, Figurenaufstellungen mit selbstgebastelten Puppen vor einem Kasperltheater und Hefte mit Nackedeis gehören zu Mimes Er- bzw. Verziehungskonzept. Wenn Wotan vorbeischaut, treibt den mehr Kontroll- als Rätsellust …. (nach seinem Stuhlkracher in der Walküre ist man froh, dass diesmal alle Sitzmöbel halten). Es gehört zur Rätselvorliebe der Regie und des Clanchefs, dass sein eigentliches Mitbringsel für seinen Enkel (oder auch Sohn – das weiß man hier ja nicht so genau) eine Krücke (für Mime?) ist, in der sich endlich eine „richtige“ Nothung-Version für den Knaben findet. Die setzt der aber erst als Waffe gegen Mime ein. Als der besoffen ausplaudert, was er mit ihm im Schilde führt…

Das passiert im spannenden zweiten Aufzug. Nicht vor der Neidhöhle, sondern am Krankenbett des alt gewordenen, ziemlich luxuriös gepflegten Fafner. Hagen ist inzwischen in Siegfrieds Alter, er bevorzugt immer noch Basecape und gelbe Klamotten. Und fühlt sich offenbar für die Betreuung von Fafner zuständig. Wie die attraktive Pflegerin/Waldvogel (Alexandra Steiner), die der Alte immer wieder schikaniert und begrapscht. In dieser belle-etage der Luxuspflege machen Alberich und Wotan einen höchst scheinheiligen Krankenbesuch. Der eine mit mickrigem, der andere mit üppigem Blumenstrauß. Wenn dann Mime mit Siegfried im Schlepptau auftaucht, gibt der Junge den Lümmel und haut dem Alten so den Rollator weg, dass der mit einem Herzanfall zu Boden geht. Niemand hilft. Hagen zögert nur einen Moment, aber hilft ihm nicht auf. Auch das Pflegepersonal schaut zu. Als sich Siegfried irritiert umsieht, ist es Hagen, der dem alten, röchelnden Fafner das Kissen ins Gesicht und ihm so das Licht ausknipst. Es muss nicht lustig für Hagen gewesen sein, unter der Fuchtel dieses neureichen Bauunternehmers (und Brudermörders) gelebt zu haben. Das Personal ist schneller weg, als man gucken kann. Und Pflegerin Waldvogel lässt mit hübschem Effekt zu den letzten Takten des zweiten Aktes ihre Arbeitsschürze auf den Verblichenen fallen. Das ist so ein ins Düstere gewendeter Rosenkavalier-Moment mit dem Taschentuch, das der Mohr allerdings dort aufhebt und nicht fallen lässt.

Zum szenischen Witz bei Schwarz gehört es auch, wenn sich Wotan bei seiner Begegnung mit Erda in der Adresse seiner notorischen Grabscherei irrt und es nicht Erda, sondern wahrscheinlich das einst von ihr in Sicherheit gebrachte, jetzt erwachsene Mädchen ist, an der er sich zu schaffen macht. Dieses Du-bist-aber-alt-geworden-Erschrecken bei ihm, kann er nicht verbergen. (Hier altert man auf verschiedenen Zeitebenen – aber was solls). Ihr grundsätzlicher Streit gewinnt dadurch aber Plausibilität. Amüsant auch der modische Gruß, den Wotan einschmuggelt. Nachdem Siegfried und sein, von einer ähnlich elternlos problematischen Kindheit belasteter Kumpel Hagen hier auftauchen könnte es bei Hagen endgültig klick machen – er könnte Brünnhilde aus dem Kindergarten kennen, oder zumindest erahnen, dass man sich vor langer Zeit schon mal begegnet ist. Wenn er sich beim anhebenden und dann ausufernden Liebesduett zurückzieht, dann nicht aus purer Diskretion. Er hat bei Siegfried einiges gelernt, auf das man noch gespannt sein darf. Als Brünnhilde bandagiert (Schönheits-OP? oder – schlaf?) gemessen einherschreitet, muss Siegfried nicht nur seine Schüchternheit in Sachen Frauen überwinden, sondern auch den handfesten Widerstand ihres Bodyguards Grane und Brünnhildes Verweigerung. Erst als sie den Hut von Wanderer Wotan in Händen hält (dass der erst als richtiges Wandererutensil ins Spiel kam, als Brünnhilde schon verbannt war, wollen wir mal nicht überbewerten. Vielleicht steht ja sein Monogramm drin) ist für sie klar: Siegfried ist es! Ich darf, ja ich soll und vor allem ich will. Abgang, Vorhang, Durchatmen und Bravo und Buh, wie jeder mag.

Auf jeden Fall wollen wir jetzt wirklich mal wissen, was es mit dem Pyramiden-Anbau des Anwesens auf sich hat, und wie dieser Ring ausgeht …

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