Hinreißend und tragisch: Corinne Winters als Katerina.

Gindl

Als er zuletzt bei den Salzburger Festspielen Regie führte, hat Barrie Kosky Orpheus heiter in die Unterwelt begleitet. Offenbachs Orphée aux enfers – als wilder Ritt durch die Mythologie – wurde zur glitzernden Gag-Party.

Nun aber – in der Felsenreitschule – mit Leoš Janáčeks ländlichem Frauendrama Káta Kabanová das ernste Gegenteil. Kosky nutzt die steinerne Wucht des Raumes, verzichtet auf konkrete dörfliche Folklorebilder. Um die Entfremdung des Individuums vom Kollektiv zu zeigen, stellt er einen gruseligen "Puppenchor" auf, der mit dem Rücken zum Geschehen postiert ist und aus dem die handelnden Figuren singend heraustreten (Bühne: Rufus Didwiszus).

Enge Verhältnisse

Vor den Puppenmenschen rast Káta durch den Raum, eingezwängt wie in einem Käfig. Sie tut es bereits zu den ersten Tönen der Philharmoniker und wirkt wie ein an der dörflichen Enge erstickender Sehnsuchtsmensch. Genau hat Kosky ihr Drama schon zu Beginn choreografiert.

Dass das Ambiente eines kleinen Städtchens an der Wolga keine Rolle spielt, schärft den Blick für die Charaktere. Im Zentrum stehen die Auswirkungen der beengenden Lebensverhältnisse, der Zwang zur Unterordnung, den die alte Kabanicha (durchdringend in der Strenge Evelyn Herlitzius) am deutlichsten repräsentiert. Sie ist jemand, dem man weder bei Tag noch bei Nacht begegnen möchte. Ihre Kälte ist bei Kosky von sadistischer Überheblichkeit.

Wie ein Hund

Wie einen Hund behandelt sie den allerdings masochistisch gestimmten Dikoj (sehr markant Jens Larsen Savjol). Für Schwiegertochter Kata ist sie allerdings mehr, eher ein Schwiegermonster von gruseliger Empathielosigkeit, während der Sohn der Alten ein unterwürfiges Kind geblieben ist.

Als Kátas Mann kniet er vor Mama Kabanicha, küsst lieber ihre Hand als jene seiner Frau. Die flehenden und warnenden Worte Kátas versteht Tichon (impulsiv Jaroslav Brezina) hingegen nicht und reist ab, was Platz schafft für ihre Affäre.

Ihrer Sehnsüchte nach einem erfüllten Leben projiziert Káta auf Boris (hervorragend David Butt Philip) und lässt sich auf ihn ein. Er, der nicht den Mut hat, etwas Ernstes mit ihr anzufangen, besiegelt durch seinen Weggang dann auch ihr Ende.

Sie geht ins Wasser, verschwindet in einem Bühnenloch, aus dem ihr Gatte später das nasse Kleid zieht. Das alles wirkt eindringlich schmucklos.

Tödliche Gefühle

In dieser Raumleere brauchte es dann allerdings echte Rollengestaltung. Besonders Káta ist bei Corinne Winters – auf ihrem Weg von der Sehnsucht zur kurzer Erfüllung bis zum tödlichen Schuldgefühl – ein Wesen, das jede Gefühlswallung exakt an die Musik bindet.

Da ist kein Leerlauf, Winters singt so impulsiv wie weich, ohne harmlos zu wirken, und schafft das tiefgehende Porträt einer hoffenden Verzweifelten, in deren Innerem die Wünsche und die spröde Dorfmoral zu keinem Kompromiss finden.

Große Kammermusik

Vielleicht war da einmal Zuneigung in ihrer Ehe, vielleicht wurde sie zur Heirat auch ohne Überzeugung gedrängt. Jedenfalls landet sie in einer als ausweglos empfundenen Situation.

Die Philharmoniker unter Dirigent Jakub Hruša zeigen sich von ihrer sensiblen Seite und liefern diese ständigen Richtungs- und Stimmungswechsel als große Kammermusik ab, die in dieser klaustrophoben Lebenswelt die emotionale Landschaft der wirklichen Bedürfnisse Kátas und des tollen Gesamtensembles spiegelt. (Ljubiša Tošić, 8.8.2022)