Salzburger Festspiele:Erstickte Hoffnung

Salzburger Festspiele: Darf nicht dazugehören: Corinne Winters als Katja Kabanowa in der Felsenreitschule.

Darf nicht dazugehören: Corinne Winters als Katja Kabanowa in der Felsenreitschule.

(Foto: Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele)

Leoš Janáčeks "Katja Kabanowa" tut sich bei den Salzburger Festspielen schwer mit den Dimensionen der Felsenreitschule.

Von Michael Stallknecht

Die Felsenreitschule bleibt der spektakulärste Spielort der Salzburger Festspielen: Weit und streng zugleich, haben ihre steinernen Arkaden schon viele aufsehenerregende, oft experimentelle Opernproduktionen beherbergt. Insofern ist es bemerkenswert, wenn in diesem Jahr gleich zwei Regisseure einen Vorhang hineinhängen lassen und den Raum damit deutlich klassischeren Bühnen annähern. War die "Gardine" bei Romeo Castellucci in der Eröffnungspremiere ("Herzog Blaubart" & Orff) noch schwarz und schwer, so zeigt sie bei Leoš Janáčeks "Katja Kabanowa" die Ahnung einer Naturszenerie. Gleitet sie dann zum ersten Mal zur Seite, sieht man, dass der Regisseur Barrie Kosky auch die Arkaden hat zumauern lassen. Eine endlose Reihe von Menschen bildet davor mit ihren Rücken eine weitere Mauer, an der die Sehnsüchte der Titelfigur abprallen werden.

Es ist die Gesellschaft des russischen Städtchens Kalinow an der Wolga, in dem Autoritarismus, Bigotterie und fehlende Anteilnahme eine erstickende Mischung bilden. Dabei würde Katja Kabanowa gern dazugehören, ihrem Ehemann treu sein, sich sogar der üblen Schwiegermutter unterordnen. Allein die Sehnsucht treibt sie zuerst in die Arme des hilflosen Streuners Boris, später in die Wolga. Corinne Winters ist dafür schon ihrer jugendlichen Erscheinung nach eine Idealbesetzung. Jugendlich hell klingt auch ihr Sopran, verfügt aber über die nötigen Kraftreserven. Dunkle Ahnungen kann sie hören lassen und weiche Träume, Todessehnsucht und früh vergangenes Glück. Winters liefert sich der Figur ganz aus, auch wenn sie sie letztlich eher mit schauspielerischen als stimmfarblichen Mitteln erzählt.

Dirigent Jakub Hrůša hat diese Musik im Blut

Das ist möglich in einer Oper, deren Gesangslinien nicht nur der tschechischen Sprache abgelauscht sind, sondern die auch in ihrer musikalischen Textur moderner ist, als sie sich gibt. Der Dirigent Jakub Hrůša ist in Brünn geboren, wo Janáček die längste Zeit lebte. Es mag ein Klischee sein, dass jemand eine Musik "im Blut" haben kann. Aber Hrůša gelingt bei "Káťa Kabanová", wie die Festspiele das Stück philologisch korrekt nennen, tatsächlich, womit sich viele Dirigenten schwertun: die kleinteilig gebrochene Fraktur mit dem großen Gefühl zu versöhnen. Er schält die komplexen Rhythmen heraus und hält sie dabei flexibel. Er setzt harte Schnitte und klare Konturen, gibt aber immer dem Melos und, im richtigen Maß, dem Sentiment Raum.

Dabei wirken die gern mal renitenten Wiener Philharmoniker, das Hausorchester der Salzburger Festspiele, in Sachen Präzision bei der Premiere nicht gerade übermotiviert. Doch einmal mehr können sie mit ihrem warmen, vom österreichisch-osteuropäischen Kulturraum geprägten Klang punkten, der in die schicksalhafte Tiefe der Handlung zieht. Und Hrůša lässt sie eindreiviertel Stunden lang nicht von der Angel, baut die Erzählung dramaturgisch klug auf. Langsam, aber sicher, kontrolliert, aber in weiten Bögen treten die Sehnsüchte über die Ufer. Und das alles wirkt am Ende so natürlich, wie es die vielen Naturmetaphern des Stücks suggerieren.

Salzburger Festspiele: Vor der Kulisse gesichtsloser Menschenlarven: Corinne Winters als Katja Kabanowa.

Vor der Kulisse gesichtsloser Menschenlarven: Corinne Winters als Katja Kabanowa.

(Foto: MONIKA RITTERSHAUS)

Natur lässt auch die Regie vor den drei Akten hören, Vogelstimmen, Glocken, ein Gewitter. Nur die Menschen bleiben sich gleich, auch wenn der Bühnenbildner Rufus Didwiszus sie bei geschlossenem Vorhang immer wieder umgruppiert. Denn nicht Menschen sind es, sondern Puppen. Plastikreihen von gesichtslosen Menschenlarven, in die auch die echten Menschen immer wieder zurückkehren: als Abgesandte der herrschenden Verhältnisse, nicht Individuen, obwohl optisch für Opernverhältnisse auffallend typecht besetzt. Gruselig, wie sich Jaroslav Březina, als Katjas Ehemann Tichon viel zu alt, noch immer von seiner Mutter schikanieren lässt. Evelyn Herlitzius wirft sich mit wuchtigen Stimmresten in die Altersrolle der Kabanicha, die bei dieser Inszenierung in der sadomasochistischen Beziehung mit Dikoj (Jens Larsen) ihre Dominanz auch sexuell ausleben kann. Etwas leichter, wenngleich nicht verbindlicher wirkt das junge Paar, Benjamin Hulett mit jugendlich warm timbriertem Tenor als Kudrjáš und Jarmila Balážová, die Varvara mit leichthin leuchtendem Sopran als Teeniegirl gibt. Boris aber, der einzige Mann, der Katja aus dieser Elendsgesellschaft herausführen könnte, ist viel zu weich dafür. David Butt Philip verfügt zwar über einen untadelig standfesten Tenor, demonstriert aber schon im schlenkernden Gang mangelnde Entschlossenheit.

Die Personenregie verliert sich auf der riesigen Bühne der Felsenreitschule

Dass er hier weniger Profil gewinnt als in anderen Produktionen, hat auch mit dem Regiekonzept zu tun, das alle Figuren außer Katja als bloße Gesellschaftsvertreter liest. Dabei ist Barrie Kosky ein Menschenkenner, seine Personenregie genau gearbeitet. Doch sie verliert sich auf der riesigen Bühne der Felsenreitschule, auch wenn Kosky den Raum immer wieder mit großen Gängen zu füllen versucht. Erinnerungen werden wach an eine legendäre Produktion der Salzburger Festspiele in der Regie von Christoph Marthaler, der vor gut zwanzig Jahren dasselbe Stück, mit Angela Denoke als herausragender Protagonistin, rund um einen vertrockneten Brunnen spielen ließ, als letzten kargen Rest der Wolga. Ein ähnlich starkes Symbol sucht nun auch Kosky zu finden, aber seine Menschenpuppen sind zu wenig vieldeutig dafür, erstarren allzu bald zur bloßen Staffage. Marthalers Produktion hatte den Vorteil, dass sie im kleinen Festspielhaus stattfand, was der kammerspielartigen Struktur von Janáčeks Oper deutlich stärker entgegenkam. Dabei findet Kosky ein starkes Schlussbild, wenn Katjas Kleid aus der Wolga gezogen wird, vom Existenzkampf dieser Frau nurmehr ein nasser Fetzen übrigbleibt. Doch die Wolga ist hier eben doch nur eine Bodenklappe, die in diesen Bühnendimensionen reichlich läppisch wirkt. Musikalisch bewegt sich die Produktion unzweifelhaft auf Festspielniveau. Aber eben deshalb hätte man genauer überlegen müssen, in welchem Raum man sie zur Geltung kommen lassen will.

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