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„Aida“ bei den Salzburger Festspielen: So keimfrei kann Krieg sein

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Szene aus „Aida“
Lebende Bilder à la Oberammergau bestimmen auch die Zweitauflage von Shirin Neshats Inszenierung. © Ruth Walz

Es ist der zweite Premieren-Versuch für diese „Aida“ bei den Salzburger Festspielen. Auch mit der überarbeiteten Regie von Shirin Neshat wird man nicht froh. Dafür gibt es einen großartigen neuen Radamès.

Als Zentralgestirn der Opernwelt wurde ihr damals gehuldigt, heute ist sie wegen einer, so sagt man, unklaren Russland-Haltung eine Aussätzige. Mit kräftiger Bronzeschminke gab sie seinerzeit ihr Rollendebüt als äthiopische Prinzessin, heute ist Blackfacing perdu. Und dann noch das Kleid, bestickt mit Kristallen des Festspiel-Sponsors Swarovski, ebenso wie die Kostüme der 24 Sklavinnen. 2022 tut’s etwas Schlichtes in Dunkelblau. Fünf Jahre liegen zwischen der Erstpremiere der Salzburger „Aida“ und der Neueinstudierung in diesem Sommer, es sind Welten. Für Anna Netrebko taugte die Produktion 2017 als Diva-Vehikel. Im Graben verhinderte wohl auch Regietheater-Hasser Riccardo Muti Avancierteres. Das Ergebnis: Der Verdi-Abend von Shirin Neshat, Fotografin, Video-Filmerin, bildende Künstlerin, missriet zum Salzsäulen-Arrangement. Die teuerste halbkonzertante Aufführung der Festivalgeschichte.

Werkstatt Salzburg, das ist neu unterm Mönchsberg. Intendant Markus Hinterhäuser gab in diesem Jahr schon der „Zauberflöte“ von Lydia Steier eine zweite Chance. Shirin Neshat wurde dieselbe Gnade gewährt. Eine radikale Überarbeitung hat keiner erwartet und war auch nicht opportun. Der Verdi-Kracher wird in Salzburg gebraucht als Kassenklingelabend, um Traditionalisten zu locken. Und doch sind da ein paar Schärfungen, vorsichtige Ambitionsansätze. Auf den monumentalen Ytong-Quadern von Bühnenbildner Christian Schmidt sieht man nun Videos von Shirin Neshat. Beduinen-Frauen in Schwarz, die anklagend in die Kamera blicken, ein Kommentar auf die ewig kriegshungrigen Kerle. Später verfolgt man eine Prozession mit einem Toten an einer wellenumtosten Küste.

Amonasro wird stückwidrig erstochen

Die Bahre, getragen von stummen Männern, gibt es auch live, darauf Amonasro, der stückwidrig am Ende des Triumphbildes totgestochen wurde. Nun erwacht er plötzlich, um als Phantom der Oper durchs Hirn von Tochter Aida zu spuken. Das ist seltsam, aber auch notwendig. Er hat ja noch ein Duett zu singen. Während der Umbaupausen sieht man von Leben und Leid geprägte, riesig projizierte Schwarz-Weiß-Gesichter auf dem Vorhang, dazu flüstert’s aus den Lautsprechern – es dauert meist zu lang.

Ein wenig wagt sich Shirin Neshat also aus der Deckung. Das ewige Morden, die unterdrückten Frauen, die Pein des Exils, all das scheint nun durch. Die lebenden Bilder, eine Art Oberammergau mit Fremdenlegions-Würze, erhalten eine vorsichtige Kommentierung. Man schaut gern hin. Und doch bleibt alles auf fatale Weise clean, keimfrei und unendlich harmlos. Als ob sich Krieg und Unterdrückung als ästhetisches Phänomen begreifen ließen.

Piotr Beczala und Elena Stikhina.
Als Radamès debütierte Piotr Beczala, hier mit Elena Stikhina (Aida). © Ruth Walz

In diesem Jahr ist die Premiere ist ein Divo-Vehikel. Piotr Beczala riskiert erstmals den Radamès, ihm gelingt Großartiges. Seine lyrische Vergangenheit hört man in jedem Takt, es ist die Stimme eines geschmeidigen Stilisten. Hinzugekommen ist eine erhebliche Portion Vokal-Erz. Beczala hat keine Mühe mit dramatischen Momenten wie am Schluss des vierten Akts, bleibt aber stets flexibel. Das hohe B am Ende der großen Arie, das glückt kaum einem so wie ihm, kann er in butterweicher, unverspannter Mezzavoce ansetzen. Und dass alles wieder bei ihm klingt, als habe da Lehár seine beste Oper hinterlassen, tut Verdi nur gut.

Elena Stikhina zeichnet ihre Aida mit feinerer Schraffur als die opulent gelaunte Netrebko. Die Zerrissenheit der Sklavin wird jetzt auch ohrenfällig, für die großen Töne ist genügend Kraft vorhanden, später schleichen sich Versteifungen ein. Rein stimmlich gesehen wäre Ägyptens Prinzessin die bessere Partie für Radamès. Ève-Maud Hubeaux, vor einiger Zeit erst für Anita Rachvelishvili in die Produktion eingestiegen, gestaltet die Amneris mit enormer klanglicher Energie. Eine glaubhafte Tragödin mit musterhafter Vokalerziehung. Die Schweizerin hat so viel Ausstrahlung, dass man minutenlang die Nicht-Regie glatt vergisst.

Buh-Sturm für Shirin Neshat

Luca Salsis kraftstrotzender Amonasro war schon 2017 dabei, ebenso Roberto Tagliavini. Der hat eine schöne Stimme, bleibt als König aber neutral. Erwin Schrott (Ramfis) berauscht sich wieder an seinem körnigen Bassbariton und hat seine eigenen Tempo-, manchmal auch Intonationsvorstellungen. Ein Routinier wie Alain Altinoglu fängt so etwas locker wieder ein.

Der Chefdirigent des Théâtre de la Monnaie in Brüssel weiß, was Verdi, das Gesangspersonal und das Publikum brauchen. War Riccardo Muti 2017 noch mit Delikatesse unterwegs, als behutsamer Balancekünstler, so wirkt vieles nun direkter, diesseitiger, auch wie entzaubert – man höre dazu die Einleitung der Nil-Szene: Was bei Verdi schillern sollte, erlebt man wie unter Neonlicht. Die Wiener Philharmoniker liefern Brillanz nach Vorschrift, manches ist zu laut. Das seidige Vorspiel, das Verdämmern des Finalduetts dagegen ist andernorts kaum so filigran zu hören. Shirin Neshat muss sich einem Buh-Sturm stellen. Das hätte man in dieser Vehemenz nicht erwartet. Aber vielleicht hat sogar diese Gala-Gemeinde begriffen: Aus einer halb- ist nur eine eindrittelkonzertante Aufführung geworden.

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