Behutsame Dekonstruktion einer Operette: Aus Jeanne Beçu wurde Kurtisane Dubarry (Annette Dasch), die hier Ludwig XV. (Harald Schmidt) Rede und Antwort steht.


Palffy

Vor der Volksoper – seit kurzem rosa eingefärbt – werden an alle Interessierten Sekt und Brötchen gereicht. Die neue Regentin des Hauses, Lotte de Beer, will auch kulinarisch Grußatmosphäre ausstrahlen. Innen, wo gleich die Operettenrevue Die Dubarry beginnt, mischen sich dann alte und neue Epochen. Der Vorgänger der Neodirektorin, Robert Meyer, ist zugegen. Erschienen ist auch der bald startende Intendant des Theaters an der Wien, Stefan Herheim. Gesichtet wird aber auch sein Vorgänger Roland Geyer.

Sie alle erleben die ersten Szenen als flottes Revuetänzchen im Schaufenster des Modesalons von Madame Labille. Wir sind im Heute: Die Verkäuferinnen, die den Puppen Perücken und Kleider anlegen, schießen Selfies und träumen von der wahren Liebe oder einem Glitzerleben. Man tanzt in Richtung Diamonds Are a Girl’s Best Friend, wobei: Eine Verkäuferin, Jeanne Beçu, ist schon in den Maler René verliebt (zwischen klangschön und gar deftig pendelnd: Lucian Krasznec).

Brauchbares Flickwerk

Was da anfangs zu sehen ist, kann als die gute alte, bedenkenlos konventionelle Regieepoche definiert werden, welche die letzten Jahre dominiert hat. Sehr professionell wirkt das dennoch, aber auch als eine Art letztes Aufbäumen: Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger entpuppt sich letztlich gottlob als Mix aus Klischees und deren quirliger Dekonstruktion. Gloger kokettiert mit dem alten Operettentraum und zelebriert dann schließlich eindringlich und heiter die Distanzierung von den Stereotypen des Genres.

Die Dubarry ist hier eine Art brauchbares Flickwerk: Die Operette von Carl Millöcker erscheint an der Volksoper in der 1931 uraufgeführten Adaption von Theo Mackeben. Selbige hat wiederum der Dirigent des Abends, Kai Tietje, musikalisch bearbeitet, um im rosa Haus am Gürtel etwas mehr Millöcker zu ermöglichen. Das klang dann sehr passabel, manchmal halt auch sehr laut, was natürlich auch auf die akustische Situation des Hauses verweist.

Die Version bewirkt jedenfalls reizvolle Stilkontraste, die mit der schillernden Inszenierung korrespondieren: Auf einer Drehbühne geht es von der Gegenwart in die Zeit der Weimarer Republik. Von dort aus reist man in die Österreichisch-Ungarische Monarchie, um schließlich die Epoche Ludwig XV. aufzusuchen.

In jener vorrevolutionären Zeit kämpft die Dubarry mit Perückenpracht um ihre Würde und thematisiert Erniedrigung. Droht in gewissen Szenen textlich das Abdriften in Verkitschung von Existenzen, die sozialen Aufstieg nur durch den Verkauf der eigenen nackten Haut erreichen, verdunkelt sich das Ambiente: Es springt die Dubarry angeekelt aus dem Bilderrahmen, der Teil des Bühnenbilds ist. Sie bricht also aus der Kurtisanen-Operette aus, und das ist gut so und nötig.

Effektvoll zerlegt

Man sieht: Die Inszenierung debattiert gleichsam in einem Museum der Weiblichkeitsklischees über diese. Die übergriffigen Herren werden in ihrer ganzen Unerträglichkeit vorgeführt. Und wenn dann die Harald-Schmidt-Show in Form einer Audienz der Dubarry bei Ludwig XV. beginnt, ist das ganze Werk längst effektvoll auseinandergenommen und zur Folie für Situationskomik geworden, ohne an Munterkeit zu verlieren.

Zu dem Zeitpunkt hatte die großartige Annette Dasch (singt mikrofoniert sehr effektvoll) schon mit einem Sprach- und Etikette-Pädagogen in einer My Fair Lady-artigen Szene Dispute zum deutsch-österreichischen Sprachverhältnis ausgefochten (zu früh während der Pause und dann ein bisschen zu lang...). Längst hat sie sich auch auf Graf Dubarry eingelassen (von eleganter Eiseskälte: Marco Di Sapia), der sie dem König zuführen will, um seinen politischen Einfluss zu erweitern.

Effektvolle Tuschs

Dann aber kommt König Schmidt, und das Volksopernorchester mutiert wie einst die Helmut-Zerlett-Band zum Stimmungsgeber, den der Showmaster in Rokokogewand im Sinne eines effektvollen Tuschs dirigiert. Das Setting ist nostalgisch: Wie einst (bei Sat.1, Sky und im Ersten) sitzt König Harald hinter einem Tisch, ihm gegenüber die Dubarry als zu befragender Gast. Originaltext und neuer Text werden ironisch verquickt, bis die beiden, wie es halt so geschrieben steht, amourös zusammenkommen.

Eine schrille Sache, ein gelungener Auftakt der neuen Direktion, an dem auch Margot (Juliette Khalil) und Marquis de Brissac (Wolfgang Gratschmaier) großen Anteil haben. Wie im wahren Leben kein Happy End: Am Schluss wird angedeutet, dass die Dubarry im Zuge der Französischen Revolution am 8. Dezember 1793 geköpft wurde. Viel Applaus wenige Buhs quasi aus ferner Zeit. (Ljubiša Tošic, 5.9.2022)