Operette:Selbstbewusst, grantig, unverblümt

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Annette Dasch als Gräfin Dubarry, Harald Schmidt als König Ludwig XV. (Foto: Barbara Pálffy/Volksoper Wien)

Die Wiener Volksoper hat mit Lotte de Beer eine neue Intendantin, die Eröffnungspremiere, Carl Millöckers "Dubarry", beschert das perfekte Operettenglück, und Harald Schmidt spielt auch noch mit.

Von Egbert Tholl

Er kommt nach zweieinhalb Stunden, aber er ist der König, und auf einen König muss man schon mal warten. Die Wartezeit freilich gibt das Stück vor, "Die Dubarry", eine Operette von Carl Millöcker, die zwei Uraufführungen erlebte, 1879 in der Originalgestalt und 1931 in der Überarbeitung von Theo Mackeben. Nur die zweite Fassung wird heute noch gespielt, wie nun in Wien, an der Volksoper. Lotte de Beer eröffnet damit ihre Intendanz, inszenieren lässt sie Jan Philipp Gloger, den Schauspieldirektor des Staatstheater Nürnberg, und sie zeigt damit, was sie will mit der Operette: Sie nicht zerstören, aber sie befreien vom Mief, vom Muff, von fragwürdigen Rollenbildern. Das alles geht fabelhaft gut auf, und das Wiener Publikum, bestehend aus den größten Operettenexperten der Welt, ist begeistert.

Nun bittet also Ludwig XV. zur Audienz, die eigentlich eine Fleischbeschau ist, denn er sucht eine neue Gespielin. Die Audienz selbst wiederum ist hier etwas, was einem sehr bekannt vorkommt. Denn der König wird gespielt von Harald Schmidt, der sich hier pudelwohl fühlt. Hinterher sagt er, bei der Operette mitzumachen, sei für ihn das reine Vergnügen, das Genre passe gut in unsere Zeit, die voll sei mit Operettenelementen. Lachen hilft immer, könnte man ergänzen, und zum Lachen gibt es viel, auch bei der Audienz, die wie eine von Schmidts "Late Night Shows" wirkt, nur halt im opulenten Kostümdekor des 18. Jahrhunderts, wofür Sibylle Wallum zuständig ist.

Der gelernte Schauspieler Schmidt wird als König zum Darsteller der eigenen Show

Der besondere Effekt aber: Da Schmidts Talkshow vor einigen Jahren dauerpräsent war im Fernsehen und ikonisch wurde, hat man in der Aufführung nie das Gefühl, hier werde ein Kunstprodukt zitiert, sondern den Eindruck, es dringe eine echte Realität auf die Bühne, die sich einfach das vorhandene Dekor anzieht. Der gelernte Schauspieler Schmidt wird als König zum Darsteller der eigenen Show, die nun so wirkt, als stelle er etwas in der Wirklichkeit Vorgefundenes auf der Bühne nach. Das ist ziemlich grandios. Singen tut Schmidt auch, Bariton, Annette Dasch gab ihm dazu noch ein paar Takte von den ihrigen ab. Dasch hatte selbst einmal eine Fernsehshow, hier treffen sich also zwei Profis. Vor allem aber singt und spielt sie hier die Titelpartie und ist ein absolut umwerfendes Erlebnis.

"Die Dubarry" bildet durchaus das historische Leben dieser Tochter einer Näherin ab, die es als Werkzeug mächtiger Männer bis zur Mätresse des Königs bringt - und auf der Guillotine ihr Ende findet. Gloger begreift ihr Leben beispielhaft, lässt sich von Christof Hetzer einen tollen Kasten bauen, der sich dreht, der auch mal von der Dubarry selbst angeschoben wird, wenn sie von einer Szene die Nase voll hat, der goldgerahmt Bilder aus verschiedenen Zeiten zeigt: Der Beginn ist heute, Verkäuferinnen in einer Edelboutique, die Chefin (Ulrike Steinsky) eine protofeministische Vivienne Westwood, die chinesische Massenware als Luxusartikel vertickt. Die Arbeiterinnen ächzen, lauern auf Typen mit Geld, Erfolg bei der Suche hat Margot, die hinreißende Juliette Khalil, die mit trockenstem, selbstironischem Humor keinen Hehl aus der Geldgier ihrer Figur macht - der Marquis de Brissac, Wolfgang Gratschmaier, ist ihr hilflos und völlig begeistert erlegen, ein bizarres, sehr lustiges Paar auf Augenhöhe.

Von da geht es durch die Zeiten, Berlin 1931, also Armut und reiche Stutzer, Sisi-Zeit in Österreich, Versailles 1769. Und immer geht es darum: Frauen wollen ihr Leben selbst bestimmen, aber die Männer haben die Macht und das Geld. Glauben sie zumindest. Geht auch anders. Das zeigt die Dubarry, die ihren mittellosen Galan, einen Maler, der mit einem Nacktbild von ihr Karriere machen will, entsorgt, obwohl Lucian Krasznec sich mit aller Macht in seine Tenorpartie wirft. Daschs Dubarry ist selbstbewusst, grantig, unverblümt. Nach einem Vergewaltigungsversuch im Spielclub fordert sie die anderen Herren auf, das "versoffene Arschloch rauszuschmeißen", aber sie lernt auch, hinreißend lustig, Wiener Ettikette, für Dasch als Berlinerin ein Ereignis. Auch in kulinarischen Fragen: "Kleiner Brauner darf man heute nicht mehr sagen."

Dubarry (Annette Dasch) rockt mit der Gitarre in der Hand. (Foto: Barbara Pálffy/Volksoper Wien)

Dasch agiert völlig frei, das gesamte Ensemble ist eh ein Traum an Spielpräzision, sie aber hat noch mehr eine geradlinige Wahrheit, eine unverbrüchliche Authentizität, knallt mit Wucht in die Männerwelt, rockt diese auch mal mit der Gitarre in der Hand. Der Abend dauert lang, ist aber kurz und sehr gut durchgelüftet, Gloger hat mit dem Ensemble zusammen viele tolle Dialoge entworfen, die Musik verschwindet oft ganz, kommt aber immer wieder mit polternder Eleganz und auch mit Puderzuckerstaub zurück - es dirigiert nicht Omer Meir Wellber, der neue GMD des Hauses, sondern Kai Tietje.

Für Lotte de Beer geht hier viel auf, was sie sich ersehnte. Die 41-Jährige ist seit gut zehn Jahren eine gefragte Opernregisseurin, nur Operette durfte sie nie machen. Als Lösung übernimmt sie dafür nun gleich ein Haus, an dem das Genre Tradition hat, an dem sie selbst inszenieren wird, auch Opern wie im kommenden Monat Pjotr Tschaikowskis "Iolanta". De Beer hat die Ausstrahlung einer holländischen Pippi Langstrumpf, ist ein echtes Ensembletier. In Wien gibt es ja drei Opernhäuser, worüber sie glücklich sei: Das Theater an der Wien könne, da Stagione-Betrieb, abenteuerlicher sein, die Staatsoper habe die Weltstars, von dieser Bürde sei sie befreit. Sie hat ein Zuhause für Künstler. Und ihre eigenen Stars. In der "Dubarry" ist das Annette Dasch. Worüber sich auch Harald Schmidt freut.

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