In der nunmehr vier Jahre alten Inszenierung der Meistersinger von Nürnberg am Hessischen Staatstheater Wiesbaden zeigt uns Regisseur Bernd Mottl eine erfrischend unpolitische, aber dafür umso menschlichere Lesart von Wagners einziger komischen Oper, jedoch nicht, ohne ein wenig Gesellschaftskritik, wenn auch mit einem Augenzwinkern, einzubauen. Mottl hebt sich in seiner Deutung bewusst von politischen Meistersinger-Inszenierungen, wie man sie in den letzten Jahren zahlreich erleben konnte, ab: Der Schauplatz ist weder ein Nürnberg getaucht in historischen Naturalismus, noch ein zerstörtes Deutschland der Nachkriegszeit.

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Thomas de Vries (Sixtus Beckmesser) und Ensemble
© Karl und Monika Forster

Wären nicht die Smartphones der Jugendlichen auf der Bühne, man könnte meinen die Oper findet in den 60er bis 80er Jahren statt. Denn mindestens so alt wirkt das verstaubte, bessere Zeiten evozierende Bühnenbild, das Interieur einer Gaststätte. „Die gute alte Zeit“ scheint in dem Wirtshaus Alt-Nürnberg, in dem die Oper beginnt, stehengeblieben zu sein. Mit Möbeln in Eiche rustikal, Plastikblumen auf Spitzendeckchen und einem Spielautomat ist die Zeitreise komplett.

Auch die sich langsam zu Freiung und Singschul' einfindenden Meister haben ihren Zenit schon lang überschritten – mit allerlei Gebrechlichkeiten, wie Sehschwächen, Gehhilfen und geistigen Verwirrungen ausgestattet, wird schnell klar, diese Meister haben ausgedient und junger Nachschub muss her! Die damit einhergehenden Ängste und Sorgen der älteren Generation stellt Mottl immer wieder in Kontrast zur jugendlich-unbeschwerten Leichtigkeit. Dass diese in Form von Walther von Stolzing in fescher Motorradkluft erscheint, ist vielen nicht recht, zumal er ihnen noch dazu Eva, ihren Sänger-Preis, stehlen will.

Die Kernaussage Mottls Inszenierung wird schnell und eindeutig präsentiert und stringent über alle drei Akte weitergeführt: Der Generationenkonflikt und die Spannungen zwischen Alt und Jung, wo keiner den anderen versteht oder verstehen will. Während es zunächst seicht und komisch bleibt, schlägt der Beginn des dritten Akts in seiner dargestellten Tragik – als Sachs sich im Zimmer seines Pflegeheims die Bilder seiner damaligen Familie ansieht – wie eine Bombe ein. Der Regisseur beweist ein gutes Händchen für Timing und Komik, aber weiß auch gezielt Ruhepunkte zu schaffen und dank der weitestgehend unveränderten Besetzung der Premierenserie kommen die vielen Details auch nach vier Jahren nach der Premiere noch zum Tragen und erzielen ihre Wirkung.

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Die Meistersinger und Marco Jentzsch (Walther von Stolzing)
© Karl und Monika Forster

Unter der Leitung Alexander Joels vermochte das Orchester des Staatstheaters Wiesbaden eine solide Leistung zu vollbringen, dennoch vermisste man viele Details und Feinheiten – oftmals geriet das Dirigat zu grob. Zwar gelang es Joel nicht, große dramatische Bögen zu spannen, dennoch spielte das Orchester dank ihm in kompaktem, aber stets spielfreudigem Klang, wo er immer wieder Akzente setzen konnte.

Ähnlich wie das Orchester bewiesen auch die Sänger*innen große Spielfreude. Besonders lobend zu erwähnen sind hierbei die Lehrbuben, die nicht nur mit ihren Stimmen glänzen, sondern auch ein ansteckend joviales Zusammenspiel mit jugendlichem Elan zeigten. Betsy Horne und Marco Jentzsch traten als Liebespaar absolut glaubwürdig auf. Hornes schlanker, strahlend klarer Sopran erklang stets mühelos und auch in den Höhen frei – eine stimmlich ideale Besetzung, nach der sich so manches großes Opernhaus sehnt. Jentzschs heller Tenor ließ mitunter eine feinere stimmliche Ausgestaltung seiner Auftritte vermissen, dennoch verfügte er über Stamina und ließ seine seine lyrische Stimme raumfüllend erstrahlen.

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Betsy Horne (Eva)
© Karl und Monika Forster

Der recht kurzfristig eingesprungene Bassbariton Tómas Tómasson bestach durch eine kantige, aber dennoch erhabene Stimme, konnte seiner Darstellung als Hans Sachs aber nur wenig Momentum verleihen. Im Schatten von Thomas de Vries als Beckmesser zog er – und auch alle anderen – hinsichtlich Phrasierung und Ausdruck den kürzeren. Der Kammersänger konnte nicht nur dank überragender Bühnenpräsenz, sondern auch mit seiner ausdrucksstarken und überaus markanten Stimme bei differenzierter Deklamation und eindrücklichem Textverständnis gänzlich überzeugen.

Die Wiederaufnahme glückte besonders auch dank der szenischen und sängerischen Unterstützung der kleineren Rollen, die allesamt mit viel Liebe zum Detail und darstellerischer Hingabe auftraten: Anne Schuldts liebevolle Magdalene mit warmer Mezzostimme, Gustavo Quaresmas als David mit charmant-markantem Tenor und auch die Meister, bei denen Benjamin Russell als Fritz Kothner mit geradliniger und von klarer Artikulation geprägter Baritonstimme besonders hervorstach.

Dass man die Vergangenheit weder ändern kann, noch an ihr festklammern sollte, dass die Zukunft nicht aufzuhalten ist und dass man irgendwann für Veränderungen und die Ideen Jüngerer beiseite treten muss, dafür steht diese Inszenierung. Aber sie ist auch ein Appell für mehr generationenübergreifendes Verständnis, Akzeptanz und Menschlichkeit – besonders Andersdenkenden gegenüber. Bernd Mottls Inszenierung von 2018 ist auch vier Jahre später aktueller denn je. „Kinder, schafft Neues!“

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