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Der Rosenkavalier – Elizabeth Sutphen, Martin Summer und Ensemble. Foto: Presse, Anna-Maria Löffelberger
Der Rosenkavalier – Elizabeth Sutphen, Martin Summer und Ensemble. Foto: Presse, Anna-Maria Löffelberger
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Lyrischer Hirn-Porno: „Der Rosenkavalier“ vom Landestheater in der Felsenreitschule

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Das Wortpaar „Rosenkavalier“ und Salzburg ist gespickt mit Assoziationen an große Namen: Lisa della Casa, Agnes Baltsa, Peter Rose und viele andere. Das Salzburger Landestheater, also nicht die Salzburger Festspiele, brachte zum 75-Jahre-Jubiläum der Salzburger Kulturvereinigung Richard Strauss* und Hugo von Hofmannsthals Komödie für Musik in die Felsenreitschule: Planeten kreisen zu Walzerklängen, aber ganz anders als in Stanley Kubricks „2001“.

Roland Schwabs Inszenierung ist das Tor zu einem gar wundersamen Erotik-Panoptikum auf edler Höhe eines Salzburger Welttheaters. Auch musikalisch geriet die immer luftiger und sphärischer abhebende Premiere unter Leslie Suganandarajah beglückend.

„Leicht muss man sein – Die nicht so sind, die straft das Leben und Gott erbarmt sich ihrer nicht.“ singt die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg im ernsten Dialog mit ihrem wesentlich jüngeren Lover Octavian. In diesem Steine erweichenden Moment muss die Zeit dieser Oper mit Rokoko-Kolorit, Walzertaumel der Ringstraßenära und frühmoderner Psychologie einfach stillstehen. Das tut sie auch in dieser „Rosenkavalier“-Premiere in der Felsenreitschule am Mönchsberg. Trotzdem erlebt man direkt, drastisch und delikat, dass es nur noch in Mozarts „Don Giovanni“ so offensiv um die schönste Nebensache der Welt geht wie im „Rosenkavalier“. Bei Roland Schwab und seinem Bühnenbildner Carlo Vinciguerra bleibt die Liebe philosophisch korrekt eine kosmische Himmelsmacht. Zu den Klangfontänen der Hörner im Vorspiel rollen die Marschallin und Octavian ineinander verschlungen herein. Zwischen drei goldenen Riesenplaneten kreisen sie auf dem Bühnenboden der herrlich überdimensionierten Felsenreitschule in ganz persönlichen Umlaufbahnen. Diese erotische Milchstraße ist nicht nur harmonisch. Es gibt auch Schmerzen, wenn sich Paare lösen und Entzweite auf andere Leiber stoßen.

Schwab ist ein Humanist. Deshalb muss man, wenn sich die planetarischen Kugeln öffnen und mit klaffenden Spalten den Purpur ihres Inneren zeigen, an Platons Kugelgleichnis über die Ursprünge des menschlichen Begehrens denken. Es darf gelacht werden, wenn eine Frauenentourage als Zofen und Mänaden vor der Testosteron-Heiligkeit des schwarz gewandeten Triebbolzen Ochs auf Lerchenau in die Knie geht. Auf hintergründige Weise wird es zutiefst nachdenklich, wenn die freigeistige Marschallin und Sophie – halb Edel-Barbie, halb romantische Ballerina – die Sache mit der Rosenkavalier-Übergabe in feste Frauen-Hände unter sich ausmachen, weil das von Strauss als Mezzo-Sopran zum Opernheiligtum inthronisierte Mannsbild seinen Gefühlshaushalt nicht auf die Reihe bekommt. Gabriele Rupprecht hält die Kostüme zwischen Inspirationen vom Jugendstil-Erotik-Karikaturisten Bayros, ein bisschen Supermarkt-Erotik und feschen Frack-Teufeln in roten Socken. #MeToo wird in dieser ungestrichenen Aufführung, in welcher der souveräne Martin Summer Ochs' Strophen von den Beischlaf-Praktiken eines gut aufgestellten Landjunkers singen muss, mit Schärfe thematisiert. Wohlgesinnte können auch ein bisschen Nachsicht feststellen - wegen der nur allzu menschlichen Unvollkommenheiten. Der Mohr Mohammed ist hier ein kleiner Astronaut, der aus Homo-Deus-Perspektive das vormoderne Paarungsverhalten von Hofmannsthals Wiener Rokoko-Personal neugierig beobachtet. Auf den Bogennischen lauern Engerln und Teuferln, beim Lever und beim Kehraus erscheint ein Totentanz der Zeitgeist-Larven. Luke Sinclair wird als italienischer Sänger mit Krinolinenkleid für sechs Minuten zum Belcanto-Nabel der Welt. Oper im ganz großen Raum als lyrischer Hirn-Porno - und damit genau als das, was Strauss aus Hofmannsthals raffinierter Dichtung an komponierter Drastik herausholt. Das philosophische „Post coitum animal triste“ ist im Eintrittspreis enthalten.

Das Salzburger Landestheater hat ein Ensemble so treffsicher wie Amors scharfe Pfeile. Das gilt auch für die von Carl Philipp Fromherz zu vielen Rollenwechseln und Soloeinsätzen erlesen präparierten Chormitglieder - vom Tierhändler bis zu den Kellnern. Eine strahlende Marianne Leitmetzerin (Victoria Leshkevich) brilliert neben dem glorios aufgewerteten Intriganten-Paar (Irmgard Vilsmaier als Annina und Rainer Maria Röhrl als Valzacchi). Birger Radde ist in der heikel hohen Bariton-Partie ihres Vaters Faninal so souverän wie Elizabeth Sutphen als eine Sophie, die den Vergleich mit den besten Partienkolleginnen nicht zu scheuen braucht und auch noch individuelle Farben einbringt.

Mit dem Mozarteumorchester beginnt Leslie Suganandarajah zuerst auf Sicherheit bedacht, kann ab Mitte des ersten Aufzugs loslassen. Beeindruckend gerät, wie er auf fast alle Fermaten verzichtet, die den großen Walzer und so manche Konversationszelle sonst belasten würden. Die gewichtigeren Stimmen wirken nie schwer und alle Musiker finden sich feinnervig in diese „Wiener Maskerad“ aus kunstvoller Vulgarität und abgründiger Schönheit.

Bei Magdalena Anna Hofmann merkt man immer, das das Octavian-Abenteuer ein besonders schöner Stein im Collier der Marschallin und ihrer erotischen Aventüren ist. Sie artikuliert das mit entsprechender Inbrunst. Sophie Harmsen brilliert mit einem feinherben Edel-Mezzo und viriler Chuzpe ohne Hosenrollen-Neckerei. Martin Summer ist der recht spät in die Produktion eingestiegene Haupttrumpf und setzt in der Rehabilitation des toxischen Ochs auf Lerchenau einen Höhepunkt. Aus der Hölle des Phallokraten macht er einen galaktischen Spaß. Jubel und minimaler Widerspruch folgen auf Schwabs Lesart, die dieses Opern-Zuckerl aus dem Jahr 1911 zum erotischen Bühnenfestspiel adelt.


Wieder am 5., 7., 9., 11., 21., 23., 25. Oktober 2022

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