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Das „Rheingold“ ist vor allem Rumsitztheater

© Foto: Monika Rittershaus

Staatsoper Unter den Linden: So startet der neue Berliner „Ring“

Licht und Schatten beim „Rheingold“: Christian Thielemann und die Staatskapelle Berlin brillieren, Regisseur Dmitri Tscherniakov enttäuscht.

„In der Kunst gibt es subjektiv und objektiv“, hat Rolando Villazon jüngst in einem Interview mit dem Magazin der „Süddeutschen“ gesagt. „Ich kann eine Inszenierung sehen und ganz objektiv denken: Alle wissen, was zu machen ist, die Idee ist gut entwickelt, alles in Ordnung - aber subjektiv denke ich: Es ist schrecklich, ich mag es nicht.“ Damit bringt der mexikanische Tenor das Dilemma auf den Punkt, in dem sich Kritiker:innen ständig befinden. Sie erzählen eigentlich nur von ihren privaten Empfindungen, die Texte lesen sich aber so, als wären sie die Sprecher:innen aller, die an diesem Abend mit im Saal saßen.

Doch Rolando Villazon wäre nicht der Sänger mit dem sonnigsten Gemüt in der Klassikszene, wenn er nicht gleich auch die Lösung des Problems anzubieten hätte: „Das Beste ist, denke ich, in die Oper zu gehen und nach dem Guten zu suchen.“ Fangen wir also mit Señor Villazon an: Der singt zum Start des neuen „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Staatsoper den Feuergott Loge im „Rheingold“. Allein diese Besetzung ist schon ein echter Coup, ausgedacht von Daniel Barenboim, dem Musikchef des Hauses, der sich Richard Wagners monumentale Musiktheater-Tetralogie eigentlich zum 80. Geburtstag schenken wollte, dann aber krankheitsbedingt das Dirigat abgeben musste.

Barenboim gehörte zu den Mentoren des jungen Villazon, er hat ihn oft an sein Haus geholt und ihn nun auch zum Debüt im Wagner-Fach überredet. In dem gelben Cordanzug mit Schlaghosen, den Kostümbildnerin Elena Zaytseva ihm zugedacht hat, sieht er fantastisch aus. Villazon kann so einen Look tragen, zu dem natürlich auch Seventies-Brille, dicke Koteletten und ein weißer Unterziehrolli gehören.

Er macht ein paar Clowns-Mätzchen, die sich vermutlich nicht Regisseur Dmitri Tcherniakov ausgedacht hat; und er klingt unverkennbar nach Villazon, nach einem Tenor also, der in seiner Karriere vor allem italienisches Repertoire gesungen hat. Das gefällt nicht jedem im Publikum, obwohl seine Aussprache der Wagnerschen Stabreime mustergültig ist.

Überhaupt wird vorbildlich textverständlich gesungen an diesem zweieinhalbstündigen „Vorabend“ des vierteiligen „Bühnenfestspiels“. Was zweifellos auch Christian Thielemann zu verdanken ist, dem Einspringer im Orchestergraben. Daniel Barenboim höchstselbst hatte ihn angerufen und davon überzeugt, seine Urlaubspläne fahren zu lassen, um das Prestigeprojekt Unter den Linden zu retten. Denn der ganze „Ring“ wird hier innerhalb von nur einer Woche neu herauskommen, in einem kollektiven Kraftakt, den sich normalerweise nur die Bayreuther Festspiele zumuten.

Musikalisch ist es ein unvergesslicher Abend

Thielemann aber ist zum Glück unter den bedeutenden Wagner-Dirigenten unserer Tage der erfahrenste. Schon als Teenager traktiert er im elterlichen Haus in Zehlendorf den Flügel, als er die Klavierauszüge der Tetralogie spielt. Später lernt er als Korrepetitor an der Deutschen Oper Barenboim kennen, der ihn dann als Assistenten mitnimmt auf den Grünen Hügel von Bayreuth. Dort hat Thielemann mittlerweile alle zehn Hauptwerke Wagners dirigiert, als einer von zwei Maestri überhaupt in der Geschichte der Festspiele.

Sein Debüt an der Berliner Staatsoper dagegen liegt gerade erst vier Monate zurück, im Juni stand er erstmals am Pult der Staatskapelle. Dass er, der erklärte Verfechter traditioneller Kapellmeister-Tugenden, sich blendend mit dem stolzen, 1570 gegründeten Orchester verstehen würde, war keine Überraschung. Und so tönt es auch jetzt, bei der „Rheingold“-Premiere, absolut beglückend aus dem Graben.

Wotan leitet das Forschungszentrum E.S.C.H.E.

© Foto: Monika Rittershaus

Die Musiker:innen sind aufs Intimste vertraut mit der Partitur, der Dirigent ebenfalls – doch weil ihre Zusammenarbeit so frisch ist, kommt auf beiden Seiten das prickelnde Gefühl des Neuen hinzu. Daraus entsteht ein kreativer Funkenflug – und so kann sich am Sonntag jenes Quäntchen Extra-Energie entzünden, das aus einem guten Abend einen unvergesslichen macht.  

Grandios, wie das Orchester atmet, wie es schimmert und funkelt, transparent bleibt und dennoch in üppigsten Klangfarben schwelgt. Fantastische Bläsersoli entfalten sich, die Streicher betören mit samtiger Dichte, es ist das pure Glück. Christian Thielemann waltet als virtuoser Rhetoriker, verzögert hier, prescht dort vor, wählt immer wieder auch extreme Tempi, die seine Solist:innen herausfordern. Doch facettenreicher, detailgenauer, faszinierender vermag derzeit niemand diese Partitur zu deuten.

Technikshow statt Personenführung

Wie bitter, dass Dmitri Tcherniakov dieser akustischen Steilvorlage szenisch so gar nichts Adäquates entgegenzusetzen hat. Zu sehen ist eine Technikshow, bei der alles ausgereizt wird, was die neue Bühnenmaschinerie der Staatsoper hergibt: Ohne Unterlass fahren neue Szenerien herein. Wenn es im Libretto hinab nach Nibelheim geht, heben sich zwei Etagen aus dem Untergrund hervor, am Ende sackt Walhall kurz in den Keller, um darüber eine Zukunftsvision vorzuzeigen – die allerdings nur aus gleißendem Licht hinter weißen Vorhängen besteht.

Als Leistungsschau bei einer Messe wäre das beeindruckend, doch inhaltlich läuft dieses Räumchen-Wechsel-dich-Spiel ins Leere. Denn in den Zimmern, Laboren und Hallen findet ödes Rumsitztheater statt. Göttervater Wotan ist bei Tcherniakov der Leiter eines Forschungsinstituts, die Handlung scheint vor einigen Jahrzehnten zu spielen, so suggerieren zumindest Kleidung und Inneneinrichtung. So dröge, wie es unter Wissenschaftlern zugehen kann, agieren die Figuren. Vor allem sind die ständig auf der Suche nach einem Stuhl.

Dass der Regisseur alle Zauberelemente der Handlung verweigert, macht die Chose nicht gerade spannender. Es ist also kein Rheingold zu sehen, weder in der Eröffnungsszene noch am Ende, wenn die von den Riesen als Faustpfand verschleppte Freia in Edelmetall aufgewogen wird. Und auch der Tarnhelm funktioniert nicht, Alberich verwandelt sich weder in den „Riesenwurm“ noch in die Kröte, sondern ist hier nur ein irrer Laborleiter, der schlussendlich in die Psychiatrie eingewiesen wird. Dafür müssen die Götter Donner und Froh im Finale, das hier eine Betriebsfeier ist, blöde Zaubertricks vorführen. Zum Fremdschämen.

Wenn es darum geht, aus ihren Rollen Charaktere zu machen, müssen sich die Solist:innen also ganz auf ihre Stimmen verlassen. Für Michael Volle stellt das natürlich kein Problem dar, sein Wotan ist ein akustisches Chamäleon, kann seriös-sonor klingen wie ein Tagesschau-Sprecher, aber eben auch poltern, schleimen, verschwörerisch flüstern, selbstmitleidig jammern. Claudia Mahnkes Göttergattin tritt als starke Frau auf, vokal absolut klar und kraftvoll, weit entfernt von den hysterischen Frickas, die üblicherweise durch den „Ring“ geistern. Als Riese Fasolt beeindruckt Mika Kares mit seinem wahrlich hünenhaften Bassbariton, Johannes Martin Kränzle singt den Alberich facettenreicher, als er ihn spielen darf.  

Geht es Dmitri Tcherniakov um Realismus, will er eine Farce aus dem Forschermilieu erzählen? Warum aber kann Alberich, der zu Beginn ein verkabelter Proband in einem Labor ist, die auf dem Flur herumlungernden Rheintöchter durch die Glasscheiben problemlos verstehen? Warum schreitet keiner der im Hintergrund zuschauenden Wissenschaftler ein, als er – von seiner Libido getrieben –, beginnt, im Labor zu randalieren?

Für die kommenden drei Premierenabend bleibt also nur, sich an Rolando Villazons Weisheit zu halten: „Wenn man es schafft, nur das Gute zu nehmen, bekommt man Schönheit, die Welt wird kurz besser.“

Der RBB sendet die weiteren „Ring“-Premieren am live auf seiner Welle „RBB Kultur“, am 6. und 9. Oktober jeweils ab 16 Uhr. Arte strahlt „Rheingold“ am 29. Oktober aus, ab dem 19. November wird dann der gesamte Staatsopern-„Ring“ unter www.arte.tv/concert abrufbar sein.

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