Waren Sie schon einmal an einem Samstagnachmittag in einem IKEA? Beim Betreten des Einrichtungshauses war es noch hell, doch beim Verlassen ist draußen schon längst alles düster. Und prompt steht die Frage im Raum, was man in den letzten Stunden überhaupt gemacht hat? Also außer Teelichter zu kaufen und Abkürzungen durch das schwedische Konsumlabyrinth zu suchen.

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Das klagende Lied: Florian Boesch, Vera-Lotte Boecker und Daniel Jenz
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Calixto Bieito bringt genau diese Stimmung auf die Bühne. Über den fahlweißen Wänden des nüchternen Bühnenraums bleichen die Neonleuchten das Geschehen darunter aus, der Chor hat sich in der Mitnahmeabteilung bereits ein paar in Folie eingepackte Grünpflanzen gesichert. Unter dem Titel Von der Liebe Tod hat die Wiener Staatsoper so den Versuch gestartet, Gustav Mahlers Früh- und Spätwerk szenisch auf die Opernbühne zu bringen.

Doch jenseits des Geruchs von Köttbullar sucht man in dieser ungewöhnlichen Mariage vergeblich den linden Duft. Freilich, das 125-jährige Jubiläum des einstigen Hofoperndirektors (1897-1907) steht im Raum. Dumm nur, dass dieser nicht eine Oper hinterlassen hat, die in diesem Ehrenjahr auf die Bühne gebracht werden könnte.

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Das klagende Lied: Daniel Jenz
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Nun ist die Idee, das Klagende Lied und die Kindertotenlieder in einen Abend zu packen nicht grundlegend verkehrt. Auch wenn fast 20 Jahre zwischen dem selten gespielten Märchenspiel und dem deutlich berühmteren Liederzyklus liegen, so vereint sie dennoch ein morbides Motiv.

Der vermeintliche Held des Klagenden Lieds stirbt jedenfalls gleich zu Beginn des Stück – erschlagen von seinem eigenen Bruder wegen einer Blume, die das Herz der Prinzessin erobern soll. Von dort an steigt der Zuschauer mit Bieito hinab in die Eingeweide des Einrichtungshaus und sieht die Welt „von unten“. Die Verkabelungen, die sonst Billy, Besta & Co in Szene setzen, quellen aus der Decke hervor. Der Chor packt das digitale Wurzelwerk, gleich den farbenfrohen Bändern um eine Tanzlinde, und macht es so zum zentralen Ankerpunkt der Inszenierung.

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Das klagende Lied: Tanja Ariane Baumgartner (Premierenbesetzung)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Doch genau an diesem Punkt setzt Bieitos Idee aus. Gut 50 Minuten später hampelt der Chor immer noch mit diesen dicken Kabeln in der Hand auf der Bühne herum. Wie im Bälleparadies in der ersten Etage, wartet das Ensemble scheinbar vergebens auf eine sinngebende Regieanweisung und zuckt einfach weiter. Aber außer einer aufgeschlitzten Hand, in der die zentrale Knochenflöte des Stückes geborgen wird, und einem blutigen Raben als Todgeburt, sollte das abstrakte Småland nichts erhellen. Und ähnlich wie Ihnen beim Lesen mindestens schon vor drei Sätzen mein abgedroschenes Ikea-Gleichnis auf die Nerven ging, ergeht es dem Zuschauer – nach spätestens 5 Minuten wird es langweilig.

Und leider kann Lorenzo Viotti am Pult diesen Eindruck nicht vollends zerstreuen. Der junge Chefdirigent des Netherlands Philharmonic Orchestra gibt mit diesem Stück sein Debüt am Haus am Ring. Er versucht mit weichen Bögen und ausladenden Gesten die zwei Stücke und das eintönige Geschehen auf der Bühne zu einem Guss verschmelzen zu lassen. Einerseits gelingt ihm das gut. Der Übergang vom Klagenden Lied zu den Kindertotenliedern erfolgt so nahtlos, wie der minimale Wechsel des Bühnenbildes selbst. Plötzlich, so scheint es, befindet man sich in den Lüftungsschächten selbst, in der nur noch der Nachhall des Geschehens zuvor zu hören ist.

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Kindertotenlieder (Premierenbesetzung)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Doch in dieser Einheit liegt wohl die größte Schwäche der Aufführung. Zu sehr degenerieren die markanten Stücke zum Einheitsbreit, zu sehr gerät die sängerische Leistung in den Hintergrund. Soweit, dass Viotti das Orchester über die, gerade in den Tiefen noch etwas schüttere, Knabenstimme (Johannes Pietsch) fahren lässt. Auch Vera-Lotte Boecker kann mit ihrem durchaus präzisen Sopran gegenüber der Mahler-erfahrene Klanggewalt des Staatsopernorchester nur vereinzelte Highlights setzen.

Lobenswert darf hingegen insbesondere Monika Bohinec erwähnt werden. Die Altistin sprang in der zweiten Aufführung in dieser Inszenierung sehr kurzfristig für die erkrankte Tanja Ariane Baumgartner ein. Nicht großartig überraschend suchte sie die Nähe zum Souffleurkasten. Gleichwohl gibt sie mit ihrem charakterstarken Alt einen durchaus dramatischen Kontrapunkt zum hellen Knabensporan von Pietsch, der sich weder vor den lang getragenen Höhen, noch vor schrillen Disonanzen scheut.

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Kindertotenlieder: Florian Boesch
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Gustav Mahlers Geist spürt man allerdings erst ganz zum Schluss aus seinem stillen Gebiet herabsteigen, als Florian Boesch das fünfte Lied ganz vorne am Rand der nunmehr abgedunkelten Bühne mit intimen, fast transzendenten Bariton in den Zuschauerraum haucht. Schade, dass es der einzige Moment an diesem Abend bleiben sollte.

Am Ende bleibt so der fahle Beigeschmack, dass eine konzertanten Aufführung wohl doch die bessere Wahl gewesen wäre. Dies hätte Viotti vielleicht die Möglichkeit gegeben, die markanten Ecken und Kanten der Partitur besser herauszuarbeiten, in den Abgrund selbst hineinzuschauen, eigene Akzente zu setzen und eben nicht nur Sicherheit im wogenreichen Meer des Vielklangs zu suchen. Mahler ist als Muzak dann doch zu schade.

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