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Michael Volle als Wotan und Anja Kampe als Brünnhilde

© Foto: Monika Rittershaus

Staatsoper Unter den Linden: „Walküre“ ohne Wumms

Beim neuen Berliner „Ring“ treiben Regisseur Dmitri Tcherniakov und Dirigent Christian Thielemann in der „Walküre“ ihre Spielchen mit dem Publikum

Aha. Nun ist also ein wenig klarer, wohin Dmitri Tcherniakov mit seinem Regiekonzept für den neuen „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Staatsoper zielt. Wotan, so war schon aus dem „Rheingold“ ersichtlich, leitet ein Forschungszentrum. Aber er ist kein Quantenphysiker oder entwickelt neue Medikamente, er kümmert sich nicht um Klimawandel oder Makroökonomie, nein - er macht Menschenversuche. Auch mit den eigenen Kindern.

An sein Büro ist eine Musterwohnung angebaut, was dort geschieht, kann er durch eines dieser Spezialfenster beobachten, wie man sie aus Krimis kennt, wo der Kommissar den Verdächtigen im Verhörraum sehen kann, der aber nicht ihn. Leider aber muss in der „Walküre“ nun auch das Publikum mitansehen, wie Hunding ganz ungezwungen bei sich im Badezimmer im Stehen uriniert oder wie Sieglinde für den durstigen Siegmund Mineralwasser aus dem Kühlschrank holt.

Hier wird Voyerismus erzwungen

Denn die geschmacklos eingerichtete Behausung, die Tcherniakov als sein eigener Bühnenbildner entworfen hat, deutet die Wände nur durch Metallrahmen an. Das zwingt zum Voyeurismus – und verzwergt zugleich die Tragödie, die es hier abspielt. Wagners Weltenvisionen werden heruntergebrochen auf das Niveau von Spießern und Sachbearbeitern, der Regisseur verweigert szenisch weiterhin alles Mythische, Zauberische, das dieses vierteilige Bühnenfestspiel durchweht.

Der Walkürenritt ist also lediglich das Treffen von neun Wissenschaftlerinnen aus der Arbeitsgruppe zur Gewaltanalyse, bei dem als optischer Höhepunkt eine Leinwand herunterfährt, für die Power Point Präsentation. Der finale „Feuerzauber“ findet nicht statt, der Kampf zwischen Hunding und Siegmund ist hinter die Bühne verbannt. Unsichtbar bleibt darum auch der Schlüsselmoment, wenn Wotan das Schwert Notung in Stücke springen lässt, obwohl er es doch seinem Geschöpf Siegmund als Verteidigungswaffe zugedacht hatte.

Womit er aber gegen seine eigene Versuchsanordnung verstieß, wie seine Gattin zuvor angeprangert hat. Claudia Mahnke ist als Fricka weiterhin ein Kraftzentrum dieser Neuinszenierung, darstellerisch wie stimmlich. Eine Powerfrau, die rhetorisch versiert ihre Argumente vorträgt, unnachgiebig bleibt, als es darum geht, dem traumtänzerischen Theoretiker Wotan nachzuweisen, dass er irrt, wenn er meint, einen Menschen erschaffen zu können, der vollkommen frei ist. Selten hört man diesen für beide Ehepartner peinigenden Diskurs packender, auch Dank Christian Thielemanns detailversessener Ausziselierung des leitmotivgesättigten Orchesterkommentars.

Ehekrach zwischen Fricka (Claudia Mahnke) und Wotan (Michael Volle)

© Foto: Monika Rittershaus

Michael Volles Wotan poltert und tobt, raumgreifend, ein verwundetes Alphatier – und bricht dann doch zusammen, im 3. Akt, nach der Strafpredigt, die er Brünnhilde halten muss. Dabei ist die doch nur deshalb ungehorsam gewesen, weil sie ausführte, was er sich heimlich am sehnlichsten wünschte. Ein berührendes Finale ist das, auch weil Anja Kampe, die in den bewegten Szenen an ihre Grenzen gehen muss, im intimen Dialog zu interpretatorischer Intensität findet.

Mika Kares tritt angemessen dumpf dröhnend auf als Hunding, Vida Mikneviciute ist eine rückhaltlos hingebungsvolle Sieglinde mit gleißendem Sopran. Klein und glanzlos wirkt daneben der Tenor von Robert Watson, eine Enttäuschung, trotz solider Gesangstechnik, trotz differenzierter Textbehandlung. Dass Christian Thielmann im 1. Akt, den Watson eigentlich tragen müsste, die Berliner Staatskapelle extrem zügelt, die hochschießenden Emotionen nur wie durch eine Watteschicht klingen lässt, erscheint zunächst als Kapellmeistertugend: Der Dirigent ist in erster Linie für seine Solisten da und achtet darum drauf, dass auch die Schwächeren akustisch nicht untergehen.

Im Laufe des Abends aber wird dann deutlich, dass der Dirigent noch ein übergeordnetes Ziel verfolgt: Er will das ganze Werk unter einen einzigen, gigantischen Spannungsbogen bringen, die Aufführung als vierstündiges Crescendo anlegen, vom flüsternden Beginn bis zum fantastischen, klangfarbensprühenden Höhepunkt, bei den finalen Wotanworten: „Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie“. Schade, dass Regisseur Tcherniakov dem Göttervater in dieser Inszenierung die Symbolwaffe gar nicht gönnt.

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