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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Die Zauberflöte

Die Zauberflöte als Erinnerungsraum

(Frankfurt, 2.10.2022) Mozarts immergrüner Repertoire-Reißer ist am frisch gekürten „Opernhaus des Jahres“ wie neu zu erleben: Die Handlung aus der Perspektive des gealterten Tamino zu erzählen, geht voll auf. Auch musikalisch ist alles zum Besten bestellt.

vonWolfgang Wagner,

Wenn man gerade den Titel „Opernhaus des Jahres 2021/22“ verliehen bekommen hat, und das auch noch zum sechsten Mal, ist es verlockend, der Versuchung nachzugeben, sich im Rückblick auf das Erreichte der Muße hinzugeben. Derartiges gönnen sich die Oper Frankfurt und ihr Intendant Bernd Loebe keineswegs. Mit der Neuinszenierung von Mozarts „Die Zauberflöte“ durch Ted Huffman wurde nun eine Arbeit von Alfred Kirchner abgelöst, die nach ihrer Premiere im Jahr 1998 zu Recht Kultstatus genoss und stolze 15 mal wieder aufgenommen wurde.

Fokussierung auf Tamino

Dass Huffman in Frankfurt mit „Die Zauberflöte“ eine der am häufigsten aufgeführten Opern überhaupt auf die Bühne brachte, ist bemerkenswert, weil er sich vor allem mit der Inszenierung von Neukompositionen international einen Namen gemacht hat. Seine Lesart des märchenhaft-symbolistischen Werks, das vollständig aus dem Hausensemble der Oper Frankfurt heraus besetzt ist, kommt erfrischend ungezwungen daher. Im Zentrum von Huffmans Deutung steht Tamino, dem der dominierende Charakter des Papageno üblicherweise die Show stiehlt. Dieser scheinbar werkimmanent gegebenen Dominanz begegnete Huffman, indem er in Frankfurt die Handlung als Erinnerungsraum des gealterten Tamino zeigte.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Frankfurt

Um diesen Grundgedanken zu vermitteln, traf Huffman eine Reihe von folgerichtigen Entscheidungen. So wurden die gesprochenen Dialoge in einer deutlich gekürzten Textfassung, eingesprochen von einer einzelnen Stimme (Heidi Ecks), vom Band eingespielt und so als innere Erinnerungsmonologe vermittelt, während denen das szenische Geschehen auf der Bühne weitestgehend einfror.

Michael Porter meisterte die doppelte Herausforderung seiner Rolle

Sowohl der gealterte als auch der junge Tamino wurden in einer personellen Überblendung für weite Teile des Abends durch den Sängerschauspieler Michael Porter gegeben, der so eine doppelte Herausforderung annahm. Diese meisterte er, indem er jugendlichen Heldendrang und Liebesüberschwang anrührend als Sehnsucht weckende Erinnerungen darstellte, zu denen sich sein gegenwärtiges Ich nicht mehr im Stande fühlt. Seinem geschmeidig-weichen Tenor gelang es dabei mühelos, diese zusätzliche Deutungsebene ausdrucksstark mitzugestalten.

Zum Finale gibt’s ein trautes Frühstück

Erst zu Beginn der Feuer- und Wasserprobe tritt der gealterte Tamino (Micha B. Rudolph) als gedoppelte Bühnenfigur auf. In dem von Andrew Lieberman gestalteten, labyrinthisch anmutenden Bühnenbildkomplex, das die Korridore und Räumlichkeiten einer Villa darstellt, sehen wir den gealterte Tamino einsam, verlassen und überfordert. Es macht den Eindruck, er habe sich im hohen Alter des nachts im inzwischen viel zu großen Eigenheim verirrt. Da stößt die gealterte Pamina (Corinna Schnabel) zu ihm, bringt ihm seine verloren gegangenen Pantoffeln, hilft ihm auf.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Frankfurt

Während die Musik zur Feuer- und Wasserprobe erklingt, durchleben die beiden die Prüfungen des Alters. Pamina verabreicht ihrem Tamino seine Tabletten. Das Wasserglas fällt herunter, und sie muss, wegen der unvermeidlichen Altersgebrechlichkeit, unter Strapazen alles aufwischen. Aber als Sarastro und der Schlusschor ungesehen vom hinteren Bühnenraum vom Sieg der Sonne über die Nacht künden, deckt die gealterte Pamina schließlich den Tisch. Die Sonne geht auf, und die beiden Alten genießen, nach all den Jahren immer noch glücklich vereint, ein gemeinsames Frühstück.

Mit bemerkenswerter Leichtigkeit

Abgesehen vom Finale, das szenisch umgedeutet erzählt wird, sind die Musiknummern im Gegensatz zu den eigefrorenen Erinnerungsmonologen ein lebendiger Erinnerungsraum und Gegenwart aller anderen Figuren. In diesem brillierte an Taminos Seite Hyoyoung Kim, die ihr Debüt an der Oper Frankfurt gab und zugleich ihr Rollendebüt als Pamina. Mit bemerkenswerter Leichtigkeit sang die Sopranistin die Partie, phrasierte abwechslungsreich, dabei den Ausdruck stets bewusst gestaltend. Die Euphorie der schnell aufkeimenden Liebe für Tamino und die Todessehnsucht nach seiner scheinbaren Zurückweisung stellte sie glaubhaft als durchlebte Gefühlsextreme dar.

Danylo Matviienko gab sein Rollendebüt als Papageno und porträtierte den quirlig-lebensfrohen Vogelfänger mit einer ansteckenden Freude am Spiel, wie man sie sich vom einem Papageno-Darsteller erhofft. Dass als Konsequenz des Regiekonzepts weite Teile seiner gesprochenen Dialoge fehlten, reduzierte den Charakter merklich. In den Gesangsnummern aber überzeugte Danylo Matviienko sowohl gesanglich als auch schauspielerisch und gewann die Zuhörerschaft wohl schon für sich, als er sich beim Betreten der Bühne zuerst vor dem Anblick des Publikums erschreckte und dann vor dem Taminos.

Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Die Zauberflöte“ an der Oper Frankfurt

Faszinierende Kontrastwirkung in der Rache-Arie

Die Königin der Nacht gab Anna Nekhames, die vom Opernstudio der Wiener Staatsoper zur Spielzeit 2022/23 an die Oper Frankfurt gewechselt ist und hier ihr Debüt gab. Bei ihrem ersten Auftritt „O zittre nicht, mein lieber Sohn!“ gestaltete sie die Partie mit starker Ausdifferenzierung der Dynamik und schaffte es, die Koloraturen wie ein rhetorisches Stilmittel gesprochener Sprache zu setzen. An diese überzeugende Leistung konnte sie in der ikonischen Arie „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ zwar leider nicht anknüpfen. Schauspielerisch gelang ihr in dieser Nummer jedoch die faszinierende Kontrastwirkung, während einer der eigentlich von Rachegelüsten durchtränkten Koloraturketten, zur Manipulation ihrer Tochter heuchlerisch verzweifeltes Selbstmitleid zu mimen.

Sangliche Autorität im stärksten Grade

Als ihr Gegenpart war mit Andreas Bauer Kanabas als Sarastro in Frankfurt zu erleben, wie eine großartige gesangliche Leistung allein dazu ausreicht, Autorität im stärksten Grade auszustrahlen. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Steven Sloane, der für die erkrankte Julia Jones einsprang, machte vergessen, dass „Die Zauberflöte“ ein Repertoirestück ist. Mozarts meisterliche Instrumentierung entschlackten sie vom Ballast der Aufführungstradition und machten so manches raffinierte Zusammenspiel der Instrumentengruppen hörbar, das bei anderen Orchestern im Eifer des Gefechts leicht untergeht.

Publikumsmeinung zur Regie ging auseinander

Beim Schlussapplaus wurde deutlich, dass das Frankfurter Publikum sehr geteilter Meinung darüber ist, welche Qualität ihre neue „Zauberflöte“ hat. Das Regieteam musste sich zahlreiche Buhrufe gefallen lassen, über die die Bravo-Rufe der Gegenpartei hinwegklangen. Soweit nichts Ungewöhnliches und zu erwarten. Langfristig werden die Frankfurter Ted Huffmans Inszenierung wohl hoffentlich, auch in der Breite, noch ins Herz schließen. Neuerungen bleiben eben nicht aus, wenn man sich als Opernhaus des Jahres nicht auf errungenen Lorbeeren ausruht.

Oper Frankfurt
Mozart: Die Zauberflöte

Steven Sloane (Leitung), Ted Huffman (Regie), Andrew Lieberman (Bühne), Raphaela Rose (Kostüme), Pim Veulings (Choreografie), Joachim Klein (Licht), Maximilian Enderle (Dramaturgie), Michael Porter, Hyoyoung Kim, Danylo Matviienko, Andreas Bauer Kanabas, Anna Nekhames, Monika Buczkowska, Kelsey Lauritano, Cláudia Ribas, Theo Lebow, Karolina Bengtsson, Erik van Heyningen, Michael McCown, Anthony Robin Schneider, Donát Havár, Luise Rahe, Zoe Nettey-Marbell, Emma Ruhe, Micha B. Rudolph, Corinna Schnabel, Heidi Ecks, Chor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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