Im zweiten Teil des Ring des Nibelungen gibt Regisseur Dmitri Tcherniakov – langsam aber gezielt – immer mehr von seinen Ideen und seiner Ring-Deutung preis. Bereits im ersten Aufzug der Walküre wird klar: Die Götter und Göttinnen halten die Fäden in der Hand und die Menschen sind lediglich deren Spielbälle, deren Willen und Launen restlos ausgeliefert.

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Robert Watson (Siegmund), Vida Miknevičiūtė (Sieglinde) und Mika Kares (Hunding)
© Monika Rittershaus

Als sich der Vorhang öffnet, sehen wir Wotan, wie er durch einen Einwegspiegel, wie bei einem Polizeiverhör, das Geschehen in Hundings Hütte beobachtet. Diese ist ein offener Korpus, ohne Wände, lediglich die Türen sind angedeutet. In ihm ist Sieglinde allen – nicht nur Hunding, auch Wotan und dem Publikum – ausgeliefert. Nirgends kann sie sich verstecken.

In der Walküre werden die Hierarchien und Personenbeziehungen offengelegt: Während Siegmund als entflohener Sträfling verfolgt wird, agiert Hunding als Polizist und Vertreter des Gesetzes (auch Frickas Gesetze und Wotans Verträge). Tcherniakov macht deutlich, wer in seiner Inszenierung unterdrückt und wer unterdrückt wird. Wotan als Strippenzieher im Hintergrund, Hunding, der die Drecksarbeit übernimmt und seine Walküren, die er zu Geheimdienstagentinnen „erzogen“ hat und die für ihn streiten. Brünnhilde jedoch, indem sie dem Wälsungenpaar hilft, greift gegen Wotans Willen ein uns stört somit den Status quo und die bestehenden Kräfteverhältnisse, was letztlich zu ihrem eigenen Untergang führt.

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Michael Volle (Wotan) und Anja Kampe (Brünnhilde)
© Monika Rittershaus

Das Wälsungenpaar, gesungen von Robert Watson und Vida Miknevičiūtė, versuchten mit gestenreichen, dramatisierenden Spiel, Leidenschaft, Angst und Liebesgefühle zu evozieren. Stattdessen aber artete dies in einer allzu gehetzten Darstellung, die meist gegen die Musik arbeitete, aus. Bei Watsons Siegmund geriet das Wälsungenblut leider ins Stocken – zwar mit versucht gefühlvoller, leicht herber Tenorstimme ausgestattet, vermisste man eine freie, strahlende Artikulation – zu sehr musste er die Töne pressen. Miknevičiūtė, als Sieglinde zwar vom Publikum bejubelt, ließ ihre große, voluminöse Stimme oft zu kalt und scharf ertönen, was in den Höhen zu schrillem Gesang führte. Von beiden hätte man sich weniger übertrieben-darstellerische Impulse, stattdessen dezidierte Konzentration auf ihre stimmlichen Ausführungen gewünscht. Mika Kares dagegen war ein Hunding par excellence. Mit dunkler Stimmfärbung und voluminösen Timbre gestaltete er seine Rolle mit deklamatorischer und szenischer Durchschlagskraft.

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Robert Watson (Siegmund) und Vida Miknevičiūtė (Sieglinde)
© Monika Rittershaus

Die meiste Bewunderung an diesem Abend galt jedoch Michael Volle. Im Rheingold bewies er bereits, zu was er sowohl stimmlich als auch szenisch in der Lage ist; dies konnte er nun nochmals steigern. Als alternder, verbitterter, aber mitunter auch Liebe empfindender Patriarch zog er mit seiner Darstellung das Publikum komplett in seinen Bann. Sein Wotan war ein tragischer, trauriger Held, bei dem man all die gescheiterten Verträge, Träume und Wünsche erkennen konnte. Anfangs noch voll Hoffnung und Übermut, doch im Verlauf der Oper von seinen Verstrickungen eingeholt, muss er sein eigenes Scheitern einsehen – dies alles auf eine überaus menschliche Weise, die ihresgleichen sucht. Volle hat die Messlatte für Wotan-Darsteller an diesem Abend nicht nur ganz hoch angesetzt, nein, er ist die Messlatte, an der alle anderen Sänger dieser Rolle sich messen können und sollten. Wie kaum ein zweiter vermochte er mit seiner Stimme sein tragisches inneres Zerwürfnis zu gestalten und mit seinem „Leb wohl du kühnes, herrliches Kind“ wie ein tragischer Shakespeare-Held unterzugehen.

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Anja Kampe (Brünnhilde) und Michael Volle (Wotan)
© Monika Rittershaus

Zusammen mit Anja Kampe als Brünnhilde erhob er den Abschied und Feuerzauber des dritten Aufzugs zu einem absolut fesselnden und das Publikum zu Tränen rührenden Ereignis. Kampe, deren klare, feste Sopranstimme lediglich in den Höhen an ihre Grenzen stieß, konnte dies durch ihre einnehmende Darstellung wettmachen und entwickelte mit Volle eine Dynamik, die man nur selten so packend erlebt – der dritte Aufzug wurde so zu einer wahren Sternstunde!

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Anja Kampe (Brünnhilde), Vida Miknevičiūtė (Sieglinde) und Walküren
© Monika Rittershaus

Die Staatskapelle Berlin und Christian Thielemann beflügelten das Schauspiel auf der Bühne zusätzlich. Thielemann setzte musikalische Satzzeichen – er unterstrich Gesungenes, setzte durch differenzierte Dynamik und Lautstärke gar Ausrufezeichen, um die Sänger*innen wie auf Händen zu tragen und deren Gesang nochmals Nachdruck zu verleihen. Er war sich dabei stets um die Wirkung dieser Effekte bewusst und setzte alles gezielt ein, ohne effekthascherisch oder übertrieben zu wirken. Als Hunding ansetzte, um „Mein Haus hütet Wölfing dich heut“ zu singen, begann Thielemann im mezzoforte, steigerte sich dann stufenweise ins fortissimo, um Hundings Gesang einzuleiten, zu tragen und letztlich Aufschwung zu geben – ein Effekt, der einschlug! Bei ihm schien alles durchgetaktet und geplant mit dem Ziel, einen großen dramatischen Bogen über alle vier Opern hinweg zu spannen. Mit dieser stetigen musikalischen Steigerung haben die Musiker*innen und Sänger*innen jedenfalls bewiesen, dass man bei den letzten beiden Teile der Tetralogie Großes erwarten darf.

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