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Michael Volle (l.) als Wotan, Andreas Schager als dessen Enkel Siegfried.

© Monika Rittershaus

„Siegfried“ an der Berliner Staatsoper: Immerhin, die Musik darf aufblühen

Der neue „Ring des NIbelungen“ an der Staatsoper geht in die dritte Runde. Noch immer ist unklar, ob Regisseur Dmitri Tcherniakov den Ausweg aus seiner selbstgestellten Regiefalle findet.

Aufatmen am Donnerstag in der Berliner Staatsoper. Zwar ist nach wie vor unklar, wohin Regisseur Dmitri Tcherniakov mit seiner Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ will – und was ihn geritten haben mag, Wagners Weltendrama auf das maximal unsinnliche Ambiente des klinischen Forschungszentrums „E.S.C.H.E“ zu verzwergen. Aber nach „Siegfried“, dem dritten Teil (oder laut Wagner, der „Rheingold“ als Vorabend versteht, dem zweiten Tag), scheint immerhin deutlich zu werden, dass es nicht in irgendeine monströse rechte Ecke irrläuft.

Zwar werden hier unter der Oberaufsicht von Wotan ständig Experimente am Menschen durchgeführt, aber offenbar nicht, um humunkulsartig eine neue Gattung oder den nietzscheanischen Übermenschen zu erschaffen. Sondern um die Versuchspersonen, allen voran Siegfried, psychologisch zu durchleuchten.  Warum, wozu – man weiß es nicht.

Mime kämpft mit konvulsivischen Zuckungen

So sitzt denn also der wunderbare Stephan Rügamer als verzwickter, mit konvulsivischen Zuckungen kämpfender Mime – nein, nicht in der rauchigen Schummerwelt einer Schmiede, sondern in seinem grell ausgeleuchteten Büro „Blase, blase Balg“ sucht man hier vergeblich. Statt eines Hammers benutzt er einen Stift für die rhythmischen Schläge, mit denen er Nothung, das von Wotans Speer zertrümmerte Schwert, neu zu schmieden versucht; später übernehmen Löffel und Topf aus der Teeküche diese Aufgabe. Siegfried stürmt als Bär verkleidet heran, in Gestalt von Andreas Schager, und mischt den Laden ordentlich auf. 

Anja Kampe (l.) als Brünnhilde mit Siegfried im Forschungszentrum „E.S.C.H.E“

© Monika Rittershaus

Schager ist die tragende Säule des Abends. Inszenierungen des „Rings“ sind ja nicht nur deshalb seltene, besondere Ereignisse, weil sie organisatorisch die größten Anforderungen an einen Opernbetrieb stellen – von der Notwendigkeit eines überzeugenden gedanklichen Zugriffs, wie ihn Götz Friedrich an der Deutschen Oper oder Frank Castorf in Bayreuth boten, ganz zu schweigen. Sondern auch, weil sich die Sängerinnen und Sänger, die so gewaltige Partien wie Brünnhilde oder Siegfried bewältigen können, meist an einer Hand abzählen lassen.

Der 51-jährige Österreicher besitzt neben seiner unermüdlichen, auch nach fünfeinhalb Stunden kaum angezählt wirkenden Tenorstimme den Vorteil, dass keine übermäßige Körperfülle die Phantasie des Zuhörers in Nöte bringt. Den juvenilen Helden nimmt man ihm immer noch ab, wie er da schlaksig herumturnt, springt und hüpft – alles gespielt und auch herbeigezwungen, natürlich, aber da hat man schon viel unwahrscheinlichere Siegfriede gesehen.

Dass er die Hände beim Singen gefühlt zwei Drittel der Spieldauer nicht aus der Jogginghosen-Tasche kriegt, nervt – doch welcher Jugendliche nervt nicht? Den Schlabberlook wird er, das verraten die Probenfotos, spätestens in „Götterdämmerung“ sowieso zugunsten eines Anzugs ablegen. Unschuldig ist Schager an Tcherniakovs küchenpsychologischer Personenführung, die ihn am Ende des ersten Aufzugs die Bauklötze seines Kinderzimmers zerhauen lässt, als symbolische Zerstörung der Kindheit. 

Nerviger Teenager. Siegfried (Andreas Schager) in Street Wear.

© Foto: Monika Rittershaus

Christian Thielemann hat das Dirigat der Staatskapelle von dem aus gesundheitlichen Gründen immer häufiger zum Rückzug gezwungenen Daniel Barenboim übernommen. Wie gewohnt begrüßen ihn seine Hardcore-Fans mit frenetischem Applaus, sobald auch nur der Schuh des Maestros im Orchestergrabens aufblitzt.

Und sie haben ja recht: Kaum ein lebender Dirigent dürfte mit Wagners Partituren so vertraut sein, sie so inspiriert zum Leben erwecken wie Thielemann. Am Donnerstag in der Staatsoper scheint er sich eine spezielle Dramaturgie zurechtgelegt zu haben: Alle Details mit feingespannter Aufmerksamkeit auszuspinnen, doch so gedämpft, dass der Klang immer erst am Ende eines Aufzugs richtig hochfährt und zu voller Pracht aufblüht. Wenigstens dann bietet die Musik jene Üppigkeit, die die Szene verweigert.  

Irgendwann verlagert sich das Geschehen ins Geriatrische

Wie eigentlich fast immer überzeugt Michael Volle darstellerisch und gesanglich als mit Hilfe der Maskenabteilung fürchterlich gealterter Laborleiter und Göttervater Wotan. Überhaupt verlagert sich das Geschehen weitgehend ins Geriatrische. Alberich (Johannes Martin Kränzle) stützt sich auf eine Gehhilfe und liefert sich vor Neidhöhle mit Wotan ein Statler-und-Waldorf-würdiges Wortgefecht, Peter Rose kämpft als Fafner in Zwangsjacke mit wirrem Haar und irrem Blick sein letztes Gefecht. Würde bewahren vor allem die Frauen: Anna Kissjudit als Erda, die hier ein zweites Mal Wotans Gewalt erfährt, und Victoria Randem, die mit hochgelagertem Sopran den zwitschernden Waldvogel singt, im Outfit einer feschen Labormitarbeiterin. 

Und natürlich Anja Kampe als machtvoll sich verströmende Brünnhilde. Ihr Auftritt im dritten Aufzug ist bemerkenswert. Laut Libretto entert Siegfried den feuerumzüngelten Felsen, auf dem sie ruht. Thielemann bringt im Graben Wagners ganze Kunst, Szenen in Tönen zu malen, zur Entfaltung – doch von wabernden Lohen ist natürlich nichts zu sehen, nur ein dröges Schlaflabor mit einer, ja, leeren Liege. Da geht die Tür auf, Wotan bringt Brünnhilde herein, die sich jetzt erst hinlegt. Von wegen „ewiger Schlaf“, alles nur Inszenierung, Versuchsanordnung! Eine interessante Idee, doch wo führt sie hin?

Bevor sie sich schlafend stellt, malt Brünnhilde noch rasch mit rotem Edding ein paar gezackte Flammen an die Glaswand, das muss genügen, wie ein Stinkefinger des Regisseurs. Da habt ihr euren Feuerzauber. In immer neuen musikalischen Anläufen besingen Siegfried und Brünnhilde ihre Liebe, ohne sich dabei körperlich nennenswert näher zu kommen. Der Vorhang fällt – und vor allem eine Frage bleibt offen: Ob es Tcherniakov in „Götterdämmerung“ gelingt, den Sack zuzumachen, oder ob er aus der inszenatorischen Sackgasse, die er selbst gewählt hat, den Ausgang nicht mehr findet. 

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