Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Unter Beobachtung

Opern-Kritik: Staatsoper Berlin – Die Walküre

Unter Beobachtung

(Berlin, 3.10.2022) Auch „Die Walküre“ wird an der Staatsoper Unter den Linden zu einem musikalischen Ereignis, weil Christian Thielemann seinen Wagner feinschmeckerisch und klanggenüsslich zelebriert. Der Regieansatz einer geschlossenen Versuchsanordnung offenbart nun aber gewisse Grenzen.

vonRoberto Becker,

Der Bauplan des E.S.C.H.E.-Instituts ist in seiner Detailgenauigkeit immer noch kompliziert. So ganz durchschaut man ihn auch am zweiten „Ring“-Abend trotz mehrfacher Projektionen auf dem Zwischenvorhang nicht wirklich. Einige der auf der Bühne davon umgesetzten, jeder für sich genommen ästhetischen Räume sind dem Premierenpublikum dennoch vertraut. Das Büro von Institutschef Wotan etwa. Von hier aus kann er durch eine Einwegscheibe hinter seinem Schreibtisch in einem dahinter liegenden Wohnlabor beobachten, was das wagnerkundige Publikum lange Zeit gewöhnlich in Hundings Hütte vermutet hätte und sich angewöhnt hat, auch zu erkennen, wenn auf der Szene nichts von einer Esche oder loderndem Herdfeuer zu sehen ist. Diesmal ist es eine kleine Einliegerwohnung unter Totalbeobachtung. Hier leben Uniformträger Hunding (Pistole und Handschellen hat er immer dabei) und seine junge, attraktive Frau Sieglinde. Hier schneit ein Siegmund auf der Flucht einfach so rein. Er verlässt den Ort nach diesem ausführlichen, wohl populärsten Aufzug der gesamten Tetralogie, samt Zwillingsschwester und (erstaunlicherweise) mit „richtigem“ Schwert bewaffnet wieder. Unter Zurücklassung des von Sieglinde in Tiefschlaf versetzten Hundings. Und mit Gepäck: umsichtig rafft Sieglinde noch ein paar Kleider zusammen, während Siegmund den Kühlschrank ausräumt. Das, was Wagner mit dem blühenden Wälsungenblut gemeint hat, wird von den beiden auf später vertagt. Sie fliehen in die unterirdischen Labore mit den Tierkäfigen und den verlassenen Arbeitsplätzen der Versuchs-Nibelungen. Wohin auch sonst. Dass drei etwas schrullige Damen (die Nornen?) sich um die Käfige mit den Versuchstieren kümmern, ignorieren sie — so wie diese drei die beiden auf der Flucht.

Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin

Göttergattin Fricka ist in Kleinigkeiten großzügig, in der Grundsatzfrage knallhart.

Die eskalierende Grundsatz-Auseinandersetzung zwischen Wotan und Fricka (pro und contra Inzest und Herrschaftsanspruch der Götter) in Wotans Büro endet mit einer Unterschrift Wotans. Es hat durchaus Witz, dass Fricka ihrem Mann den Füller, mit dem Wotan am Ende unterschreiben muss, weil sie einfach die stichhaltigeren Argumente hat, mit einer lässigen Handbewegung überlässt. In Kleinigkeiten großzügig — in der Grundsatzfrage (Siegmund falle!) knallhart. An den Kragen soll es Siegmund dann im Labor gehen. Ein düsteres, leeres Labor ist ein durchaus passender Rahmen für eine Todesverkündigung. Wie Siegmund hier aus dem Spiel genommen wird, erstaunt. Diesmal greifen weder Hunding, noch Wotan (wie man auch schon des öfteren, zuletzt bei Konwitschny in Dortmund gesehen hat) zur Waffe. Auf leer gefegter Bühne geht Hunding auf Wotans Geheiß einfach nach links ab, während Siegmund noch munter zu seiner Rechten an der Rampe steht. Auf den warten im Hintergrund ein halbes Dutzend schwarz Uniformierte, die ihn, so siehst es jedenfalls aus, brutal zusammenschlagen.

Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin

Bei Wotans Wutanfall fliegen die Stühle durch die Gegend.

Für den dritten Aufzug geht es zu den Klängen des Walkürenritts zurück in das Auditorium. Eine ziemlich schlagkräftig und burschikos anmutende Frauen-Truppe begrüßt sich da kumpelhaft und schaut sich auf der Leinwand die Steckbriefe der „Helden“ an, deren Gewaltpotenzial offenbar der Gegenstand ihrer Feldforschung war, die sie jetzt mit Klarnamen, projizierten Lichtbildern und Steckbriefen „auswerten“. Bis ihnen Brünnhilde mit Sieglinde im Schlepptau die gemütliche Auswertungsrunde vermasselt und Wotan einen Wutanfall zelebriert, wie man ihn lange nicht gesehen hat. Da fliegen die Stühle durch die Gegend und man fühlt sich selbst in sicherer Entfernung im Rang noch persönlich gemeint.

Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin

Der Wotan des Michael Volle ist das darstellerische Zentrum des Abends.

Das ist einfach toll, wie Michael Volle das macht. Der ist überhaupt das darstellerische Zentrum und der überzeugendste Beleg für die beste Seite von Tcherniakovs Inszenierung: Die Personenführung ist schlichtweg großartig. Und die setzt auch nicht auf wilden Aktionismus, selbst wenn es bei Wotans Standpauke im Hörsaal für Momente so aussehen mag. Das geht schon deshalb nicht, weil Christian Thielemann sein zelebrierendes Tempo, mit dem er schon „Das Rheingold“ feinschmeckerisch und klanggenüsslich „verlängert“ hat, beibehält. Selbst wenn man eigentlich im ersten Aufzug den einleitenden Sturm des Orchestervorspiels als direkten Vorboten für den der Leidenschaften nimmt, der die Geschwister am Ende hinreist. Spannung entsteht auch, wenn man sich die Zeit nimmt, jeden Satz ausklingen und für sich wirken zu lassen. Mit Wortverständlichkeit glänzen sie ohnehin wieder – aber es ist gleichsam auch eine Musikverständlichkeit, die hier waltet und das Ganze bislang jedenfalls zu einem höchst luxuriösen Unterfangen macht.

Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin

Tcherniakov führt seine hermetische Welt auch mal als pures Theaterkonstrukt vor und stellt sich damit sozusagen neben sich.

Dabei könnte man jede der großen Dialogszenen, einschließlich der zwischen Wotan und Brünnhilde im dritten Aufzug, sozusagen für sich genommen, in ein anderes Setting verpflanzen – und sie würden funktionieren. Der Regieansatz einer geschlossenen Versuchsanordnung offenbart in der „Walküre“ (mehr als im „Rheingold“) aber auch gewisse Grenzen. Der Blick nach innen und die sich hier ergebenden Beziehungsnetzwerke halten stand (Chef – Leitungsprobleme – aus dem Ruder laufende Versuchsanordnungen). Bei den Antworten auf die Frage, wie es denn mit der Verbindung des erdachten Großinstituts zur Außenwelt steht, ist Großzügigkeit gefordert. Siegmund wird als entflohener Sträfling im Fernsehen gesucht und wird dann unvermittelt Teil eines Experiments, das schon läuft? Oder auch der Schluss – wenn Wotan allein mit dem Hörsaalsegment der Nobelbühne in die Tiefe des Raumes entschwindet und Brünnhilde an der Rampe zurückbleibt und einen fragenden Blick ins Publikum schickt. Was immer daraus noch wird – hier führt Tcherniakov seine hermetische Welt auch mal als pures Theaterkonstrukt vor und stellt sich damit sozusagen neben sich.

Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin
Szenenbild aus „Die Walküre“ an der Staatsoper Berlin

Was Thielemann mit der Staatskapelle macht, grenzt an ein Wunder.

Das zweite und wohl noch entscheidendere Merkmal dieses „Ring“-Unternehmens aber sind seine musikalischen und vokalen Qualitäten. Was Thielemann mit der Staatskapelle macht, grenzt an ein Wunder. Er kann tatsächlich seinen Ruf als der Bayreuth-Kenner par excellence auch in der akustisch nicht unproblematischen Staatsoper unter Beweis stellen, ohne dabei auf eine ganz eigene, schon recht selbstbewusste Interpretation zu verzichten. Er kann sich das leisten, weil ein exzellentes Protagonisten-Ensemble mitzieht. Allen voran Michael Volle, der manchmal an die Noblesse eines Theo Adam erinnert, die aber immer mit der Vitalität seines Hans Sachs (bzw. Wagners) aus Koskys Bayreuther „Meistersingern“ anreichert. Und er schont sich dabei nicht. Bei Wotans Abschied gibt er alles. Mit der wunderbaren, nie aus der Bahn berührenden Gesangs geratenden Anja Kampe als Brünnhilde an seiner Seite ist auch der lange Abschied ein Hochgenuss. Der erste Aufzug profitiert vor allem vom Charisma und der jugendlich strahlenden Frische, mit der Vida Miknevičiūtė die Sieglinde gestaltet. Robert Watson hat es da als Siegmund nicht leicht, mitzuhalten – die Buhs für ihn am Ende freilich wirkten schon etwas unfair. Mika Kares komplettierte als finsterer Hunding den ersten Aufzug. Im zweiten Akt dann läuft auch Claudia Mahnke als streitbare Fricka zu gestaltender Hochform auf. Die Walkürentruppe ist zwar nicht durchgängig auf Höchstniveau, aber handverlesen und singt erstaunlich textverständlich. Ovationen für eine musikalische Großtat!

Staatsoper Berlin
Wagner: Die Walküre

Christian Thielemann (Leitung), Dmitri Tcherniakov (Regie & Bühne), Elena Zaytseva (Kostüme), Gleb Filshtinsky (Licht), Alexey Poluboyarinov (Video), Robert Watson, Vida Miknevičiūtė, Mika Kares, Michael Volle, Anja Kampe, Claudia Mahnke, Clara Nadeshdin, Christiane Kohl, Michal Doron, Alexandra Ionis, Anna Samuil, Natalia Skrycka, Anna Lapkovskaja, Karis Tucker, Staatskapelle Berlin

Auch interessant

Rezensionen

  • 2018 gab Rubén Dubrovsky sein Debüt am Gärtnerplatztheater München
    Interview Rubén Dubrovsky

    „Es geht um die Wurzeln der Musik“

    Rubén Dubrovsky, Chefdirigent des Gärtnerplatztheaters, geht musikalischen Dingen gerne auf den Grund und kommt dabei zu manch verblüffender Erkenntnis.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!