Fest der Stimmen: „Siegfried“ im neuen Tcherniakov-Ring der Staatsoper Berlin

Staatsoper Berlin/SIEGFRIED/Michael Volle , Andreas Schager/Foto @ Monika Rittershaus

Jede Aufführung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ steht und fällt mit der Besetzung der drei höchst anspruchsvollen Partien des Wotan, der Brünnhilde sowie der Titelfigur des dritten Abends, dem Siegfried. Letzterer ist zwar nur in zwei Opern präsent, dafür jeweils in allen drei Aufzügen. Wotan und Brünnhilde stehen in der Tetralogie sogar an drei aufeinanderfolgenden Abenden auf der Bühne. Gemeinsam treten diese umfangreichen Rollen nur im letzten Akt des „Siegfried“ auf. Die Bayreuther Festspiele verteilten zuletzt die Last dieser Partien auf jeweils mehrere Schultern. Der neue Ring-Zyklus der Staatsoper Berlin fordert hingegen neben den direkt aneinandergereihten Premieren auch eine strenge Kontinuität in der Besetzung. Dieser Bericht legt daher nun den Fokus auf die außerordentlichen Leistungen von Anja Kampe, Andreas Schager und Michael Volle. Denn dieses Trio ließ den neuen Ring-Zyklus zu einem wahren Fest der großen Wagnerstimmen werden. (Rezension der Vorstellung v. 06.10.2022)

 

Es ist schon fünf Jahre her, als sich Anja Kampe bei den Osterfestspielen Salzburg in der Partie der Brünnhilde in Richard Wagners „Walküre“ heraufstufte, zufälligerweise schon damals unter der musikalischen Leitung Christian Thielemanns. Es sollte jedoch eine Ausnahme bleiben. Danach ist sie direkt wieder zu ihrer Paraderolle der Sieglinde zurückgekehrt, auch für den vorherigen Ring-Zyklus an der Staatsoper Berlin im Herbst 2019. An die Brünnhilden der „Götterdämmerung“ sowie im „Siegfried“ hat sich Kampe – vom Schlussgesang einmal abgesehen – bislang noch gar nicht herangetastet. Mit ihrem mehrfachen Brünnhilde-Rollendebüt stellte Kampe die lang erwartete Regiearbeit von Dmitri Tcherniakov gar in den Schatten ihrer stimmlichen Leistungen. Sie wurde so (neben dem Dirigat von Christian Thielemann) zur eigentlichen Sensation dieses Ring-Zyklus der Staatsoper Berlin.

Staatsoper Berlin/SIEGFRIED/Andreas Schager, Anja Kampe/Foto @ Monika Rittershaus

Zunächst ist festzustellen, dass Kampes Stimme überraschte und damit polarisierte. Denn diese ist nicht mit den heroischen Gotteskriegerinnen einer Birgit Nilsson oder Astrid Varnay mit ihren Stimmbändern aus Stahl – wie man sie von Schallplattenaufnahmen kennt – vergleichbar. In gewisser Weise setzt sich Kampe damit auch von den letzten beiden Berliner Brünnhilden, Nina Stemme und Iréne Theorin, ab. Sicherlich sind alle drei Brünnhilden eine Grenzpartie für die Sopranistin, sie liegen ihr nicht so natürlich wie die Rolle der Sieglinde. Insbesondere in den Höhen schliff Kampe manche Spitzentöne lediglich an, mitunter gerieten diese auch etwas schrill. Mit trefflichen, dezentem Ausdruck in Mimik und Gestik zeigte sie, wie konzentriert und bedacht sie sich auf diese Rollen vorbereitet hat. Neben ihrer berührenden Phrasierung wusste sie sich insbesondere mit deutlicher Aussprache und in besonnener Artikulation die Partie ganz zu eigen zu machen. Kampe disponierte ihre stimmlichen Reserven klug, in den hochdramatischen Ausbrüchen des Schlussduetts hielt sie sich jedoch (gerade im direkten Vergleich zu Andreas Schager) etwas arg zurück. Ihre Stimme ist durch eine fast an das lyrische Fach anmutenden Zartheit geprägt, was ihre Rolleninterpretation umso spannender machte: Kampe bedarf gar keiner Verwandlung von der heroischen Kämpferin der „Walküre“ zu dem vulnerablen Weib der „Götterdämmerung“.  Mit ihr sprach eine völlig menschliche Brünnhilde zu dem Göttervater Wotan. Kampe begriff von ihrem ersten „Hojotoho!“ an das Leid von Siegmund und Sieglinde, weil sie sich selbst darin identifizierte.

Insgesamt bleibt anzumerken, dass Anja Kampe ihre Brünnhilde mit einer Humanität und Wärme füllte, wie sie die Welt Richard Wagners bislang nicht gehört hat. Trotz einiger Abstriche in der Höhe überzeugte sie mit ihrer besonders in der Tiefe und Mittellage ausgeprägten Stimme durch eine faszinierende, bewegende, gar aufwühlende Charakterstudie der Brünnhilde.

Staatsoper Berlin/SIEGFRIED/Andreas Schager/Foto @ Monika Rittershaus

Andreas Schager sprang vor knapp zehn Jahren kurzfristig in der Partie des Siegfried an der Berliner Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim ein. Über Nacht wurde er so zum Weltstar. Er gilt nun als der gefragteste Heldentenor der Gegenwart. Ob in den Wiederaufnahmen des Ring-Zyklus, im Parsifal oder als Tristan: Wenn Barenboim im Graben stand, sollte Schager fortan exklusives Vorrecht auf die Tenorpartien der Berliner Staatsoper genießen. Zurecht gilt seine Darstellung des Siegfrieds als unerreicht. Schager ist ein Phänomen, mit maximalen Kraftreserven, unbändiger Energie und Spitzentönen, die einfach knallen. Dieses Stamina besitzt kein anderer Heldentenor neben ihm. Womöglich muss man in die goldenen Zeiten des Wagner-Gesangs der Vorkriegszeit zurückgehen, um vergleichbares gesangliches Durchhaltevermögen zu finden. Umso erfreulicher, dass Schagers Darstellung als Siegfried in den letzten Jahren noch an Reife dazugewonnen hat: Wo der Tenor anfangs noch in sehr freier, teilweise flapsiger Gestaltung die Spitzentöne aneinanderreihte, glänzte er nun mit zehn Jahren Staatsopernerfahrung in strengerer Befolgung von Dynamik und Notenwerten der Partitur Wagners. Schagers Legato in den reflektierenden Monologen, dabei die expressiven Ausbrüche auf die Schmiedelieder begrenzt, ließen seine Gesamtwirkung nun runder, zugleich umso eindrucksvoller werden!

Michael Volle bewies als Göttervater Wotan bzw. Wanderer an drei Abenden, wie er als Ausnahmebariton eine Partie nicht nur stimmlich versiert einstudiert, sondern diese auch vollumfänglich in Auftreten, Phrasierung und Gestaltung sich zu eigen machen kann. Volle wurde dabei den drei vollkommen divergierenden Facetten seiner Figur gerecht: Im „Rheingold“ noch neugierig-schroff, stellenweise liedartig, formte er seinen Wotan in der „Walküre“ zum ganz großen Dramatiker mit Leidenschaft, Zorn und Tochterliebe. Mit einem Hauch Selbstironie, etwas verbittert, aber in Melancholie wähnend, nahm Volle im „Siegfried“ schließlich Abschied von seinem aktiven Wirken auf der Erde Rücken.

Fazit: Betrachtet man allein die Stimmen, wurde der „Siegfried“ zum Höhepunkt der Premierenserie des Ring-Zyklus der Staatsoper Berlin.

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatsoper Berlin / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Berlin /SIEGFRIED/Anja Kampe (Brünnhilde), Andreas Schager (Siegfried)/Foto: @ Monika Rittershaus
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