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Evelyn Herlitzius inszeniert „Fidelio“ in Wiesbaden –Ja, sie hat Kraft und Mut

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Das große Missverständnis: Marzelline und Fidelio, Anastasiya Taratorkina und Barbara Haveman. Foto: Lena Obst
Das große Missverständnis: Marzelline und Fidelio, Anastasiya Taratorkina und Barbara Haveman. Foto: Lena Obst © Lena Obst

Evelyn Herlitzius gibt ihr Debüt als Regisseurin mit Beethovens „Fidelio“ am Staatstheater Wiesbaden.

Der Schritt vom Bühnenauftritt zur Regie liegt immer nahe, aber er ist für die Person, die ihn tut, sicher nicht klein. Die große Sopranistin Evelyn Herlitzius zieht einen Teil ihrer immensen Bühnenpräsenz aus ihrem ausdrucks- und hingebungsvollen Spiel (über ihre stimmliche Durchschlagskraft als Brünnhilde ließ sich womöglich streiten, aber niemals über ihre perfekte Verkörperung dieser Extremrolle). Möge sie ihrem Publikum noch lange als Sängerdarstellerin erhalten bleiben – die Gräfin in „Pik Dame“ oder die Kabanicha in „Katja Kabanová“, immer will man dabei gewesen sein. Am Staatstheater Wiesbaden, wo dem Intendanten Uwe Eric Laufenberg damit ein kleiner Coup gelang, stellte sie sich gleichwohl erstmals als Regisseurin vor.

Interessant natürlich, ihren Blick ausgerechnet auf Beethovens „Fidelio“ zu sehen, nicht nur, weil sie selbst oft genug die Leonore gesungen hat. Es gibt dazu noch wenige Werke, die in ihrem politischen Gehalt mit so vielen Aktualitäten aufgeladen worden sind. Auch in diesen wie aber eigentlich in allen Tagen ist das Thema der politischen Gefangenschaft furchtbar virulent, das Thema ebenso der autokratischen Machtstrukturen, des Mitläufertums, Heldentums, der nackten Angst. Und wie viele Menschen würden auch gegenwärtig alles tun, um den zu retten, den sie lieben. Aber nur in der Oper ertönt die Fanfare der Fanfaren, um das Ende des Schreckens gerade noch beizeiten einzuleiten.

Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass Evelyn Herlitzius – und wirklich nicht zu Unrecht – davon ausgeht, dass sich die immerwährende Relevanz dieser Vorgänge auch ohne weitere Fingerzeige erschließt. Dabei dominiert das Gefängnis in Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbild. Als Silhouetten sind die Häftlinge in ihren stilisierten Setzkastenzellen auf mehreren Etagen ständig zu sehen (heutzutage erinnert das stark an Corona-Inszenierungen). Davor aber bemühen sich Herlitzius und ein spielfreudiges Ensemble, unmittelbar und unangestrengt ins Erzählen zu kommen. Das ist kein gewaltiger Wurf, aber nicht zu unterschätzen.

Ein Video hat schon gezeigt, dass Don Pizarro nicht nur eine politische Rechnung mit seinem Gefangenen Florestan offen hat, sondern auch an seiner Frau Interesse gehabt hätte. Sie lässt ihn befremdet abblitzen. „Fidelio“ ist nicht „Tosca“, trotzdem hat es einen zusätzlichen tragischen Reiz, dass Leonore mit ihrem noblen Schweigen dem Schurken die Schurkerei noch erleichtert.

Pizarro hat eine paramilitärische Truppe dabei, die Beschäftigten des Gefängnisses sehen hingegen aus wie herkömmliche Vollzugsbeamte. Da ist Platz für Menschen, und nicht umsonst hat Herlitzius im Vorabgespräch mit dem „Wiesbadener Kurier“ die Losung ausgegeben: „Wir haben versucht, jeder Figur eine Geschichte mitzugeben.“ Marzelline ist bei Anastasiya Taratorkina ein Schulmädchen, silbrig das Timbre ihres Soprans, selbstbewusst ihre Haltung. Mit Jaquino, dem brutalisch wirkenden, wenn auch sehr ansprechend singenden Ralf Rachbauer, ist sie fertig. Kaum zu glauben, dass da einmal etwas gewesen sein sollte. Dimitry Ivashchenko mit großer, warmer Bassstimme darf einmal, das ist schön, ein unbuffohaft freundlicher Rocco sein. Don Pizarro, Claudio Otelli, ist schon eher der klassische Schurke. Es ist ja richtig, sich mehr für Menschen als für Mörder zu interessieren.

Leonore und Florestan, ein schönes, ernstes Paar. Barbara Havemans Sopran bietet Strahlkraft in der Höhe, im Mittelfeld wirkt die Stimme zuweilen etwas instabil. Der ganze Abend dokumentiert eindrucksvoll – auch in der von Willy Humburg mit Verve geleiteten Orchester-Bühnen-Koordination –, welche Ansprüche dieses Werk stellt. Vor diesem Hintergrund ist das größte Erlebnis Marco Jentzsch als Florestan, der die kurze, aber beinharte Partie ohne Druck bewältigt, abgesehen davon, dass es gut ist, wenn ein eingekerkerter Tenor auch optisch etwas hermacht.

Humburgs musikalischer Ansatz ist feinsinnig und knackig. Herlitzius setzt zum Schluss einen geschmackssicheren Akzent, wenn der beste Jubelchor der Welt (hier einstudiert von Albert Horne) eben nicht die beiden Hauptfiguren umschließen kann. Erschöpft sitzen sie da. Marzelline wiederum wird woanders ein neues Leben beginnen.

Staatstheater Wiesbaden: 20., 22., 27. 30. Oktober. 4., 11., 13. November. www.staatstheater-wiesbaden.de

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