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Kritik - "Così fan tutte" an der Bayerischen Staatsoper Dildo und Blütenregen

Mozarts böseste Oper als erste Premiere der Saison an der Bayerischen Staatsoper in München: Regisseur Benedict Andrews sucht die Komik am Abgrund. Im großartigen Ensemble ist Christian Gerhaher der Star, im Graben triumphiert Dirigent Vladimir Jurowski, und eine junge Sängerin überstrahlt alle.

"Così fan tutte" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: W. Hösl

Bildquelle: W. Hösl

Kritik – "Così fan tutte" an der Bayerischen Staatsoper

Dildo und Blütenregen

Diese Oper ist freundlich im Ton, aber gnadenlos in ihrer Message: In "Così fan tutte" räumen Mozart und sein Textdichter Da Ponte mit allen Illusionen über die Liebe auf. Schreddern sie buchstäblich. Romantik? Träum weiter. Hingabe? Quatsch. Treue? Vergiss es. Kalt ist das Licht in den kahlen Zimmern, die auf der riesigen schwarzen Bühne von hinten an die Rampe rollen. Billige Absteigen, leerstehende Räume, wie gemacht für's Fremdgehen. Die Einrichtung besteht nur aus einer unbezogenen, fleckigen Matratze. Ein ungleiches Paar liegt darauf. Er zieht sich eine Ledermaske vom Gesicht, sie bleibt auf Abstand. Don Alfonso, schwarze Unterwäsche, weißer Bart, hat gerade mit dem Zimmermädchen geschlafen. Oder wollte es zumindest. Offenbar war der Sex nicht so toll. Oder er hat gar nicht stattgefunden. Jedenfalls will sie den Geldschein nicht, den er ihr hinhält.

Premiere anschauen

Hier können Sie das Video der Premiere von "Così fan tutte" an der Bayerischen Staatsoper ansehen.

Eine fleckige Matratze

Christian Gerhaher zeichnet Don Alfonso als neurotischen, sexuell frustrierten Voyeur. Zwei junge Paare werden von ihm einem emotional grausamen Experiment unterzogen. Die jungen Männer glauben felsenfest an die Treue ihrer Freundinnen. Don Alfonso, der alte Zyniker, will ihnen das Gegenteil beweisen. Er wettet, dass beide in kürzester Zeit die Geliebte des jeweils anderen rumkriegen werden. Der erste Treuetest findet in der Garage statt. Ein fetter, schwarzer SUV dient den bestürmten Frauen als Bollwerk und Klettergerüst. Je mehr die falschen Gefühle zu echten werden, desto surrealer wird die Bühne. Eine riesige Barbie-Kitschburg wird aufgepustet und bricht in sich zusammen. Zum Vorschein kommt eine Glasfront, hinter der Don Alfonso die Opfer seines Menschenversuchs studiert. Am Schluss sind alle komplett desillusioniert. Genau der richtige Moment zum Heiraten, meint der zynische Don Alfonso, während das schlaue Zimmermädchen die Matratze in Brand setzt.

Trieb und Gefühl

Der australische Regisseur Benedict Andrews inszeniert zum ersten Mal an der Bayerischen Staatsoper. Und er macht das ziemlich gut. Souverän hält er Depression und Spaß in der Schwebe, derbe und zarte Momente, Trieb und Gefühl: ein verzweifelt komisches, trotzdem unangestrengtes Kammerspiel zwischen Dildo und Blütenregen. Und alle haben Freude am Spielen. Konstantin Krimmel als Macho-Lover Guglielmo hat einen tadellos sitzenden Bariton. Sebastian Kohlhepp als Ferrando lässt vor Beginn der Aufführung ansagen, dass er nach einer Corona-Erkrankung noch nicht hundertprozentig bei Kräften ist. Ein bisschen eigenschaftslos klingt sein schöner Tenor. Die Despina der Sandrine Piau ist agil und hellwach, farbig und ausdrucksstark die Dorabella der Avery Amereau.

Christian Gerhaher: Charisma und reiche Farben

Wirklich auf Weltklasseniveau gestaltet Louise Alder als Fiordiligi. Ihr Timbre wirkt zunächst eigentlich eher unauffällig. Aber die Sicherheit, mit der sie die irren Sprünge in der berüchtigten Arie "Come scoglio" bewältigt, und mehr noch die enorme psychologische Ausdruckskraft, mit der sie im zweiten Akt von ihren Gewissensbissen erzählt, sorgen für einige der stärksten Augenblicke des Abends. Das größte stimmliche Charisma aber hat Christian Gerhaher als Don Alfonso. Mit nervöser Impulsivität und psychologisch reicher Farbgebung macht er seine Rolle auch musikalisch zur eigentlichen Hauptfigur.

Vladimir Jurowski: Ein Generalmusikdirektor, der Mozart kann!

Endlich mal ein Generalmusikdirektor, der Mozart kann! Und das ist bei den teuren Dirigenten ja durchaus eine Seltenheit, muss man leider sagen. Bei Vladimir Jurowski gibt's keinen auf laschen Dauerwohlklang reduzierten Streichelmozart. Das ehrwürdige bayerische Staatsorchester, das bei Wagner und Strauss so wunderbar satt und pastos klingt, verwandelt er in ein scharfzüngiges Kammermusikensemble. Und entwickelt gerade dadurch ordentlich Schlagkraft. Mit historischen Instrumenten, darunter die heiklen Naturhörner, sorgt Jurowski für ein unsentimentales, aber enorm differenziertes Klangbild, pulsierend, atmend, sprechend. Mozarts böseste Oper, ungekürzt und ohne Rabatt: ein nachhaltiges Vergnügen.

Sendung: "Allegro" am 27. Oktober 2022, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (15)

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Mittwoch, 02.November, 21:14 Uhr

Siegfried Metzger

Braucht's des? (frei nach Gerhard Polt)

Was für ein schräger Regietheater-Quark, da kann ich wirklich nur noch mit den Füßen abstimmen und sich die Opernkarten sparen. Ich kann mich deshalb hier meinen Vor-Rezensent_innen voll und ganz anschließen. Was hätte ich mich gefreut, wenn statt Serge Dorny der sympathische Dominique Meyer die Nachfolge des auf mich äußerst arrogant wirkenden Klaus Bachler als Staatsoper-Intendant angetreten hätte. Da hat man im Wissenschaft- und Kunstministerium an der Salvatorstraße wohl geschlafen. Also werde ich künftig öfter nach Mailand in die Scala fahren müssen, wenn mir nach guten Insezenierungen ist.

Montag, 31.Oktober, 11:28 Uhr

Wolfgang Weber

Ich möchte...

...die Inszenierung von Dieter Dorn zurück. Den neuen geschmacklosen Quark mit sexistischen Anspielungen werde ich mir nicht ansehen.

Sonntag, 30.Oktober, 16:03 Uhr

Patricia Roth

vollkommen klar erscheint mir dass sowohl der regisseur als auch der verfasser der kritik nicht verstehen worum es in dieser oper geht. keinesfalls ist sie nämluch hässlich, böse, vulgär oder sonst etwas. vielmehr geht es um das eigentlich, tief empfundene gefühl, das sich nicht augenscheinlich sondern erst versteckt findet. dieses vulgär
und anstöß inszenierte spektakel in münchen verdient nicht von steuergeld finanziert zu werden. es ist entsetzlich dass so etwas raum und aufmerksamkeit bekommt.

Sonntag, 30.Oktober, 09:31 Uhr

Gufo

Geldhahn

Berlusconi hat dereinst den italienischen Opernhäusern den Geldhahn abgedreht.So steht dort wieder der Geschmack des Publikums im Zentrum und nicht das Ego diverser Regisseure und vulgäre Inszenierungen findet man in den renommierten Häusern von Belpaese schon gar nicht. Mag auch in Italien die Mode und bella figura nicht mehr das sein, was sie einmal war, aber Vugäres ist dem kultivierten italienischen Opernpublikum ein Graus. Streicht endlich auch hier die staatlichen Subventionen zusammen, um den Verfall des guten Geschmacks zu stoppen.

Samstag, 29.Oktober, 16:16 Uhr

Angelika Gruber

Cosi fan tutte in der Staatsoper 2022

Wer die "Jahrhundert" - Cosi von 2020 in Salzburg noch vor Augen hat, muss sich wundern, dass man mit dieser "Karikatur" dieser Oper, vollgestopft mit sexistischen Anspielungen dagegenhalten wollte. Die sensible Personenfuehrung Christof Loy's, die den damaligen Sängerinnen und Sängern ein in jeder Minute glaubwürdiges Spiel ermöglichte, wurde ersetzt durch billige Gags. Einzig die musikalische Leistung dieser Staatsopernproduktion ist zu loben. Fuer die Zuschauer galt: Augen zu und durch!

Freitag, 28.Oktober, 13:00 Uhr

Elisabeth Ellermann

Eine neue Inszenierung,....

...die unnötig ist. Da gäbe es viele andere zu entsorgen. Die Cosi in der bisherigen Inszenierung war immer ein Publikumsmagnet. Jetzt gibt es jede Menge Tickets, die dann zum Schluss verscherbelt werden.

Freitag, 28.Oktober, 11:23 Uhr

Susanne Schuster

Nie habe ich mir....

...all die Jahre die Cosi in der ästhetischen alten Inszenierung entgehen lassen. Nach dem Livestream weiß ich nun, daß ich mir diese vulgäre Inszenierung nicht antue. Aber vielleicht gewinnt man ja mit den billigen Tickets die Jüngeren. Ob die Rechnung aufgeht?

Donnerstag, 27.Oktober, 18:23 Uhr

kdmueller

Cosi in München

Ich hör mir Opern inzwischen nur noch auf CDs an, da muss ich den "Regietheater"-Quatsch nicht mehr ertragen. Seitdem ich einmal Neuenfels in Berlin den Don Giovanni verhunzen sah: nie wieder.
Dass es das offenbar immer noch gibt (trotz Henscheids vernichtende Kritiken vor Jahrzehnten)... Traurig.

Donnerstag, 27.Oktober, 17:48 Uhr

Umberto Lenzi

Mir ist nicht ganz klar, wer oder was mit den "teuren Dirigenten" gemeint sein soll, die Mozart "nicht können". Aber eigentlich waren die besten Mozart-Dirigenten ohnehin immer schon rar gesät, das gilt auch für Wagner- oder Verdi-Dirigenten. Zum "laschen Dauerwohlklang" darf ich anmerken, dass es damit eigentlich spätestens seit den späten 1970er Jahren vorbei ist, als Nikolaus Harnoncourt seine von der historischen Aufführungspraxis inspirierten Mozart-Interpretationen mit dem Concentus Musicus und dem Concertgebouw Orkest vorlegte. Ob Così Mozarts böseste Oper ist, weiß ich auch nicht: da ist Don Giovanni schon eine deutliche Spur schlimmer, zynischer und tödlicher. Così ist einfach menschlich, im Lustigen wie im Traurigen, in der Ehrlichkeit und in den Lügen ...

Donnerstag, 27.Oktober, 16:56 Uhr

Alexander Störzel

"Dildo und Blütenregen" Kritik "Cosi fan tutte"

Es scheint mir allerdings schon sehr merkwürdig dass im Vorfeld zur Inszenierung sehr negative Stimmen zu lesen und zu hören waren und dann beim Ersfcheinen des Regieteams Bravorufe und Applaus, jedoch kein einziges Buh zu vernehmen waren.
Hier kann jeder Mensch seine eigene Schlussfolgerung ziehen.
Vor allem hat mich das Dirigat überzeugt, gesanglich in Ordnung.
Karl Böhm bemerkte einmal er möchte "Cosi fan tutte" so oft wie möglich dirigieren, damit seiner Lieblingsoper kein Leid geschähe. Er hat dieser Oper dann in den fünfziger Jahren zu großer Beachtung verholgen, da sie immer im Schatten des "Don Giovanni" steht, womit ich nichts Neues schreibe.
Bingen sexuelle Phantasien auf der Bühne das Werk wirklich weiter?

Donnerstag, 27.Oktober, 14:18 Uhr

Christian Loferer

Schreibweise

Sehr geehrte Damen und Herren,
es soll nicht beckmesserisch daherkommen,
jedoch mochte ich gerne darauf hinweisen, dass im Laufe der Premierenkritik „Bayerische Staatsoper“ falsch geschrieben wurde.
Vielen Dank für ihre Mühen
Christian Loferer

Donnerstag, 27.Oktober, 13:50 Uhr

Katharina Apel

Was für eine Geldverschwendung!

Wieder so eine scheußliche Inszenierung - Mozart würde sich im Grabe umdrehen! Vulgär und unestetisch! Dass solche grauenhaften Inszenierungen an der Staatsoper vom Steuerzahler mitfinanziert werden müssen, ist ein Skandal!
Alleine die Sänger waren ein Genuss - eine Radioübertragung hätte gereicht!

Donnerstag, 27.Oktober, 13:11 Uhr

Manfred Seidler

Falscher Film

Ich glaube, der Livestream hat andere Bilder gebracht ... den das was ich da gesehen habe, war von einer Geschmacklosigkeit, Vulgarität und einem völligen Mangel an Ästhetik gekennzeichnet! Man konnte wieder einmal nur die Augen schließen.
Zustimmen kann ich dem Lob für die Sänger!

Donnerstag, 27.Oktober, 12:22 Uhr

Susanne Koehler

Schade! Wieder eine Inszenierung...

...die sich zum Ansehen nicht lohnt. Dafür hat man die wunderbare alte Inszenierung geopfert! Verschwendung von Steuergeldern! Ein ziemlicher Skandal in diesen Zeiten....

Donnerstag, 27.Oktober, 10:45 Uhr

Beate Schwärzler"

Die "Cosi..." im Nationaltheater in München

"Cosi cosa" kann ich nicht sagen zu dieser "Cosi fan tutte", die ich im Stream (ausnahms-weise!) verfolgt habe.
Dazu habe ich falsch gelebt, um mich an Zynismus jetzt zu delektieren.
Bin selbst zu nah dran inzwischen.
Was sich Herr Gerhaher immer antut...

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