Der letzte Libertin – „Così fan tutte“ an der Bayerischen Staatsoper

Bayerische Staatsoper/Cosi fan tutte 2022/Foto © W.Hösl

Dem Geist der Aufklärung und dem Ancien Regime im Frankreich des 18. Jahrhunderts hängt ein schmutziger Makel an. Dem Libertinismus, einem von Moral und jeglichen Einschränkungen befreites Weltbild, das sich mit Geld und Adelstiteln alles nimmt und in seiner hedonistischen Gier grenzen- und rücksichtslos ist. (Rezension der Vorstellung vom 30.10.2022)

 

 

Don Alfonso, der Intrigant aus „Così fan tutte“, ist ein solcher Vertreter dieser aussterbenden Gattung eines als Vicomte de Valmont oder in den Werken des Marquis des Sade verewigten Charakteren. Als Abkömmling eines untergehenden Regimes propagiert er unerbittlich seine Überlegenheit, stets auf der Jagd nach der nächsten Ekstase, mit dem unerbittlichen Drang, seine Begierden zu stillen, jedoch nie Befriedigung zu erlangen. An der Bayerischen Staatsoper empfindet der erotische Grenzgänger in Benedict Andrews Neuinszenierung dieser Da-Ponte-Oper, zwischen BDSM-Spielen und Voyeurismus, kaum noch erfüllende Erregung, Und so sucht er in der Korruption der jungen Liebenden eine neue sexuelle raison d’être.

Für die beiden Schwestern gleicht Don Alfonsos zunächst scherzhafter Streich einer erzieherischen Maßnahme, einer grausamen Initiierung ins Erwachsenenalter. Anfänglich überaus verzogen, verwöhnt und infantil spielen Dorabella und Fiordiligi mit Barbies, die als Prinzessinnen im Traumschloss nach ihrem Märchenprinzen suchen. Als sie sich später selbst als ebendiese wiederfinden, kehrt sich der Wunsch schnell in einen Alptraum: Mit Männern, die kein „Nein“ akzeptieren und mit einem Kuss, der nicht zum „happily ever after“ führt.

Bayerische Staatsoper/Cosi fan tutte 2022/Foto © W.Hösl

Die Bildsprache des Regisseurs ist direkt und spricht dennoch Bände. Die Bühnenbilder von Magda Willi bewegen sich zwischen heruntergekommenen Zimmern, mit fleckigen Matratzen, vergilbter Tapete und sind später gar Graffiti-beschmiert. Sie sind einfach und in ihrer Klarheit dennoch symbolträchtig.

Inmitten der Oleandersträuche, einer Pflanze die ebenso schön wie giftig ist – vergiftet werden die Männer schließlich nur zum Schein, kommen sich die vertauschten Paare langsam näher. Die Bitterkeit der Szenerie und die musikalische Schönheit liefern hier einen grausamen Kontrast. Ein riesiges, aufblasbares Märchenschloss, bei dem schnell die Luft raus ist, ein Dildo zum Umschnallen, eine schwarze SM-Ledermaske und nicht zuletzt der vom Global Partner BMW gesponserte SUV, der in die Produktion eingebunden wurde, runden die Inszenierung in einer dem Untergang geweihten Umgebung ab.

Die Sänger*innen liefern dank Andrews‘ eindringlich gestalteter Personenregie überzeugende Psychogramme. Immer weiter steigen sie in die Untiefen von Betrug, gebrochener Treue und erloschener Liebe herab.

Bayerische Staatsoper/Cosi fan tutte 2022/C. Gerharer/Foto © W.Hösl

Die Besetzung dieser Premierenserie erreichte das Niveau des legendäres Mozart-Ensemble aus der Nachkriegszeit der Wiener Staatsoper. Angeführt und geprägt insbesondere durch Christian Gerhaher, der sich nach seinen Maßstäbe-setzenden Da-Ponte-Interpretationen des Grafen Almaviva (Bayerische Staatsoper) und des Figaro (Royal Oper House) nun endlich auch des Don Alfonso annahm. Unnachahmlich schuf er in gewohnt liedhafter Darstellung mit exemplarisch-gekonnter Silbenartikulation ein die Partitur durchdringendes Rollenporträt eines voyeuristischen Zynikers. Gerhaher zeigte mit einem Gesichtsausdruck im richtigen Moment, dazu seiner behutsamen Mimik und Gestik, erneut, zu welch Größe und Intellekt ein Ausnahmesänger im zunehmend schnelllebigen Opernbetrieb doch fähig sein kann!

Eigentlich gehört es sich ja nicht, Sänger miteinander zu vergleichen. Eine Ausnahme sollte man mit dem jungen, bereits als Liedsänger etablierten Konstantin Krimmel machen. Denn dieser bewies, dass er ähnlich außerordentliche Stimmqualitäten wie Gerhaher besitzt. Gerade im Miteinander der beiden wurde deutlich, dass Krimmel seine Partie des Guilelmo noch etwas impulsiver, lebendiger, geradezu heißblütig auffasste, als Gerhaher seinen Don Alfonso. Dabei behielt er seine treffliche Deklamation und Phrasierung bei. Mit markanter, charaktervoller, zugleich bewegend-aufwühlender Stimme zeichnete Sebastian Kohlhepp in spielfreudiger Darstellung das Porträt eines selbstsicheren Ferrandos.

Bayerische Staatsoper/Cosi fan tutte 2022/L. Alder, A.Amereau/Foto © W.Hösl

Louise Alder hat sich mit der Partie der Fiordiligi von ihrer, in den letzten Jahren immer wieder als Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt, verkörperten Despina emanzipiert. Alder brillierte mit zutiefst emotionaler Darstellung und äußerst versierter Gesangstechnik. In ihrer Felsenarie erreichte sie ein an Perfektion grenzendes Mozart-Niveau mit vorbildlicher Phrasierung und Artikulation. Avery Amereau komplementierte als Dorabella das Schwesternpaar mit einer cremig-verführenden und geradezu sinnlichen Stimmfarbe. Sandrine Piau glänzte in der etwas undankbaren Partie der Haushälterin Despina mit farbenreicher, faszinierender Stimme, die sie sehr agil und wendig einsetzte und mit welcher sie ihre Figur zugleich liebevoll gestaltete.

Endlich gibt es an der Bayerischen Staatsoper mit Vladimir Jurowski wieder einen Generalmusikdirektor, der sich auch den Mozart-Opern annimmt! Man merkte seinem Dirigat an, wie akribisch er sich auf Mozarts Werk vorbereitet hat. Denn Jurowski entwickelte alles im Geiste des Komponisten und lenkte das Ohr des Publikums auch auf manch ansonsten überspielte Kleinigkeit der Partitur. In zunächst ruhigerem Tempo erklangen immer wieder auch die Gegenstimmen in ungewohnter Dominanz oder auch jene (von anderen Dirigenten) rasch überspielte Melodielinien der Soli-Instrumente. Unter Jurowskis Leitung erhielt jede Note eine Bedeutung. Doch trotz zahlreicher starker Momente wirkte die Aufführung musikalisch noch nicht ganz rund. Jurowski scheint noch keinen eigenen Mozart-Stil gefunden zu haben und changierte hinsichtlich Charakter und Dynamik stark zwischen den einzelnen Nummern der Oper, mal extrem langsam, dann wiederum beschleunigt. Die Ensemble-Szenen gerieten gelegentlich mitunter willkürlich schnell, wodurch die Einsätze auseinanderzubrechen drohten. Da Jurowski die Neuinszenierung in ungekürzter Fassung präsentierte, dauerte die Aufführung fast vier Stunden. Ein wahrlich seltener Glücksfall, an einem Abend zugleich das fast immer gestrichene Duett des ersten Akts, „Al fato dan legge“, sowie die noch seltener gespielte, große Tenor-Arie des Ferrando, erleben zu dürfen.

Nach dem Finale lässt der Regisseur Benedict Andrews seine Schüler*innen die „Schule der Liebenden“ traumatisiert und gebrochen abschließen. Fürs Leben gezeichnet brennen sie die Matratze an, auf der sie sich zuvor noch im Liebesspiel gewälzt haben, um so symbolträchtig der Liebe und allen sexuellen Gelüsten abzuschwören. Dank der kurzweiligen szenischen Umsetzung und der orchestralen Brillanz des Bayerischen Staatsorchesters war der Abend für das Publikum äußerst beglückend.

 

 

 

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