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Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Oper in drei Akten
Libretto von Bertold Brecht
Musik von Kurt Weill


in deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 11. September 2022
(rezensierte Aufführiung: 2. November 2022)


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Theater Bonn
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Wir konsumieren die Welt zu Tode

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu

Vergrößerung in neuem Fenster Die Holzfäller erreichen Mahagonny, die Traumstadt des unbegrenzten Vergnügens und Konsums

Alles ist erlaubt. (Kleine, aber wichtige Einschränkung: Wenn man bezahlen kann.) Unter dem Eindruck des nahenden Untergangs durch einen Sturm geben sich die Bürger von Mahagonny ein denkbar einfaches Gesetz: "Du darfst." Bertolt Brecht dachte 1930 wohl zuallererst an eine ausufernde und jede Hemmung verlierende Kulturindustrie, als er den Text zu Mahagonny verfasste. Regisseur Volker Lösch nimmt, was Brecht als Metapher formuliert hat, als Wirklichkeit und den alle und alles herausfordernden Glücksritter Jim Mahoney beim Wort: "Wir brauchen keinen Hurrikan, wir brauchen keinen Taifun, denn was er an Schrecken tun kann, das können wir selber tun." Will heißen: Die Welt zerstören. Und so erlebt man auf der Bonner Opernbühne den Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny als apokalyptisches Endspiel unserer selbstzerstörerischen Zivilisation. Was ziemlich gut aufgeht.

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Jenny (hier: Natalie Karl), Jim und Jack

Mahagonny, das ist die Stadt der zügellosen Vergnügungen in der Wüste. Gegründet von einem flüchtigen Ganoventrio, die hier stranden: Leokadja Begbick (an diesem Abend hörbar indisponiert: Susanne Blattert), Fatty "der Prokurist" (etwas unscheinbar: Martin Koch) und Dreieinigkeitsmoses (solide: Mark Morouse) wollen von hier ihre Netze auswerfen (eine Anspielung auf das Matthäus-Evangelium), auf dass es die Männer von der Küste und deren Geld einfange. Dem Kennzeichen ihres betagten Fahrzeugs tief aus dem vorigen Jahrtausend nach scheint es sich in dieser Inszenierung um ranghohe Diplomaten des Vatikanstaats zu handeln (sie werden später das Spiel von Gott in Mahagonny aufführen). So richtig geht der Plan nicht auf, die Preise verfallen alsbald, aber der Sturm (der im letzten Moment abdreht) und die Abschaffung aller Verbote bringen die Wende. Fortan geht es erstens um das Fressen, zweitens um die (käufliche) Liebe, drittens um das Boxen (und die Wetten darauf) und viertens, na klar, um das Saufen. Von den vier aus Alaska angereisten Holzfällern frisst Jack O'Brien sich umgehend zu Tode und Alaskawolfjoe wird beim Boxen erschlagen. Jim, der sein ganzes Geld auf ihn gesetzt und verloren hat, kann die Zeche nicht zahlen und wird zum Tode verurteilt. Kein Geld zu haben ist das schlimmste aller Verbrechen.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Apokalypse naht: Jim und Jenny auf den Fundamenten unserer Kultur

Im weitgehend abstrahierend weißen Bühnenbild (Carola Reuther) erkennt man Versatzstücke der Wohlstandsindustrie - der angedeutete Pool dient auch als Bar oder Manege. Das anfängliche Idyll wandelt sich zu einer Landschaft mit Flugzeugen und Raketen, und die anfangs noch ganz alltäglich gekleideten Bewohner werden zu uniformen roboterhaften Einheitswesen wie aus einem schlechten Science-Fiction-Film (Kostüme: Carola Reuther, Miriam Schurach). Im Zeitraffer wird die Menschheit durchindustrialisiert. Dabei wird es für die Darsteller schwer, sich zu profilieren. Aus dem insgesamt guten Bonner Ensemble ragen zwei heraus, die dem Geschehen Profil verleihen: Zum einen Alma Sadé als Hure Jenny, für die erkrankte Natalie Karl eingesprungen und mit Bühnenpräsenz und Spielwitz, als habe sie jede Probe mitgemacht; zum anderen Matthias Klink als Jim Mahoney, der wegen Geldlosigkeit hingerichtet wird, und Klink bewältigt mit seinem gelenkigen Charaktertenor nicht nur die enormen Anforderungen der Partie bravourös, sondern legt seine Figur als schillernden, am Ende tragischen Charakter an. Das rettet die Regie, wenn die sich in revuehaften Momenten verliert und die Geschichte eher als großes Tableau denn als stringente Erzählung anlegt. Aber Lösch gelingt es damit durchaus überzeugend, die Theatermaschinerie im Brecht'schen Sinne anzuwerfen und mit wenigen Andeutungen Wiedererkennungsmomente zu schaffen: Dieses Mahagonny bietet ein Leben in einer sehr gegenwärtigen selbstzerstörerischen All-inclusive-Gesellschaft.

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Kein geld zu haben, das endet für Jim tödlich. Die (noch) Überlebenden attackieren derweil einen Umweltaktivisten.

Der eigentliche Clou ist aber die Verzahnung der Opernhandlung mit Videosequenzen, in denen Menschen von der Ahr, nicht viel mehr als eine halbe Autostunde von Bonn entfernt, von der Katastrophennacht vom Juli 2021 (mit 134 Todesopfern) und dem Aufbau danach berichten. Das immer wieder geäußerte Fazit: Es fehle das Umdenken, es werden keine Lehren gezogen - viel mehr gehe der Trend dahin, ein Leben wie vor der Überschwemmung führen zu wollen. In den ersten beiden Akten sind diese Einblendungen mehr ein Rahmen, im dramaturgisch sowieso problematischen dritten Akt unterbrechen sie mehrfach das Bühnengeschehen, da verschmelzen die Ebenen mehr und mehr. Das Schlusswort haben dann drei Betroffene, die vor dem Vorhang live erzählen und sehr deutlich eine Umkehr fordern. Natürlich ist diese Form von Theater direkt und plakativ, eine Form der Propaganda im Sinne der Friday-for-Future-Bewegung, darauf muss man sich einlassen (wollen). Es geht nicht um den Austausch von Argumenten, sondern um die ganz elementare Wirkung, die Theater entfalten kann mit allen Brechungen - und natürlich um eine Positionierung von Theater im tagespolitischen Diskurs. Dafür findet Lösch beeindruckende, in sich stringente Bilder.

An diesem Abend dirigiert Kapellmeister Daniel Johannes Mayr (die Mehrzahl der Vorstellungen leitet GMD Dirk Kaftan). Insbesondere in der ersten Hälfte klingt die Musik ziemlich massig und oft zu laut, sehr gewichtig nach großer Oper, die im Marschrhythmus auf den Untergang zusteuert. Inhaltlich kann man das vielleicht rechtfertigen, aber Weills Nonchalance, den Schwebezustand zwischen Revue und erhabener Kunst, das antibürgerliche chansonhafte Moment - das alles dürfte ausgeprägter sein. Das zuverlässige Beethoven Orchester spielt ein wenig zu grobschlächtig; der klangprächtige und aufmerksame Chor ist auch vom Zuschauerraum aus und in vielen kleinen Partien gefordert und bewältigt alle Aufgaben bravourös.


FAZIT

Volker Lösch veranstaltet großes politisches Theater mit klarer Botschaft: So kann es nicht weitergehen, wenn wir die Katastrophe noch irgendwie verhindern wollen, und das ist auch ein eindringlicher Appell zum Handeln. Das Brecht-Weill'sche Mahagonny gibt die hier gefundene Form wie auch die inhaltliche Akzentverschiebung mit Fokus auf der Klimakatastrophe durchaus her. Ein streitbarer, packender Theaterabend.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dirk Kaftan
* Daniel Johannes Mayr

Inszenierung
Volker Lösch

Bühne
Carola Reuther

Kostüme
Carola Reuther
Miriam Schubach

Video
Ruth Stofer
Robi Voigt

Licht
Max Karbe

Choreographie
Tim Claydon

Chor
Marco Medved

Kinderchor
Ekaterina Klewitz

Dramaturgie
Stefan Schnabel
Bernhard Helmich


Statisterie des
Theater Bonn

Chor und Extrachor des
Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Leokadja Begbick
Susanne Blattert /
Neele Kramer

Fatty, der Prokurist
Martin Koch

Dreieinigkeitsmoses
Giorgos Kanaris

Jenny
Natalie Karl /
* Alma Sadé

Jim
Matthias Klink

Jack / Tobby Higgins
Matthew Peña

Bill
Mark Morouse

Joe
Tobias Schabel

Frauen von Mahagonny
Anahid Edgarian
Celine Gargiulo
Susanna Kilian
Daria Kulko
Sarah Rölli
Destina Sahin
Victoria Telegina
Oleksandra Zakharchenko
Joëlle Fleury
Sonja Bük
Christina Kallergis
Marianne Freiburg
Vardeni Davidian
Jeannette Katzer
Brigitte Jung
Ulrike Gmeiner
Martina Kellermann-Döring
Ji Young Mennekes
Claudia Rodriguez
Tiina Sahrio
Rebeca Nomberto
Ramuné Slizauskiene
Asta Zubaite
Katrin Stösel
Johanna Werhahn

Entertainer
Jan Blattl
Melina Jagozinska
Jasmina von Fragstein
Daniel Miguel Weber
Koray Tuna
Maximilian Sordon
Oltan Morina
Melanie Hornig
Niklas Ester
Billie Barleben

Zeitzeugen
Elisabeth Beiling
Laura Beiling
Reinhold Beiling



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