Startseite » Oper » Opern-Kritiken » (K)eine Liebe in Zeiten des Fanatismus

Opern-Kritik: Theater Dormtund – La Juive

(K)eine Liebe in Zeiten des Fanatismus

(Dortmund, 6.11.2022) Halévys Grand Opéra „La Juive“ feierte am Theater Dortmund Premiere: nach einem Wechsel des Regisseurs mit metaphorischer Zurückhaltung in der Inszenierung und einer enorm starken Besetzung für die herausfordernden Partien.

vonJoachim Lange,

Fromental Halévys (1799–1862) „La Juive“ ist das Musterbeispiel einer Grand opéra, das die Renaissance der Gattung legitimiert. Musikalisch von prickelndem Glanz und melodischem Reichtum, vokal mit veritablen Herausforderungen für die Protagonisten: Für den fanatisch in seinem Glauben wurzelnden Goldschmied Éléazar, für den leichtfertigen Reichsfürsten Leopold und den Konzilpräsidenten Kardinal de Brogni braucht es drei vorzügliche Sänger; für Éléazars Tochter Rachel und die Kaisernichte, Prinzessin Eudoxie, zwei außergewöhnlich gefühlsgeschmeidige und koloratursichere Interpretinnen. Barbara Senator und Enkeleda Kamani überstrahlen in ihren Rollen das Ensemble. Bei Kamani kommt ein elegantes royales Charisma der Erscheinung hinzu, das in ihrem Fall durch das eleganteste Kostüm des Abends von Anette Braun noch gesteigert wird. Mirko Roschkowski hat den nötigen selbstbewussten Habitus und das passende Timbre für die enorme Herausforderung der Partie des Éléazar, der sich der Sänger rückhaltlos und mit Risikobereitschaft stellt. Sungho Kim stellt seine tenorale Strahlkraft in den Dienst des Reichsfürsten Leopold, mit dessen charakterlicher Festigkeit es nicht allzu weit her ist. Die inneren Zweifel des Kardinals de Brogni sind für den Ausnahmebass Denis Velev eine Steilvorlage.

Das Konzil von Konstanz im grellen Gegenlicht der jüngeren Realgeschichte

Im Graben gelingt es Philipp Armbruster mit den Dortmunder Philharmonikern, jenen Orchesterglanz zu entfalten, der der Grand opéra ihre musikalische Wirkung sichert. Anders als Wagner in Bezug auf Halévys Kollegen Meyerbeer meinte, ist das in diesem Falle eindeutig eine Wirkung nicht ohne, sondern mit Ursache. Dazu gehört Eugène Scribes Libretto, der das Ganze im Konstanz des Jahres 1414 angesiedelt und mit der Konstellation eines fundamentalistischen Gegensatzes zwischen Christen und Juden versehen hat. Der geht so weit, dass er die Liebe zweier Menschen über die Religionsgrenzen hinweg mit dem Tode bedroht. Durch die tragische Verknüpfung der Liebesgeschichte von Rachel und Leopold und einer mörderischen Haupt- und Staatsaktion rückt die Oper, an deren Ende eine als Jüdin aufgewachsene junge Frau brutal hingerichtet wird, heute durch den Holocaust der Nazis in ein grelles Gegenlicht der Realgeschichte.

Szenenbild aus „La Juive“
Szenenbild aus „La Juive“

Vorsicht im postdocumenta-Diskussionsklima

Im Hinblick darauf ist die Dortmunder Inszenierung von Sybrand van der Werf mit ihrer Metaphorik betont zurückhaltend. Dabei hatte der Niederländer kurzfristig Lorenzo Fioroni als Regisseur ersetzt. Der hatte für die Darstellung eines Pogroms auf antisemitisch konnotierte Bilder zurückgegriffen, bei denen man im aufgeladenen postdocumenta-Diskussionsklima Gegenwind befürchtete. Die Darstellung eines Pogroms ist jetzt ein Alptraum, der über Éléazar hereinbricht. Abgesehen davon wirkt es seltsam weichgespült, wenn im offenen Bühnenraum am Ende festlich gekleidete Zuschauer auf ein paar Stuhlreihen einer Verurteilung beiwohnen und deren Ergebnis (Todesurteil für Rachel und ihren Vater) billigen. Es ist natürlich ein Verweis auf unsere Gegenwart, wenn Barbarei hier im Gewand einer Show vorgeführt wird. Diese Haltung, die historisches Kolorit durch distanziertes Vorführen von Mechanismen mit heutig kostümierten Menschen ersetzt, dominiert von Anfang das Geschehen in dem kargen, durch drei Wände begrenzen Bühnenraum von Martina Segna und van der Werf.

Eine Performance als Sinnbild des Zivilisationsbruchs?

In David Aldens jüngster Genfer „La Juive“-Inszenierung verschwanden am Ende dutzende Menschen in einem Container mit einem deutlichen Verweis auf die Vergasung. Zu denen, die sich da einreihten, gehörte aus eigenem Entschluss auch Prinzessin Eudoxie, die dort übrigens als Mutter mit Nachwuchs ausgestattet war! Das saß. In Dortmund wird am Ende der Blick auf eine ans Kreuz geschlagene Rachel freigegeben. Während vorn an der Rampe der Zieh- und der natürliche Vater der dem religiösen Wahn geopferten Rachel, also Éléazar und de Brogny, verzweifelt auf die Knie gehen. Eine Performance als Sinnbild des Zivilisationsbruchs? Die eigentlich beklemmende Pointe dieser Inszenierung – und das passt wieder zu der Vorführgeste des Ganzen – sind in Dortmund die bis ins Detail uniformechten Polizisten der NRW-Landespolizei, die als reibungslos funktionierender Teil einer fundamentalistischen Theokratie der Vollstreckung eines Terrorurteils sekundieren. Das sitzt, vor allem, wenn man auf dem Heimweg darüber nachdenkt.

Sparsame Opulenz

Durch die sparsame Opulenz der Szene erhält zum einen die Prachtentfaltung der Musik den Vortritt. Auf der anderen Seite fallen dann ausgewählte Bilder mehr ins Gewicht. Vor allem die Vision eines entfesselten Mobs, der sich gegen einen im Lichtspott sich schützend zusammenkauernden Éléazar entlädt. Oder die riesige Kugel aus Blüten, die den Raum in einen Festsaal verwandelt, in dem der Eklat passiert, der das Geschehen in die Katastrophe kippen lässt. Die arglos ihren Mann liebende Prinzessin, die aus einer postreligiösen Perspektive, in ihrem Pragmatismus eh die sympathischste Figur ist, hat den Empfang für ihren Mann organisiert und bei Éléazar ein prachtvolles Geschenk für ihn erworben. Der erscheint gemeinsam mit seiner Tochter, um den Schmuck abzuliefern. Erst jetzt erkennt Rachel entsetzt die wahre Identität ihres Liebhabers Leopold. Dass eine Handwerkerstochter bei einem so hochkarätigen Empfang Zugang und obendrein die Gelegenheit erhält, einen Reichsfürsten zu ohrfeigen, ist Opernlogik. Ihrem emotionalen Ausbruch folgt dann allerdings im rot leuchtenden Kerker der hochfahrenden Unterbühne, das Eingehen auf das Flehen der Prinzessin, das Leben ihres Mannes zu retten, indem sie die ganze „Schuld“ auf sich nimmt. Die Fortsetzung einer Ehe mit dieser Geschichte im Rücken mag man sich gar nicht vorstellen. Immerhin wird auch Rachel so zu einer Liebenden, der es vor allem um den Geliebten geht.

Theater Dortmund
Halévy: La Juive

Philipp Armbruster (Leitung), Sybrand van der Werf (Regie), Martina Segna (Bühne), Sybrand van der Werf (Kostüme nach Entwürfen von: Annette Braun), Kevin Schröter (Licht), Alexander Hügel (Video), Enkeleda Kamani, Barbara Senator, Mirko Roschkowski, Denis Velev, Sungho Kim, Mandla Mndebele, Daegyun Jeong, Carl Kaiser, Opernchor des Theater Dortmund, Dortmunder Philharmoniker

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!